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Gondo-Event, 1. Tag

Das Frühstück gibt es für alle Läufer im Stockalperturm. Es ist alles da, was das Läuferherz begehrt.

Zum Startbereich sind es nur ein paar hundert Meter. Es ist ein Lauf der kurzen Wege. Wir bringen unsere Taschen zum LKW, der sie nach Brig fährt und ich treffe auch Kati wieder (sie hatte mich schon beim Frühstück aufgespürt) – natürlich haben wir beide das Finisher-Shirt vom K78 an …

Außerdem treffe ich Max Frei. Er ist bei den Salomon 4 Trails Gesamt-Sechster geworden und dürfte hier die Favoritenrolle haben, nachdem der Vorjahressieger Martin Schmid diesmal nicht dabei ist: er hat sich beim Swiss Alpine zu sehr verausgabt (ist ja immerhin Dritter geworden) und schaut diesmal nur zu.

Die Stimmung ist prächtig. Das Wetter verspricht ganz gut zu werden. Brigitte will sich zum Briefing erst auf einen Stuhl stellen, aber da muss ich eingreifen, denn das ist nun wirklich zu wackelig. Schnell schieben wir einen Tisch zurecht, auf den sie steigen und zu der kleinen Läuferschar sprechen kann. Es geht wie üblich vor allem um die Markierungen: weiße Flatterbänder mit Aufdruck und Striche, Punkte oder ähnliches auf den Steinen und der Straße – aber immer in blauer Farbe! Außerdem ab und zu ein Gondo-Schild in blauer Schrift auf weißem Grund.

Wir sind alle gespannt, was der Tag bringen wird. Brigitte ist schon wieder im Stress: gestern waren die Startnummern nicht da, heute fehlt die Zeitnahme – aber diesmal sind es die Schweizer, die nicht pünktlich sind. Kurzerhand stoppt Brigitte selbst und gibt das Startkommando. Es kann endlich losgehen.

Nachdem der Start unten am Fluss war, geht es sofort ein paar Meter steil die Straße hoch. Weitere 300 Meter laufen wir auf der Hauptstraße und dann biegen wir gleich nach rechts auf das Dach der Straßengalerie ab. Der Trail beginnt. Asphalt werden wir heute nicht mehr viel sehen.

Es geht durch die Gondo-Schlucht, immer hart bergauf, immer hart an, über oder unter der Passstraße, zum Teil auf Eisenrampen und nach wenigen Kilometern durch einen Festungsstollen, wo wir kurz nach dem Eingang aufpassen müssen, dass wir nicht gegen das Kanonengeschütz rennen.

Kurze Zeit später taucht auch schon die erste Versorgungsstelle auf einer Brücke auf. Weiter geht’s auf Wanderwegen, Eisenrampen und –Treppen. Das Tal ist so eng, dass man immer wieder direkt an der Straße ist. An einer Stelle haben sie sogar Sägespäne auf den Weg gestreut, damit er nicht zu matschig ist. Toll – aber das war auch das einzige Mal (matschig war es dagegen öfters!).

Kurz hinter Kilometer 5 überholt uns Erwin. Er ist ganz am Ende des Feldes gestartet, aber nachdem er heute alleine läuft, ist er natürlich relativ schnell unterwegs. In Gabi treffen wir das erste Mal auf Kerstin, denn hier queren wir die Straße und es geht nun weiter aufwärts nach Simplon-Dorf.

Kerstin kommt mit dem Auto hinterher. Nach Simplon-Dorf wird ein kurzes Stück Straße gelaufen, durch das Dorf einige Stufen hoch und dann nach der Versorgungsstelle auf einer schönen Wiese weiter.

So langsam nähern wir uns dem Simplon-Pass. Am „Alten Spittel“ vorbei (ein altes Kasernengebäude) erreiche ich nach 2:40 die Versorgungsstelle kurz vor dem Simplon-Pass und bin damit meilenweit vom Zeitlimit von 4 Stunden entfernt. 17 km und 1200 Hm waren es bis hierher. Da kommt schon noch einiges, denn heute sollen es knapp 2000 Hm werden.

Die leckeren Bratwürste sind heute leider nicht für mich. Für mich gibt es frisches Obst, Wasser, Iso, Cola, Bouillon – alles was das Läuferherz begehrt. Nach einer kurzen Pause geht es weiter. Bis jetzt bin ich ziemlich gut drauf. Kurze Zeit später begegnet mir Brigitte im Laufdress. Sie hat die Passage über den Bistinenpass kontrolliert und musste feststellen, dass die Kühe teilweise die Markierungsbänder gefressen haben (na ja, zerkaut). Also hat sie schnell neu markiert. Ist schon gut, wenn die Organisation auch so fit ist.

Der älteste Teilnehmer, Vinzenz taucht kurze Zeit später mit seiner Tochter auch an der Versorgungstelle auf, sowie Joachim, der sich heute Zeit lässt.

Oft weisen jetzt Fähnchen den Weg, weil keine Bäume mehr vorhanden sind, um Bänder anzuhängen. Der Weg wird nun zunehmend abenteuerlich, das kenne ich schon vom letzten Jahr. Nur dass ich hier letztes Jahr im dichten Nebel unterwegs war und heute erst mal richtig sehen kann, durch was für eine großartige Landschaft ich hier laufe. Schließlich dürfen wir dann gar nicht mehr dem Wanderweg folgen, sondern müssen an einem kleinen Bachlauf entlang. Früher gab es hier gar keinen Weg, aber nach 10 Jahren Gondo-Event ist jetzt hier ein richtiger Trampelpfad entstanden.

Über interessante Saumpfade geht es weiter. Manchmal ist unklar, ob das ein Weg ist oder nicht. Diese Streckenführung haben wir dem Umstand zu verdanken, dass die deutschen Läufer Brigitte überredet haben, dass an beiden Tagen die Marathonstrecke gelaufen werden muss. Bei der ersten Austragung waren die Läufe nämlich etwas kürzer und Brigitte musste etwas improvisieren, um die 42,2 km zusammen zu bekommen (letztlich sind es doch eher jeweils 43 km geworden …).

Schließlich erreiche ich mit dem Bistinenpass den höchsten Punkt der Strecke (2365 m). Ich bin nicht mehr ganz so flott unterwegs, denn langsam merke ich doch die fehlende Erholung nach dem Swiss Alpine. 23 km und 1650 Hm habe ich bis hier gemacht. Und fast 4 Stunden dafür gebraucht!

Freundliche Helfer haben hier oben eine Versorgungsstation aufgebaut. Auch eine Ärztin ist hier und fragt nach, ob alles in Ordnung ist. Ich sage ja, obwohl es mir momentan gar nicht so gut geht. Ich verweile nur kurz, denn ist windig und kalt hier oben und so mache ich mich auf den Weg nach unten. Im letzten Jahr hatte ich hier oben die Jacke angezogen, nur um sie einen Kilometer später wieder auszuziehen. Heute bleibt die Jacke daher im Rucksack, denn das Wetter ist eigentlich gar nicht schlecht.

Es geht rasant nach unten, aber so richtig kann ich das nicht genießen. Ich hab meine Salomon XT Wings 2 an und die sind mir etwas zu klein. Ständig stoße ich mit den Zehen vorne an und das nervt total – mal ganz davon abgesehen, dass es auch weh tut. Außerdem stolpere ich ein paar Mal und das tut richtig weh. Ich fluche vor mich hin. Nie wieder ziehe ich diese Schuhe auf so einer Strecke an!

Weiter unten komme ich mit einem Läufer ins Gespräch, der mit Stecken unterwegs ist. Er trainiert für den UTMB (Ultra Trail du Mont Blanc – der Trailklassiker schlechthin: 160 km um das Mont Blanc Massiv herum) und lenkt mich mit seinen Geschichten etwas ab. Eigentlich warte ich schon die ganze Zeit auf das Highlight des ersten Tages: die Durchquerung der Saltina. Zur Erinnerung an die erste Austragung, als der Fluss so stark angeschwollen war, dass er die Brücke weggerissen hatte und die Läufer ihn durchqueren mussten, wird seitdem die neu gebaute Brücke links liegen gelassen und die Läufer müssen gut gesichert von Feuerwehrleuten durch den Fluss waten. Doch die Saltina lässt auf sich warten. Mehrmals müssen wir steile Rampen rauf und wieder runter laufen, bis die Absperrbänder endlich den Fluss ankündigen.

Ich freue mich schon auf die Abkühlung, auch wenn die Schuhe hinterher doppelt so schwer sind. Der Fluss führt heute wenig Wasser. Ging es letztes Jahr noch bis über das Knie, hört es heute schon bei der halben Wade auf. Nass wird man trotzdem und die folgende Versorgungsstelle bei km 40 ist die letzte für den heutigen Tag.

Wie gut, dass ich schon weiß, was jetzt kommt: nach einigen hundert Metern wunderbar schattigem Waldweg geht es nach rechts supersteil eine Moräne hoch. Im letzten Jahr war das noch ein richtiger k.o.-Berg für mich, aber heute komme ich dort ganz gut hoch. Hier keucht allerdings jeder. Aber es ist ja nicht mehr weit, wie das 1500 Meter-Schild ankündigt. Bis auf die letzten 500 Meter geht es aber weiter bergauf und an Laufen ist bei mir nicht mehr zu denken.

In Brig scheint die Sonne und während Max Frei schon nach tollen 3:52:04 als Erster das Ziel erreicht, dauert es heute bei mir 6:44:33 und damit 19 Minuten mehr als letztes Jahr. Ich bin trotzdem zufrieden. Hauptsache endlich die schmerzenden Schuhe ausziehen! Wenigstens hat das Tape um meine Zehen gehalten, denn die Blasen vom Swiss Alpine sind natürlich noch nicht ganz verheilt.

Ich übernachte heute wieder in der Zivilschutzanlage, einem Bunker unter der Schule, in dem man sich fühlt wie in Abrahams Schoß. Als ich mit Kerstin den Bunker inspiziere, kommen zwei laut schimpfende Mädels wieder raus – anders als die Schilder es suggerieren, sind Schlaf- und Waschraum nicht nach Männlein und Weiblein getrennt, sondern gemeinsam – unerhört!!

Nach einem ersten Bier geht’s mir auch schon wieder viel besser und ich kann mit Brigitte fachsimpeln. Sie hatte heute neben den „gefressenen“ Markierungsbändern noch mal Stress, weil ein holländischer Teilnehmer nicht am Simplonpass angekommen ist und sich auch nicht abgemeldet hat. Erst später erfährt sie, dass er kurz vorm Pass ausgestiegen und per Anhalter zurück gefahren ist. Das ist natürlich nicht die feine Art!

Ich empfange erst Joachim und schließlich auch Kati im Ziel. Da bin ich aber auch schon geduscht (mit eiskaltem Wasser – sehr erfrischend!), denn Kati braucht heute 8:10:51 und ist im Ziel erst mal völlig fertig.

Aber auch Kati kommt mit einem alkoholfreien Bier, das Kerstin für sie besorgt hat, schnell wieder auf die Beine. Schließlich kommt auch Joachims Tochter Sara nach 8:41:28 ins Ziel. Eigentlich ist nach 8 Stunden Zielschluss, aber das kümmert hier keinen.

Der älteste Teilnehmer, Vinzenz Fischer, scheidet heute leider aus. Im letzten Jahr hat er es noch geschafft, doch dieses Jahr ist die Strecke zu viel für ihn. Auch den zweiten Tag wird er zwar antreten, aber nicht ganz schaffen.

Ich lass mich noch massieren, befolge danach den Rat des Masseurs, meine Achillessehnen im Dorfbrunnen zu kühlen und dann spazier ich mit Kerstin an den schönen Walliser Berghäusern vorbei zum Abendessen.

Kerstin bricht nach dem Abendessen, das in der Schule stattfindet und eigentlich ganz gut ist (nur die Getränke kosten ein Vermögen!), wieder auf, denn sie muss zurück nach Gondo fahren, um dort zu übernachten. Als sie losfährt, fängt es wie verrückt zu regnen an. Am nächsten Tag erzählt sie, dass sie und ein paar andere Autos auf der Auffahrt zum Simplonpass anhalten mussten, weil man vor Regen nichts mehr sehen konnte. Als ich mich bettfertig mache, merke ich, dass ich noch den Geldbeutel habe und Kerstin jetzt „mittellos“ ist – na toll! Und ich kann sie jetzt noch nicht mal anrufen. Na ja, dann bekommt sie den Geldbeutel eben morgen, wenn wir uns zum ersten Mal sehen.

Schnell bin ich gewaschen und leg mich um acht Uhr schon in meinen Schlafsack. Bald geht auch das Licht aus und man hört nur noch das Brummen der Lüftung. Trotz schmerzenden Knochen schlaf ich ziemlich schnell ein.

Weiter zum zweiten Tag.