Eiger Ultra Trail 20.07.2013
Einmal im Jahr muss ich einen Ultra laufen. Da trifft es sich gut, dass dieses Jahr der Eiger Ultra Trail zum ersten Mal stattfindet. Ein 51 km-Lauf mit irren 3100 Höhenmetern in einer Wahnsinnsgegend – da muss ich hin! Natürlich könnte man auch die 101 km mit 6700 Höhenmetern laufen – muss man aber nicht.
Das Event ist straff durchorganisiert. Bei der Startnummernausgabe wird die umfangreiche Pflichtausrüstung kontrolliert (von der ich – außer der Trinkblase, die ich im Verlaufe des Rennens zweimal auffüllen muss – rein gar nichts benötigen werde) und zu 2 unterschiedlichen Terminen findet ein obligatorisches Briefing statt (na ja, kontrolliert wird da gar nichts, auch Kerstin darf mit und so erhellend sind die Informationen auch wieder nicht). Das Wetter verspricht sehr gut zu werden. Allerdings gibt es nachmittags eine große Gewittergefahr, wo in kurzer Zeit mit „großen Wassermassen“ zu rechnen ist. So ein Gewitter geht auch am Freitag kurz vor dem Briefing in Grindelwald nieder. Das kann ich am Lauftag aber nicht gebrauchen…
Wie immer trifft man bei solchen Veranstaltungen alte Bekannte wieder, diesmal sind es Joachim und Sara und später treffen wir auch noch das „Trailschnittchen“ Julia und die Schweizer Daniel und Markus.
Die Nacht ist kurz, um 4:30 klingelt der Wecker. Um 5:00, als die 101 km-Läufer starten, ist es noch ziemlich finster. Aber es wird schnell heller und es verspricht ein Traumtag zu werden.
Nach einem gemütlichen Frühstück im Hotel sind wir kurz vor 6:30 im Startgelände, das direkt neben dem Hotel liegt. Alle sind in gespannter Erwartung, was der Tag bringen wird.
Punkt 7:00 Uhr dann der Startschuss zu 51 km durch das schönste Gebiet des Berner Oberlandes. Es geht vom Start weg mehr oder weniger steil bergauf und viele rennen wie verrückt. Ich lass mich nicht hetzen und bin gefühlt bald am Ende des Feldes (es bleibt aber beim Gefühl).
Der Blick zum Eiger ist bereits jetzt phantastisch!
Bei Kilometer 1,7 ist eine kleine Engstelle, vor der man uns schon beim Briefing gewarnt hat. Es ist zwar ein kleiner Stau, aber keiner hat große Hektik – geht schließlich noch ganz lange bergauf.
Die Markierungen sind super. Entweder Schilder mit großen roten Pfeilen, oder Bodenmarkierungen mit orangener Farbe. Ich bin der Meinung, man konnte sich eigentlich nicht verlaufen, auch wenn es einige dennoch wieder geschafft haben, den richtigen Weg zu verfehlen…
Vorbei an einem Berggasthof kämpfen wir uns immer weiter in die Höhe. Laufen kann hier keiner, „Speedwandern“ ist angesagt. Schließlich kommen noch viele Kilometer und Höhenmeter. Noch findet alles im Schatten statt und die Temperatur ist sehr angenehm. Das erste Schneefeld an einer geschützten Stelle kommt in Sicht.
In der Zwischenzeit ist Kerstin mit der Gondelbahn auf den Weg nach oben zum First, Grindelwalds Hausberg, wo wir uns das erste Mal sehen werden. Bei der Zwischenstation Bort ist eine Versorgungsstelle der 101 km-Läufer, die vom First eine knapp 10 km lange Zusatzschleife laufen müssen und siehe da: gerade als Kerstin dort ankommt, läuft Joachim ein.
Zu etwa der gleichen Zeit kommen wir auf der großen Scheidegg an. Marianne, die ich erst am First kennenlerne, lässt sich kurz vorher mit dem Bergpanorama fotografieren und ich bin mit auf dem Bild, denn wir laufen fast die ganze Zeit zusammen, was ich erst hinterher feststelle. Mittlerweile ist die Sonne über die Berge gekommen und es wird zusehends wärmer.
Bis hierher waren es 7,7 km und über 950 Höhenmeter. Die Versorgungsstellen sind zwar nicht ganz so gut wie die von Plan-B, aber es gibt auch fast alles, was das Herz begehrt. Ich probiere ein Gel mit Salz – schmeckt scheußlich, aber mit genügend Wasser runtergespült geht es und das Salz tut mir heute bestimmt gut.
Beginn und Ende der Versorgungsstellen sind mit Strichen und Schildern markiert. Außerhalb dieser Markierungen darf man keinen Müll wegwerfen und wird bei Zuwiderhandlung mit einer Zeitstrafe oder bei Wiederholung mit Disqualifikation bestraft. Das finde ich sehr gut!
Jetzt geht es auf Bergwegen leicht rauf und runter dahin. Bis zum First müssen wir noch ein paar Höhenmeter bewältigen, aber es ist alles gut laufbar. Kurz vor der Versorgungsstelle trennen sich die Wege des E51 und E101, denn die anderen müssen ja die Zusatzschleife laufen, während wir direkt zur Versorgungsstelle dürfen.
Hier ist das erste Zeitlimit mit 3:40. Ich hab’s aber wie geplant in 2:30 geschafft (für 13,5 km mit knapp 1500 Hm), also kein Problem. Jetzt heißt es erst mal viel trinken und Gels essen, denn es ist trotz einer Höhe von 2250 Metern schon ganz schön warm, das Wetter ist aber auch traumhaft schön. Kerstin macht derweil Foto um Foto.
Weiter geht’s! Ich laufe mit kleinen Schritten bis zum nächsten Sattel hoch, wo man wieder einen tollen Blick zum Eiger hat. Eine Läuferin bittet mich, sie dort zu fotografieren und macht auch gleich noch ein Bild von mir. Beim Weiterlaufen schaue ich auf ihre Nummer, um zu sehen, ob sie 51 oder 101 km läuft. Da steht doch „Marianne“ auf der Nummer? Kati hatte mir noch gesagt, „wenn Du eine Läuferin namens Marianne triffst, musst Du sie ansprechen, das ist eine Freundin von mir“. Ich also: „Du bist Marianne, die Freundin von Kati?“ Völlig perplex sagt sie: „Ja, woher weißt Du das denn?“ Was für ein Zufall! Und dabei laufen wir schon die ganze Zeit zusammen, ohne es zu wissen.
Während Marianne und ich uns erst mal zusammen weiter nach oben kämpfen (ca. 250 Hm sind noch zu überwinden), hat auch Kerstin ihre Überraschung, denn Wilma taucht völlig unerwartet auf, eine holländische Läuferin, die wir letztes Jahr in Gondo kennengelernt haben. Mir war schon kurz nach dem Start so, als hätte ich sie gesehen, war also tatsächlich sie. Einige Minuten später taucht auch Joachim wieder auf; wegen seiner Zusatzrunde hab ich ihn nun überholt.
Marianne und ich kommen derweil zum Alpbachsee, eine wunderschöne Alpenlandschaft vor uns.
Über die ersten Schneefelder schraubt sich der Weg weiter hoch. Ich bin der irrigen Ansicht, das wäre bereits der Anstieg zum Faulhorn und bin bass erstaunt, dass wir den „Gipfel“ schon bei einer Höhe von 2400 Metern erreichen (das Faulhorn hat 2680). Ist auch nicht der Faulhorngipfel, sondern nur die Fernandeshütte. Die Landschaft ist so spektakulär, dass einem die Spucke wegbleibt und gute Laune ist vorprogrammiert. Etwa 17 km in 3 Stunden sind geschafft.
Der Abstieg zur nächsten Versorgungsstelle in Oberläger Bussalp ist wunderbar zu laufen. Hier bei Kilometer 21 ist das nächste Zeitlimit mit 5:25. Wir schaffen es aber in 3:42, haben unseren Vorsprung also gut gehalten.
Aber jetzt kommt der lange Aufstieg auf das Faulhorn: nur 3 km, aber über 600 Höhenmeter warten auf uns. Oben ist das nächste Zeitlimit bei 6:45, also über eine Stunde Zeit, hoch zu kommen. Wir brauchen auch tatsächlich eine Stunde hoch und sind nach insgesamt 4:47 Stunden und bereits ca. 2500 Hm auf dem höchsten Punkt der Strecke.
Den Bergpreis gewinnen wir nicht, aber immerhin sind wir oben und es geht mir trotz der großen Höhe noch erstaunlich gut. Die Bettwäsche hängt zum Trocknen im Nebel – wie lange das wohl dauert? Auf dem Gipfel ist eine Zeitmessstation und jeder Ankömmling wird namentlich begrüßt. Oben ist eine kleine Versorgungsstation und dann stürzen wir uns auch schon in die Tiefe: ein langer Abstieg wartet nun auf uns, von kleinen Anstiegen abgesehen 800 Höhenmeter bergab.
Marianne ist noch deutlich lockerer drauf als ich und läuft mir jetzt zusehends davon. Als schließlich die Schneefelder aufhören (manchmal eine ganz schöne Rutschpartie), kommen wir in einen sonnendurchfluteten Hang und es wird richtig warm. Kein Schneefeld mehr, kein Bachlauf, nichts. Nur noch Hitze, Staub und Trockenheit. Das macht mir schwer zu schaffen. Marianne ist nicht mehr zu sehen.
Obwohl der Weg auch eben weiter gehen würde, schickt uns die Markierung steil nach oben. Weiter vorne ist schon zu sehen, dass beide Wege wieder zusammen kommen. Was soll das denn? Muss das sein? Als ich oben bin, weiß ich, warum: ein genialer Blick runter nach Interlaken und dem Brienzer See entschädigt für die Mühe.
Nach einer steilen Treppe überquere ich einen Sattel und sehe wieder einen riesigen weiten Hang vor mir. Oje, das muss ich alles noch laufen. Der nächste Versorgungsposten auf der Schynige Platte ist vom Faulhorn 11 km entfernt – eine ganz schön lange Durststrecke (im wahrsten Sinne bei dieser Hitze!).
Die Schynige Platte erreiche ich mehr schlecht als recht nach insgesamt 7 Stunden und bin damit immer noch meilenweit weg vom letzten Zeitlimit von 10:25. Jetzt werde ich das auf jeden Fall schaffen, auch wenn aus meinen prognostizierten 8 – 9 Stunden wohl nichts mehr werden wird. Denn jetzt folgt ein 9 km langer und über 1000 Höhenmeter tiefer Abstieg zum nächsten Treffpunkt mit Kerstin an der tiefsten Stelle der Strecke in Burglauenen. Wer glaubt, das könne man doch locker laufen, täuscht sich gewaltig! Steile, teilweise grob geschotterte Forstwege wechseln sich mit noch steileren Wiesen ab, an denen das Heu gemacht wird. Durch einen Bergwald geht es in ständigen Kurven supersteil über Wurzeln und Steinen bergab. Ein Fehltritt und Du bist verloren!
Auf einem Abschnitt auf dem Forstweg knattert ein Trecker mit Anhänger vor uns her, der die gesamte Wegbreite einnimmt. Keiner traut sich zu überholen, aber er ist viel langsamer als wir Läufer. Ich halte mich schließlich an der Ladekante des Anhängers fest und schiebe mich rechts vorbei. Kurz nach mir machen es die anderen nach…
Ich hatte mir schon gedacht, dass dieser Abschnitt mindestens eineinhalb Stunden dauern würde, zudem zwei steile Zwischenanstiege dabei sind, die es wirklich in sich haben. An einer Stelle reißt mir auch noch ein Loch der Startnummer aus und ich muss erst mal einen spitzen Ast suchen, um ein neues Loch zu bohren. Es dauert denn auch 1:35, bis ich endlich unten ankomme zur größten Versorgungsstelle des Laufs.
Jetzt sind schon 8:35 Stunden vergangen und es fehlen ja noch die abschließenden, leicht ansteigenden 8 km bis ins Ziel. Das ist ein langer Tag! Hier ist die große Wechselstelle für die 101 km-Läufer, denn die haben hier Halbzeit (oh Gott, noch mal so weit und noch mal so viele Höhenmeter!). Es gibt alles, sogar Pasta. Ich treffe neben Wilma, die mich hier einholt, noch auf meinen Namensvetter, den ich vom letztjährigen Trailrunning Camp kenne und der die 101 km läuft (er wird nach 18:57 Stunden ins Ziel kommen!). Viele hören hier auf, zu groß sind die Strapazen.
Ich nehme noch eine herrliche Kaltwasserdusche und dann mache ich mich auf die nächsten 8 Kilometer.
Erst gehe ich ein Stück, aber dann überholen mich 3 Schweizer, von denen einer meint: „lass uns laufen, dann ist es schneller vorbei“. Wie recht er hat. Ich häng mich dran, überhole sie später noch, denn an den Anstiegen müssen sie gehen und obwohl ich in Sichtweite des Ziels auch immer wieder gehen muss, holen sie mich nicht mehr ein. Die Hitze ist jetzt brutal und auf den letzten 3 Kilometern gibt es auch keinen Schatten mehr. Ich bin genervt, denn meine Uhr zeigt schon fast 52 km an und es sollten doch nur 51 sein! Und die 10-Stundenmarke kommt immer näher.
Jetzt noch ein supersteiler Aufstieg, der noch mal 150 Höhenmeter bringt und dann bin ich endlich auf der Zielgeraden.
Kerstin bekommt Stress, als sie mich sieht, denn sie hat noch gar nicht mit mir gerechnet. Sie läuft rasch runter ins Ziel, während ich einen anderen Weg nach unten nehmen muss und dann endlich nach 9:47:47 (und gemessenen 52,5 km und 3000 Hm) durchs Ziel schreite.
Puh, endlich geschafft! Ich glaube, das war nach den 100 km von Biel der härteste Lauf, den ich je gemacht habe. Der schwierigste von der Laufstrecke her auf jeden Fall. Aber nicht nur ich bin k.o., auch anderen geht’s nicht besser. Gott sei Dank hat Kerstin mir eine eiskalte Cola mitgebracht, die wirkt jetzt Wunder.
Nachdem ich mich einigermaßen erholt habe, geht’s erst mal ins Hotel zum Duschen (ist ja nicht weit), was dringend notwendig ist, denn meine Beine sind total verdreckt.
Nachdem ich mich noch etwas ausgeruht habe, starten wir wieder Richtung Zielgelände und jetzt, eineinhalb Stunden nach meinem Zieleinlauf, kommt das prognostizierte Gewitter mit heftigstem Regen.
Die Armen, die jetzt noch unterwegs sind. Wie ich am nächsten Tag erfahre, musste für die 101 km-Läufer die Passage über den Eigergletscher aus Sicherheitsgründen gesperrt werden und die Läufer wurden mit Gondeln zu dem Punkt gebracht, von dem sie weiterlaufen konnten. Wir setzen uns nach dem großen Regen auf die Terrasse unseres Hotelrestaurants und schauen beim Abendessen zu, wie einer nach dem anderen ins Ziel kommt. Der letzte E51-Läufer kommt nach 14 Stunden an (das Zeitlimit waren 15 Stunden) und der letzte E101-Läufer nach 21:46 Stunden – aber da liegen wir längst im Bett).
Die Sieger waren beim E51 der Schweizer David Janin in 5:27:41 und beim E101 der Spanier Iker Karrera in 11:38:43 (eigentlich 11:08:43, aber irgendwo hat er eine Zeitstrafe kassiert, wahrscheinlich hat er außerhalb der Verpflegungsposten gemüllt). Wahnsinn: Iker ist 2 Stunden vor mir gestartet, ist die doppelte Strecke mit mehr als doppelt so vielen Höhenmetern gelaufen und kam knapp 40 Minuten vor mir ins Ziel! Sein Vorsprung auf den Zweiten betrug 1:20 (50 Minuten nach der Zeitstrafe).
Und ich? Na ja, immerhin Gesamtplatz 167 von 258 Finishern und Platz 92 von 152 in meiner Altersklasse. Marianne hat mir 25 Minuten abgenommen und ist in hervorragenden 9:24:46 ins Ziel eingelaufen (Platz 36 von 76 Finisherinnen). Bei den E51 haben 8 Männer und 9 Frauen das Ziel nicht erreicht, bei den E101 waren es 126 Männer und 10 Frauen. Ich denke, das zeigt deutlich, wie schwer die Strecke war. Ich bin jedenfalls stolz, das noch ganz gut geschafft zu haben, denn es war wirklich ein schweres Stück Arbeit. Aber geniales Wetter und das Gewitter erst nach dem Zieleinlauf – was will ich mehr?