Frankenweg-Lauf 16.06.2013

Es ist Sonntag kurz nach 5 Uhr früh, ich bin schon seit einer Weile aufgestanden und schmeiß jetzt Kati aus dem Bett. Sie ist vor einer Woche die 100 km in Biel gelaufen – und was liegt näher, als heute einen Marathon zu laufen? Merke: nicht nur ich bin verrückt! Nein, es gibt auch Leute, die wählen den Frankenweg-Lauf für ihren ersten Marathon überhaupt aus – so wie Floh heute. Na ja, ein wenig ist das schon auf meinem Mist gewachsen …

Warum auch nicht? Ich bin schon zum 3. Mal in Folge dabei und bilde mir ein, diesen Lauf in- und auswendig zu kennen. Daher sei mir mein Größenwahn verziehen, diesmal den Lauf in unter 5 Stunden schaffen zu wollen – nach 5:19 in 2011 und 5:09 in 2012. Das sollte ich bitter bereuen.

Aber der Reihe nach. Der Frankenweg ist ein 533 km langer Wanderweg von Blankenstein an der thüringischen Grenze (wo der Rennsteig aufhört) bis nach Harburg am Rande der Schwäbischen Alb. Unter anderem verläuft er durch die schönsten Ecken der Fränkischen Schweiz. Hier organisiert Herbert Peter seit 2009 einen Marathon-Trail der Extraklasse. Start ist in Streitberg, die Läufer folgen dem Frankenweg über Behringersmühle, Gößweinstein, Tüchersfeld und Pottenstein und kommen über Leienfels schließlich ans Ziel in Obertrubach. Waldwege, schmale Pfade, Höhlen, Felsen, es ist alles dabei. Und 1200 Höhenmeter. Also genau das richtige Training für die anstehende Bergsaison.

Nach einer Stunde Fahrt sind wir pünktlich um 7:30 in Streitberg. Ganze 80 Läufer sind für den Marathon gemeldet (und das sind schon 20 mehr als im Vorjahr!). Es gibt auch noch einen 24 km-Lauf (Start in Behringersmühle) und einen 15 km-Lauf (Start in Pottenstein). Für alle ist das Ziel in Obertrubach. Es geht gemütlich zu am Muschelquellenweg. Entspannt holen wir unsere Startnummern und machen uns fertig. Herbert erklärt kurz den Wegverlauf und die Markierungen, jeder sucht sich noch mal ein ruhiges Plätzchen im Wald und dann ist auch schon Startaufstellung. Bis auf Kati und Floh, Elke (die „Trailhexe“) und Anton Lautner von marathon4you kenne ich heute niemanden. Gerhard Wally, der österreichische Marathonrekordhalter (schon über 500 Stück!) ist verletzt und muss dieses Jahr leider passen. Kati ist nervös. Alle sind super ausgerüstet, Salomon ist die vorherrschende Marke und sie möchte heute auf keinen Fall Letzte werden.

Und dann geht es auch schon los. Für Floh und mich ist die Marschroute klar: ein Schnitt von 7 Minuten pro Kilometer, dann schaffen wir das in knapp unter 5 Stunden. Nach kurzem Einlaufen auf herrlich schattigen Pfaden (es wird heute ziemlich warm, aber es bleibt unter 30 Grad) geht es auf der Höhe von Muggendorf auch schon das erste Mal heftig bergauf. Das hab ich natürlich schon erwartet und Floh eingetrichtert, dass wir hier auf keinen Fall versuchen werden zu laufen. Also stapfen wir schnellen Schrittes hoch, um oben gleich wieder in einen flotten Lauf zu verfallen. Auf dem nächsten Waldabschnitt mach ich den Fehler, nur den Läufern vor mir zu folgen und nicht auf die Markierung zu achten. Schwupps – schon sind wir falsch. Einer der Mitläufer merkt es rechtzeitig, der richtige Weg ist nicht weit weg und wir brechen durchs Unterholz dorthin zurück. Ich schöre mir, jetzt besser aufzupassen. Nach einem kurzen Straßenabschnitt durch ein kleines Dorf steil bergab und dann wieder bergauf. Floh verliert ein Gel aus seinem Trinkrucksack – die Tasche ist kaputt. Er merkt es aber sofort und ich stecke es ein.

5 km sind vorbei, die erste Versorgungsstelle kommt. Danach geht es wieder bergauf in den Wald auf wunderschönen Wegen. Nicht lange und das erste Highlight erwartet uns: die Oswaldshöhle, eine ca. 60 Meter lange Durchgangshöhle. Angeblich hat die Feuerwehr Lampen aufgestellt, aber drin ist es stockfinster. Gerade als der Ausgang als heller Fleck auftaucht, stoße ich mir heftig den Kopf. Aua, die Beule spüre ich noch nach einer Woche!

Dahinter auf Stufen steil bergauf. So langsam bin ich schon ganz schön angestrengt und wir haben erst 8 km. Ob das Tempo doch zu hoch ist? Aber erst mal weiter. Der Trail ist ein Traum! Wurzeln und Steine, soweit das Auge blickt, ständig rauf und runter, tolle Felsformationen und ständig muss man höllisch aufpassen, dass man auf dem richtigen Weg bleibt. Die Markierung ist heute extrem sparsam: Herbert hat einige zusätzliche Frankenweg-Schilder aufgehängt, daneben gibt es manchmal kleine Pfeile mit roter Farbe auf den Weg gesprüht, aber die weißen DIN-A4-Zettel, die letztes Jahr noch an jeder Ecke hingen, machen sich heute sehr rar. Das macht das Ganze doch ziemlich spannend und mehrmals verlieren wir heute fast den Weg, haben aber immer das Glück, dass andere vor uns bereits aus der falschen Richtung wieder zurück kommen und uns sagen können, wo es langgeht. Kati hat da nicht so viel Glück, wie wir hinterher erfahren.

Nach 12 km das nächste Highlight: die Riesenburg, eine große Einsturzhöhle (ohne Dach), durch die viele Treppenstufen nach unten an die Wiesent führen. Floh ist begeistert. Ich auch. Kurz an der Straße bis zur Holzbrücke über die Wiesent und dann kommt der einzige flache Abschnitt am heutigen Tag: 5 km auf einem schönen schattigen Waldweg neben der Wiesent bis Behringersmühle. Hier hab ich die letzten Jahre richtig Gas gegeben und so auch heute, auch wenn mir eigentlich nicht danach ist. Hätte ich doch nur auf mein Gefühl vertraut…

Als wir Behringersmühle erreichen, liegen wir zwar exakt im Zeitplan (18 km in 2:05), aber ich bin bereits fix und fertig. Floh geht’s bestens, er ist heute deutlich fitter als ich. Hier sehen wir Kerstin und Flohs Freundin Steffi und hier ist die erste große Versorgungsstelle. Banane, Cola und Wasser helfen mir nur bedingt, aber wir müssen ja weiter. Es geht noch einen km flach und dann kommt der steilste Abschnitt des gesamten Laufs: über Pfade und Treppen himmelwärts zum Wallfahrtsort Gößweinstein. 150 Hm auf nur 800 Meter Strecke! Mehr haben die Alpen normalerweise auch nicht zu bieten.

In der Zwischenzeit erreichen auch Kati und Elke das „Ende der Durststrecke“ in Behringersmühle.

Jetzt ist mir langsam klar, dass das heute nichts wird mit der angepeilten Zeit. Ich habe auf dem ersten Abschnitt viel zu sehr überpaced und bekomme das jetzt zu spüren. Es geht mir schlecht. Mehr als langsames Traben ist nicht mehr drin. Den Lauf durch Gößweinstein kann ich schon gar nicht mehr richtig genießen. Dann die Versorgungsstelle kurz vor dem HM-Punkt. In den letzten 2 Jahren gab es dort neben Wasser und Cola sogar alkoholfreies Weizen. Und heute? Schnödes Wasser, sonst nichts. Ich bin richtig enttäuscht und meine Lebensgeister kommen dadurch auch nicht besser zurück.

Ich kämpfe mich also weiter, Floh immer an meiner Seite. Da es ihm immer noch prächtig geht, wir aber auf unsere Sollzeit bereits fast 20 Minuten verloren haben, sage ich ihm, dass er weiter laufen soll, wenn er die 5 Stunden schaffen will. Aber er lässt keinen Zweifel daran, dass er bei mir bleiben wird. Na gut. Es folgt nach einer weiteren heftigen Steigung ein steiler Downhill nach Tüchersfeld. Zwei Läufer überholen uns in einem Affenzahn. Einen davon sollen wir 10 km später wieder treffen – mit Krämpfen in den Beinen. Einen so schnellen Downhill muss man eben erst mal verkraften!

Jetzt kommt ein wunderschöner Abschnitt im Waldhang mit tollen Felsformationen. Hie und da sind bereits Kletterer am Werk. Das Einzige, was das Erlebnis etwas stört, ist die Straße, die uns etwa 20 Meter tiefer begleitet und auf der heute am Sonntag ziemlich viel Ausflugsverkehr herrscht. Ich gebe Floh meine Kamera, denn ich habe jetzt keinen Nerv mehr zu fotografieren. Wie gern würde ich diesen Abschnitt mal so richtig genießen. Das ist mir auch die letzten 2 Jahre nicht gelungen. Hier ging’s mir immer schlecht. Heute geht’s mir aber richtig schlecht.

Die Quälerei endet erst mal in Pottenstein an der nächsten großen Versorgungsstelle. Kerstin und Steffi haben uns schon auf die Vermisstenliste gesetzt. Waren wir in Behringersmühle (18 km) noch just in time, so haben wir jetzt (nach 27 km) bereits eine knappe halbe Stunde Verspätung (3:30 bis hierher). Könnten wir jetzt die verbleibenden 15 km in eineinhalb Stunden laufen (normalerweise ein Klacks), kämen genau 5 Stunden raus. Aber das ist aussichtslos, denn es warten noch 500 Höhenmeter auf uns.

Aber erst mal folgen wir weiter der Püttlach, laufen unter der Sommerrodelbahn durch, kommen am Tretbootsee vorbei und erreichen den Eingang der Teufelshöhle. Es sind richtig viele Ausflügler da, die uns erstaunt anschauen. Weiter geht’s an der Forellenzucht vorbei und zum vorerst letzten Treffpunkt mit Kerstin und Steffi. Ich bin stehend k.o.

An der nächsten Versorgungsstelle (es gibt wieder Cola!) esse ich eins von Flohs Gels (er braucht es nicht) und wandere dann erst mal weiter. Ab hier geht es wieder bergauf. Wir überholen den Läufer mit den Krämpfen (ja ja, der Downhill) und liefern uns ein Rennen mit einem weiteren Läufer, der genauso kaputt ist wie ich und nur noch gehen kann – das allerdings deutlich schneller als wir. Wir holen nur dann immer wieder auf, wenn wir kurz mal laufen. Ich sag zu Floh: das gewinnt heute der, der sich mehr quälen kann…

Und siehe da: bei Kilometer 33 überwinde ich mich und fange wieder langsam das Traben an. Es geht zwar leicht bergauf, kein Schatten, es ist ziemlich warm und wir haben Gegenwind – aber egal. Ich sag mir: „jetzt bleibst Du nicht mehr stehen“ und tatsächlich: es geht immer besser und ich laufe die nächsten paar Kilometer bis zur Versorgungsstelle durch. Floh natürlich immer bei mir. Er sieht jetzt auch schon etwas angestrengt aus, aber es geht ihm noch gut. An der Versorgungsstelle ist weit und breit nichts von den anderen beiden Läufern zu sehen. War also doch ich derjenige, der sich mehr quälen konnte. Das gibt mir Auftrieb. Ich weiß, dass jetzt noch zwei heftige Anstiege kommen, die ich auf jeden Fall gehen werde, aber die restliche Strecke kann ich durchlaufen. An der Gaststätte in Leienfels, wo wir am Biergarten vorbei laufen, ernten wir bewundernde Blicke, als ich auf die Frage nach der Länge des Laufs antworte. Kurz darauf verschluckt uns wieder der Wald. Jetzt bin ich wieder ganz gut drauf, leider zu spät für eine gute Zeit. Einmal bleibe ich mit dem Fuß an einem Stein hängen und beim Abfangen schießt fast ein Krampf in die rechte Wade. Gerade noch mal gut gegangen! Die letzten 500 Meter, die steil bergab gehen, bemühe ich mich, nicht mehr zu stolpern und dann kommt auch schon das Ziel in Sicht. Arme hoch und Floh und ich laufen nach 5:42:52 ein.

Tja – so kann’s kommen. Ich wollte eine neue Bestzeit laufen und so ist es die langsamste Zeit bisher geworden. Ich bin trotzdem leidlich zufrieden, denn immerhin hab ich mich durchgebissen, auch wenn ich zeitweise tatsächlich ans Aufgeben gedacht hatte. Das hätte ich Floh aber nicht antun können, der hellauf begeistert von seinem ersten Marathon und jetzt tatsächlich auch etwas außer Atem ist. Es gibt Kuchen, aber keiner von uns beiden hat jetzt Appetit. Es gibt aber auch Bier (mit Alkohol!) und das tut mir jetzt richtig gut.

Nur 2 und 5 Minuten später kommen die anderen beiden Läufer, die ich vor 9 km stehen gelassen hatte. Das war ja ganz schön knapp. Kerstin und Steffi sagen, dass Kati eigentlich auch bald kommen müsste, aber erst mal ist die Trailhexe Elke nach 5:56:03 im Ziel. Sie ist ganz lange mit Kati und Susanne (die nächste Woche den Zugspitz-Ultratrail laufen will) zusammen gelaufen, aber dann hatte sie noch mehr Kraft und ist ihnen davon gelaufen.

Wie wir so auf Kati warten, heißt es plötzlich, unten in der Halle findet gleich die Siegerehrung statt. Ich frage den Mann am Computer, ob er unsere Platzierungen weiß und welche Überraschung: sowohl Floh als auch ich sind 3. unserer Altersklasse geworden! Na gut, bei Floh haben nur 3 gefinisht, aber bei mir waren es immerhin 5 Finisher (inkl. dem mit den Krämpfen). In diesem Fall dürfen wir natürlich die Siegerehrung nicht versäumen, obwohl wir Kati versprochen hatten, bei ihrem Zieleinlauf eine La Ola-Welle zu machen. Tut mir leid, Kati.

Nach der Siegerehrung kehre ich sofort zum Ziel zurück und dort stehen auch Kati und Susanne, die es nach mehrfachem Verlaufen mit 2 weiteren Mitstreitern in 6:29:54 geschafft haben – als Letzte. Kati steht aber als Vorletzte in der Ergebnisliste J, immerhin. 72 Läufer haben das Ziel erreicht, Floh und ich sind auf den Plätzen 56 und 57. Der Sieger Eike Loch vom LAC Quelle hat den Streckenrekord mal eben um 20 Minuten verbessert auf 3:20:56 – aber der ist auch ehemaliger deutscher Marathonmeister. Angela, die letztes Jahr die Frauenwertung in 5:06:17 gewonnen hatte, hätte diesmal keine Chance gehabt: Andrea Schadewell hat in 4:29:48 gewonnen, was für eine tolle Zeit!

Leider müssen Floh und Steffi zurück nach Hause, so dass wir nur schnell duschen (wieder mal eiskalt) und Kati zu ihrem Auto nach Streitberg bringen, bevor es dann bei super Wetter ab nach Hause geht. Schade – ich hätte gern noch ein wenig mit Kati gefachsimpelt. Auf jeden Fall hat sie festgestellt, dass man nur eine Woche nach einem 100 km Lauf nicht gleich einen schweren Traillauf ohne Probleme bestehen kann. Und ich habe festgestellt, dass ich bei weitem noch nicht so fit bin wie im letzten Jahr und die nächsten Bergläufe doch wesentlich defensiver angehen muss. Floh hat bewiesen, dass er so was prima laufen kann. Ganz selbstverständlich war das nicht, denn bis zum letzten Jahr hat er nur Bahnläufe über 800, 1000 oder 1500 Meter gemacht. Aber unser Training in den letzten 4 Wochen hat offenbar gefruchtet – bei ihm allerdings mehr als bei mir.

Schön war’s! Der Frankenweg steht auch im nächsten Jahr wieder auf der Pflichtliste!