Etappe 3: Imst – Landeck

Es ist der 11. Juli und Kati und ich haben heute Geburtstag! Als ich aufstehe und aus dem Fenster schaue, trifft mich schier der Schlag: strömender Regen, alles ist wolkenverhangen und es sieht gar nicht danach aus, dass das irgendwann mal besser wird. Was war das nur für ein grottiger Wetterbericht am Vorabend?

Wenigstens laufen wir die Originalstrecke über den Bergkamm, die ich ja noch nicht kenne. Es ist der „Ruhetag“, denn heute laufen wir nur gute 31 km und 1800 Hm. Am Start hört der Regen etwas auf, die Laune ist trotzdem gut und sogar Philip Reiter, der wegen einer Fersenentzündung dieses Jahr nicht mitlaufen kann, betätigt sich als Fotograf.

Pünktlich zum Start regnet es dann wieder. Martin läuft heute auch wieder mit und so laufen wir beide heute die ersten 5 km, die durch den Ort abwärts bis zum Inn gehen, zusammen. Vor 2 Jahren musste ich an der Innbrücke vor der Bahnschranke fast 10 Minuten warten, diesmal hab ich Glück und kann gleich weiter laufen.

Noch ein kurzes Stück auf einem Forstweg und dann biegen wir auf einen supersteilen Pfad direkt durch den Wald ab.

Ich wusste gar nicht, dass das auch zur Originalstrecke gehört. Vor 2 Jahren hatte es geheißen, dass wegen umgestürzter Bäume ein „Sonderweg“ gelaufen werden muss. Wahrscheinlich hat der so viel Anklang gefunden, dass man die Wegführung so gelassen hat (auf dem Höhenprofil steht ja auch noch eine Strecke von 33,6 km und das kann durchaus damit zu tun haben, denn auch ich hab heute nur knappe 31 km gemessen). Etwas Stau muss man hier in Kauf nehmen, denn der Weg ist extrem schmal, schwierig und schlammig.

Im weiteren Verlauf komme ich mit Kerstin vom Ostseeteam ins Gespräch, mit der ich die nächsten paar Kilometer bis zur ersten Versorgungsstelle zusammen laufe. Kurz vor der Versorgungsstelle noch eine richtige Schikane: es geht fast senkrecht eine matschige, rutschige Wiese hoch, die wir fast auf allen Vieren hochkrabbeln. Kerstin (also meine Liebste) war schon lang vorher hier und hat die ersten hochkommen sehen. Auch von denen kann hier keiner laufen.

An der Versorgungsstelle trifft Kerstin wieder viele Bekannte (da läuft doch tatsächlich einer im rosa Gondo-Shirt vom letzten Jahr!) und schließlich kommen auch wir nach 1:45 dort an und ich kann Kerstin ihre Namenscousine vorstellen.

Das Zeitlimit ist hier bei 2:30, so wahnsinnig gut liege ich also gar nicht in der Zeit. Sorgen mache ich mir deswegen aber keine. Nach einer kurzen Versorgung geht es weiter. Kerstin wartet noch auf Martin, Andrea und Kati, die alle wie die begossenen Pudel ankommen. Kati kommt gut 20 Minuten nach mir an, liegt also auch noch gut in der Zeit. Einem Läufer ist nicht kalt genug: er lässt sich die Beine mit Eisspray behandeln …

Der folgende Abschnitt ist nicht besonders steil und ich kann immer wieder Teilstrecken laufen. Der Schlamm ist der Wahnsinn! Noch nie so viel Schlamm gesehen! Auf den Felsen muss man total aufpassen, dass man nicht wegrutscht, aber meine Fellcross machen das alles klaglos mit. An einem Kreuz laufe ich auf Klaus auf, der eigentlich immer viel schneller ist als ich. Aber heute ist er fertig. Er sagt auch gleich, dass er nach dem heutigen Tag aussteigt. Sehr schade! Ich lass mich noch schnell von ihm fotografieren und dann geht es für mich weiter über eine lange Wiese bis zu dem Gasthof, wo sich die Originalstrecke von der Ausweichstrecke trennt.

Heute darf ich rechts weiter laufen (vor 2 Jahren links) und ich muss erst mal Mütze (ein Buff) und Handschuhe anziehen. Es wird langsam richtig kalt, denn wir erreichen bald die 2000 Metermarke und es ist neben dem allgegenwärtigen Regen auch ziemlich neblig. Aber wie so oft: kaum habe ich die Handschuhe an, kommt ganz kurz die Sonne durch und es wird sofort sehr warm. Also ziehe ich sie gleich wieder aus (den Buff behalte ich aber an) und lass das dann auch mit den Handschuhen für den Rest des Tages.

Die Strecke ist sagenhaft. Es geht direkt auf dem Bergrücken entlang, rechts und links fällt der Berg steil ab. Zu sehen ist wegen des Wetters leider nicht viel. Ich laufe wieder (wie jeden Tag) auf Joao Carlos auf und wir plaudern kurz auf Spanisch. Der Weg erfordert allerdings vollste Konzentration: an einer besonders felsigen Stelle rutscht hinter mir eine Läuferin mit einem spitzen Schrei aus. Gott sei Dank nichts passiert. Das kann hier ganz schnell übel enden.

Die ersten Schneeflecken kommen auch schon in Sicht. Und das erste Gipfelkreuz. Ein kurzer Blick auf die Uhr: das kann noch nicht der Gipfel sein. Tatsächlich sind es 3 Gipfelkreuze, die wir abklappern müssen (rauf und runter, teilweise mit richtigen Kletterstellen), bis wir endlich im Jubel der dort wartenden und frierenden Mitglieder des Medical Teams den höchsten Gipfel, die Glanderspitz mit 2512 Metern Höhe erreichen.

Jetzt sind es noch 3,5 km bis zur zweiten und heute letzten Versorgungsstelle, aber die haben es in sich. Steil, extrem schlammig, rutschig und neblig geht es in die Tiefe, 500 Höhenmeter müssen überwunden werden. Eigentlich wollte ich heute unter 6 Stunden bleiben, aber ich bin jetzt schon über 4,5 Stunden unterwegs und kann mir nicht vorstellen, die restlichen 10 km in 1,5 Stunden zu schaffen. Na ja, auch nicht so schlimm.

An der Versorgungsstelle angekommen frage ich gleich mal, wer vom Orgateam heute auch Geburtstag hat, denn da ist tatsächlich noch ein Geburtstagskind dabei. Als das Team mitbekommt, dass ich auch Geburtstag habe, muss ich einen Moment warten und bekomme dann ein Törtchen mit einer Wunderkerze und alle singen mir ein Geburtstagsständchen. Das war aber sehr nett! Und das Ganze wird noch auf Video gebannt und kommt heute Abend im Video des Tages.

Ich hab mich bestimmt 6, 7 Minuten an der Versorgungsstelle aufgehalten und hab jetzt noch 7,5 km bis ins Ziel. Es geht weiter super steil und super schlammig abwärts (1200 Höhenmeter kommen noch!), aber ich kann auch super gut laufen und mach Tempo. Als das „5 km to go“-Schild kommt, schau ich auf die Uhr: das könnte ja doch noch was werden mit unter 6 Stunden? Also gebe ich Gas, denn es geht mir momentan blendend!

Unten in Landeck hat Kerstin schon viele bekannte Läufer empfangen können. Kurz bevor es auf den Asphalt geht überholen mich doch glatt noch Christiane und ihr Begleiter. Das darf doch nicht wahr sein! Jetzt laufe ich schon so schnell ich nur irgendwie kann und werde trotzdem noch überholt! Aber ich gönne es ihr, denn eigentlich ist sie eh viel schneller als ich.

Triumphierend komme ich nach 5:53:16 als 36. ins Ziel und bekomme sogleich ein kleines Geschenkkästchen überreicht. Ich bin richtig glücklich und bekomme natürlich noch von zig Leuten meine Glückwünsche.

Detlef ist wieder 11 Minuten vor mir da, Martin kommt nach 6:36:11 ins Ziel. Kati erreicht leider die zweite Versorgungsstelle mit 20 Minuten Verspätung und muss wieder mit dem Auto runter fahren.

Das war mit Abstand das schlammigste Wetter, das ich je bei einer Laufveranstaltung hatte und das war höchstens noch mit dem zweiten Tag beim Transalpine letztes Jahr vergleichbar. Die Schuhe haben wieder optimale Dienste geleistet und werden erst mal abgewaschen. Danach lass ich mir zur Feier des Tages die Beine durchkneten und genieße noch die Pastaparty und die Bilder, sowie das Video des Tages (mit prominenter Beteiligung meinerseits). Das war trotz des wirklich miesesten Wetters noch ein richtig schöner Geburtstag!

Und schon kommt der letzte Tag.