Wie bereits erwähnt, laufen wir am zweiten Tag eine Alternativroute, weil der Weg über die Grünsteinscharte von einem Erdrutsch verschüttet wurde. Das Höhenprofil sieht aber nicht viel anders aus als beim Original, es fehlen lediglich 4 km und 450 Höhenmeter, sind aber immer noch gut 41 km und 2.300 Hm.
Die ganze Nacht hat es gewittert und heftig geregnet, was ich aber kaum mitbekommen habe, weil ich ziemlich fest geschlafen hab, aber am Morgen ist das Wetter wieder bestens und ich habe eine wunderbare Sicht auf die Berge ringsum. Um fünf Uhr geht der Wecker, denn heute starten wir um 7:00. Im Hotel gibt’s erst ab 6:00 Frühstück. Das wird ganz schön knapp. Ich gehe schon 10 Minuten vorher hin. Das Frühstück ist 1a, schade, dass ich es nicht ausführlicher genießen kann. Immerhin hab ich nur 100 Meter zum Start, wo sich auch schon wieder die Schar Läufer eingefunden hat.
Nach dem pünktlichen Start lassen wir den steilen Aufstieg zur Ehrwalder Alm erst mal links liegen und laufen fast eben 5 km lang durch den Wald und über morastige Wiesen. Mir geht’s erstaunlich gut, eigentlich wie immer am zweiten Tag. Dann folgt ein langer Anstieg über eine Skipiste. Die markierte Strecke windet sich in langen Serpentinen hoch, aber den meisten Teilnehmern kann es offensichtlich nicht steil genug sein, denn sie stapfen die Direttissima hoch. Aber nicht mit mir. Der Tag davor sollte mir eine Lehre sein.
800 Höhenmeter später kommen wir auf dem Marienbergjoch an, wo die erste von 3 Versorgungsstellen auf uns wartet. Neben der vielen Leckereien, die man für uns bereit hält, sehe ich im Hintergrund im Brunnen das kühl gestellte Bier. Nein, das wäre heute noch zu früh… Das Zeitlimit von 3 Stunden habe ich wieder um 1:30 unterboten und diesen Vorsprung kann ich auch heute wieder bis ins Ziel halten. So wird das jeden Tag ablaufen. Man schafft es kaum, im weiteren Verlauf der Strecken noch weiter Zeit auf die Limits gut zu machen.
Den nächsten Abstieg muss man hochkonzentriert laufen, denn der Weg ist nicht ganz einfach. Knappe 800 Hm später kommt dann auch schon die nächste Versorgungsstelle in Sicht. Das Wetter ist super, nicht so warm wie am Vortag und es schieben sich immer wieder mal ein paar Wolken vor die Sonne. Entsprechend gut geht's mir.
Jetzt kommt ein längerer Abschnitt mit sehr vielen Höhenmetern bis zur nächsten Versorgungsstelle. Beim Briefing am Vorabend hat man uns schon vorgewarnt und ermahnt, gut aufzutanken. Ich füll daher noch mal meine Trinkblase komplett auf. Auf herrlichen Wegen geht es erst mal wieder 800 Hm rauf auf die Haiminger Alm.
Über diesen Hügel muss ich doch bestimmt nicht drüber, oder? Doch, wenn ich genau hinsehe, sehe ich zwischen den Büschen einzelne Gestalten, die sich ebenfalls bergauf kämpfen. Endlich auf dem Hügel angekommen, sehe ich, dass das noch lange nicht das Ende war: bis zum Kreuz geht es noch hoch.
Das letzte Stück ist so steil, dass man fast auf allen Vieren krabbeln muss. Mir geht es gar nicht gut. Die Höhe macht mir zu schaffen. War die höchste Stelle am ersten Tag nur 1616 Meter, so müssen wir jetzt auf 2203 Meter und das merke ich gewaltig. Der Fotograf, der erstaunlicherweise hier oben sitzt, fragt schon besorgt nach, ob’s noch geht. Na ja, muss ja. Nach einer kurzen Rast am Kreuz mach ich mich an den Abstieg. Bis ins Ziel in Imst geht es jetzt schlappe 1500 Hm steil runter. Den Anfang macht ein gut gesichertes, sehr ausgesetztes Kletterstück.
An der eigentlich sehr deutlich gekennzeichneten Abbiegestelle hat sich heute der Führende verlaufen, der Franzose Francois Dhaene: mit Tunnelblick ist er einfach den Gipfelgrat weiter gelaufen und hat einen ganz anderen Weg nach unten genommen. Da er dadurch an der letzten Versorgungsstelle nicht aufgetaucht war, wird er sofort gesucht. Kurz bevor der Hubschrauber herbestellt wird, kommt er dann doch noch ins Ziel. Eigentlich wäre er jetzt disqualifiziert worden, aber die 20 Minuten Rückstand, die er sich eingehandelt hat, sind wohl Strafe genug. Es wird ihn jedenfalls den Gesamtsieg kosten.
Ich verlauf mich nicht, registriere freudig die „10 km to go“ und stürze mich bergab. Kurze Zeit später stoße ich auf einen Läufer, der an einer ausgesetzten Stelle betont vorsichtig und langsam durchgeht. Er verrät mir, dass er Höhenangst hat. Oje, was macht der dann hier? Das Kletterstück oben hat er nur geführt durch einen anderen Läufer überwinden können. Man trifft schon seltsame Typen…
Eine halbe Stunde später, die Oberschenkel brennen schon ordentlich, höre ich plötzlich Musik. Ein Läufer mit einem Radio kommt mir bergauf entgegen: es ist der "Gripmaster" Stephan Repke, der von Plan B als Fotograf eingekauft ist. Wir wechseln ein paar Worte, dann filmt er einen Teil meines Downhills: die Kamera hält er schräg nach hinten und rennt den Berg schneller runter als ich – unglaublich! Er verabschiedet sich mit den Worten „gleich kommt die Versorgungsstelle“. Na ja, eine Viertelstunde dauert es schon noch. Kurz die Beine abkühlen lassen, dann geht’s weiter bergab, denn das war erst ein Drittel der Strecke. Ich lass es laufen, obwohl ich das Gefühl hab, dass meine Oberschenkel gleich platzen.
Unten angekommen, schau ich noch mal zurück. Von da oben bin ich gerade in eineinhalb Stunden runter gerannt. Nicht schlecht!
300 Meter vorm Ziel dann noch eine kleine Schikane: über eine Wiese geht es 100 Meter sehr steil hoch. Jeder flucht, auch Kai, der hier unmittelbar vor mir ist und den ich heute noch näher kennen lerne. Im Ziel werden wir wie immer freudig begrüßt. Insbesondere Uta, die Leiterin des Orgateams, begrüßt mich immer sehr persönlich und mit einem strahlenden Lächeln. Da kann man gar nicht mehr böse sein über die Schikane am Schluss.
Heute hab ich für die 41 km 7:39 gebraucht. Da wir um 7:00 gestartet sind, ist es noch relativ früh. Nachdem ich nicht genau weiß, wo mein Hotel ist, gehe ich zum Shuttle-Bus, der die Läufer zu ihren Quartieren bringt. Ich habe etwas Pech: der Fahrer versteht nicht ganz, wo ich hin will und fährt daher erst mal aus Imst raus, um die anderen Läufer im Bus zu verteilen. Bis Nassereith muss er fahren. Im Bus sitzen zwei Spanier, die große Verständnisprobleme haben (selbst ich verstehe den eingeborenen Fahrer nur mit Mühe), also biete ich mich als Dolmetscher an. Sie heißen Andres und Helena und kommen aus Salamanca. Sie sind unheimlich nett und in den nächsten Tagen treffe ich sie immer wieder auf der Strecke, weil sie insgesamt nur unwesentlich schneller laufen als ich. So kann ich mein Spanisch etwas auffrischen, denn die beiden sprechen nur Spanisch (Helena kann nur etwas gebrochen Englisch).
Nach meiner Rundfahrt durch die Vororte von Imst komme ich endlich in meinem Hotel an. Zu Fuß wären es 20 Minuten gewesen. Na ja. Zur Pasta Party kann ich zu Fuß gehen, mittlerweile ist wieder bestes Sommerwetter und eine Bullenhitze. Ich bin zu früh, also gehe ich zum Cafe nebenan und hole mir ein alkoholfreies Weizen. Dort lerne ich dann Kai und seine Frau Kathrin (die nur begleitet) kennen. Wir verstehen uns sofort blendend und stellen fest, dass wir nahezu das gleiche Tempo laufen. Später genießen wir die Lasagne, die Siegerehrung der Tagessieger und die Bilder des Tages und wir freuen uns schon auf den dritten Tag – den „Ruhetag“.
Weiter zum dritten Tag.