Etappe 1: Garmisch-Partenkirchen – Ehrwald

Es hat die ganze Nacht geregnet und es tröpfelt noch immer, als ich meine neue 4Trails-Tasche zum Start bringe. Plan B transportiert die Tasche von Etappenort zu Etappenort, so muss Kerstin sich nicht damit abmühen. Ich muss sie nur immer relativ früh in den Hotels bereitstellen, aber das lässt sich schon einrichten.

Vor dem Start treffen wir viele Bekannte: Karrie, Kati mit ihrem Mann Martin (Kati hatte mich zu dieser Teilnahme animiert) und Eva, die ich im April in Zürich kennengelernt hatte und die auch schon den Zugspitz Supertrail gelaufen ist. Hier will sie auch gern mal mitmachen, muss das aber wegen anderer Pläne auf nächstes Jahr verschieben. Sie begleitet eine Läuferin, die heute eine „Schnupperetappe“ mitläuft und will sich auch selbst ein wenig in den Bergen vergnügen. Tatsächlich werde ich sie beim ersten großen Downhill wiedersehen. Horst ist auch da (war beim Supertrail XL mit am Start); er macht aber nur Urlaub und wird uns die Tage als Zuschauer begleiten.

Es geht gemütlich zu, keiner hat besonderen Stress. Vom Wetter ist zwar niemand begeistert, aber man kann’s ja nicht ändern und Trailläufer kommen auch mit den widrigsten Bedingungen zurecht. Eine Viertelstunde vor dem Start begeben wir uns in den Startblock, vor dem wie jeden Tag die Pflichtausrüstung kontrolliert wird. Von mir will der Kontrolleur die Handschuhe und das Erste-Hilfe-Set sehen. Na, wie gut, dass ich mir das noch nachgekauft hatte, denn das war das Einzige, was ich zu Hause vergessen hatte.

Wir starten mit 5 Minuten Verspätung um 9:50. Der ursprünglich für 10:00 Uhr angesetzte Start wurde vorverlegt, weil wir gleich nach 2 km die Bahnlinie der Zugspitzbahn überqueren müssen und die kommt kurz nach 10:00 vorbei. Beim letzten Mal musste ich auch prompt am Bahnübergang ein paar Minuten warten. Diesmal kommen wir gut durch. Ich laufe schön gemütlich mit Kati das kurze flache Stück, mache an der ersten Steigung noch ein Bild von ihr und ziehe dann davon.

Vor 2 Jahren habe ich hier den großen Fehler gemacht, die erste Steigung zu laufen, mit dem Ergebnis, dass ich im weiteren Verlauf fast gestorben wäre (bildlich gesprochen). Außerdem war es vor 2 Jahren richtig sonnig und heiß. Die Sonne sehen wir heute gar nicht und es ist angenehm kühl, trotzdem wird mir jetzt beim „Speedwandern“ bergauf warm und ich ziehe erst mal die Jacke aus. Es dauert allerdings nicht lange, dann kommt etwas Wind auf und es wird gleich saukalt – also Jacke wieder an!

Die Wege sind so richtig schön schlammig. Es ist ein Fest für meine Schuhe (Salomon Fellcross), die im Schlamm einen Supergrip haben.

Der erste „Gipfel“, die Abzweigung Drehmöserwald auf 1279 Metern ist ziemlich schnell erreicht. Oben merke ich, dass beim Aus- und wiederanziehen der Jacke versehentlich meine Uhr gestoppt habe. Mist – jetzt weiß ich gar nicht, wie ich in der Zeit liege und Entfernung und Höhenmeter stimmen auch nicht mehr. Aber egal – mit den Zeitlimits will ich ja sowieso nichts zu tun haben.

Das Bergabstück kann man wunderbar laufen und kurz vor der ersten Verpflegungsstelle mache ich meine einzige Pinkelpause an diesem Tag. Die Verpflegung kommt vom Riessersee-Hotel, wo Kerstin und ich auch schon mal Urlaub gemacht haben und bietet wieder alles, was das Herz begehrt. Das Zeitlimit liegt bei 2:45, ich bin mit knapp 1:30 sehr gut im Rennen. Allerdings: ich kenne das schon vom letzten Mal. Das erste Limit schaffe ich locker, aber danach brauche ich immer die komplette Zwischenzeit von Limit zu Limit, trage also gewissermaßen meinen ersten Vorsprung bis ins Ziel. Wer langsamer unterwegs ist, bekommt da schon größere Schwierigkeiten.

Jetzt folgt ein ziemlich steiler und sehr verschlammter Aufstieg durch den Wald zur Talstation Längenfelder. Die erste Etappe wird wegen ihrer „nur“ 36,5 km leicht unterschätzt, es sind aber über 2400 Höhenmeter zu überwinden und das ist wirklich heftig. Entsprechend lasse ich mich nicht hetzen. Der Aufstieg ist eigentlich toll, aber bei diesem Wetter macht das nicht so hundertprozentig Spaß. Weiter oben sogar Nebel und nach zweieinhalb Stunden steige ich auf dem höchsten Punkt der heutigen Strecke (1616 Meter) aus dem Wald heraus.

Es stehen sogar ein paar Zuschauer da, die uns anfeuern. Ich verschnaufe kurz und genehmige mir ein Gel, denn jetzt kommt ein langer, steiler und rutschiger Downhill (900 Höhenmeter auf 4 km). Vor 2 Jahren habe ich hier meinen einzigen Sturz gebaut, der allerdings glimpflich verlief. Damals war ich aber auch viel fertiger (wegen des ersten Berges, den ich ja gelaufen bin) und konnte mich nicht mehr richtig konzentrieren. Dagegen bin ich jetzt noch relativ fit und freue mich auf einen tollen Downhill.

Tja, leider hab ich die Rechnung ohne die anderen Teilnehmer gemacht. Die sind nämlich hier extrem langsam und gehen. Auf dem schmalen Singletrail ist es sehr schwer, zu überholen. Ich riskiere immer wieder Kopf und Kragen, um zu überholen, aber nach kurzer Laufstrecke kommt gleich die nächste Geh-Gruppe. So dauert es doch erheblich länger runter nach Hammersbach, als ich geplant hatte. Gut in Erinnerung habe ich noch die allerletzte Rampe: sie war so steil, dass ich sie kaum bewältigen konnte – und damals war es trocken! Kurz vorher treffe ich Eva, die hier hoch kommt, aber zu mehr als ein kurzes Hallo ist keine Zeit. Dann beginnt auch schon die berüchtigte Rampe und trotz der Fellcross komme ich sofort ins Rutschen. Ich hab gerade freie Bahn und bin relativ schnell unterwegs. Bevor es mir die Füße wegziehen kann, lehne ich mich etwas nach vorne und mache so schnell wie ich nur kann kleine Schritte. Kontrollierter freier Fall auf schlammigem Boden. Auf halber Höhe steht Horst und ruft noch, dass hier schon ganz viele gestürzt sind. Na toll – aber ich schaffe es tatsächlich heil bis unten. Puhh – das war grenzwertig!

Fotos hab ich natürlich keine machen können, dafür war ich zu beschäftigt damit, nicht zu stürzen. Unten schreie ich meine Begeisterung und meinen Stolz darüber hinaus. Kerstin war sich unsicher, wie lange sie auf mich wo warten soll und ist leider schon weg, lediglich Christiane hat sie gesehen, die etwa 30 Minuten vor mir ist.

Ich treffe sie erst an der zweiten Versorgungsstelle oberhalb vom Eibseeparkplatz. Bis dahin muss ich wieder einen steilen, aber nicht ganz so langen Anstieg neben Skipisten überwinden. Kerstin ist gerade abgelenkt, als ich einlaufe und sieht mich erst, als ich schon da bin. 5:45 ist das Zeitlimit, ich habe 3:50 gebraucht, also sogar noch etwas Zeit gut gemacht. Meine Renneinteilung heute ist sehr gut. Ich bin zwar verständlicherweise etwas abgekämpft, aber es geht noch gut.

Und weiter geht’s wieder rauf bis zu deutsch-österreichischen Grenze auf 1520 Metern Höhe. Hier ist ganz in der Nähe die Station „Riffelriss“ der Zugspitzbahn. Kurz hinter der Grenze laufe ich auf einen Läufer auf, der den Namen Joao Carlos auf der Startnummer stehen hat. Ich spreche ihn auf Spanisch an und er antwortet ebenso auf Spanisch. Am nächsten Tag lerne ich ihn näher kennen: er kommt aus Portugal und lebt jetzt in Liechtenstein (einer von 6 Teilnehmern aus Liechtenstein).

Der nun folgende Downhill bis zur Talstation der österreichischen Zugspitzbahn ist gut zu laufen und Kerstin erwartet mich schon mit einer wunderbaren Cola.

Es ist eine dieser Colaflaschen, auf der ein Name steht (hier: Mario). Zwei Läufer kommen kurz nach mir an und man sieht ihnen an, dass sie auch einen Schluck brauchen können. Kerstin fragt „heißt Du Mario?“ und er antwortet schlagfertig „wenn’s um Cola geht, heiße ich immer Mario!“.

Hier sollte ursprünglich die dritte Versorgungsstelle sein, aber sie wurde zur Gamsalm verlegt und dorthin geht es noch mal ganz schön heftig rauf. Das macht mir nichts aus, denn ich weiß ja, dass es auf den letzten Kilometern mehrmals steil über Skipisten hoch geht und geduldig stapfe ich hoch, um es auf den Downhills dann immer laufen zu lassen.

Die letzten 5 Kilometer gehen bergab – fast. Erst kommt ein wunderschönes Stück durch den Wald. Es ist vollkommen leer und ich kann laufen, soviel ich will. Macht einen riesigen Spaß! Die letzten Kilometer gehen dann auf Straße und Wanderwegen und auch wenn ich doch alles gebe, kann ich es nicht verhindern, dass mich noch mehrere Läufer überholen. Das sind die, die mich im schwierigen Gelände immer ausbremsen, aber insgesamt doch fitter sind und auf leichter Strecke schneller laufen können.

Es ist mir aber egal, denn ich liege super in der Zeit. Die letzten hundert Meter bergauf, dann geht es die Straße lang 500 Meter ins Ziel, das ich nach 6:41:52 glücklich erreiche.

Damit war ich 20 Minuten schneller als vor 2 Jahren! Ich bin hochzufrieden! Platz 37 von 55 in meiner Altersklasse.

Kerstin und Horst sind auch da und freuen sich mit mir. War das eine Schlammschlacht! Die Schuhe sehen entsprechend aus. Unser Hotel ist nur 50 Meter vom Ziel entfernt und so verziehe ich mich erst mal zum Duschen und Schuhe waschen. Im Zimmer ist die Heizung an, sodass wir bis zum nächsten Tag alles wieder trocken bekommen.

Nach dem Duschen hört Kerstin, dass Kati im Ziel angesagt wird. Ich ziehe mich an und wir gehen runter. Kati hat 7:49:43 gebraucht und ist auf Platz 38 von 46 in ihrer Altersklasse gekommen. Ihr Mann Martin hat das Ziel übrigens nach 7:35:59 erreicht, womit er 46. Meiner Altersklasse geworden ist. Er ist aber schon weg ins Hotel.

Wir bewundern noch Katis verschlammte Beine und laufen dann schön gemütlich zur Pastaparty und Siegerehrung. Gewonnen haben die Grieche Dimitris Theodorakakos (der Seriensieger des letztjährigen Transalpine) vor einem grimmig dreinschauenden Iker Carreras (der es absolut nicht gewohnt ist, Zweiter zu werden) und Tina Fischl, die wir am letzten Tag noch persönlich kennenlernen sollen.

Ich genieße es, Kerstin dabei zu haben, wodurch der ganze zeitliche Stress, den ich vor 2 Jahren hatte, als ich hier noch alleine war, extrem abgemildert wird. Leider müssen wir erfahren, dass am nächsten Tag nicht auf der Originalstrecke gelaufen werden kann (wieder nicht! Genau wie vor 2 Jahren! So ein Mist!), da auf der Grünsteinscharte zu viel Schnee liegt. Die Entscheidung ist verständlich, es ist schwieriges Gelände und Plan B geht kein unnötiges Risiko ein, aber irgendwie ist es schon verhext. Der Vorteil ist, dass der Start um eine Stunde auf 8:00 verschoben wird. Ich gebe Uta noch mit auf den Weg, dass man doch möglichst wenigstens am dritten Tag die Originalstrecke laufen soll. Nach den Bildern des Tages geht es ab ins Bett.

Weiter mit Etappe 2.