Valencia Marathon 03.12.2023

Nur 3 Wochen sind nach der Schlammschlacht von Zeil vergangen. Drei Wochen, in denen ich trotz des Wintereinbruchs nochmal intensiv trainiert und sogar zwei lange Läufe gemacht habe, um einigermaßen gut vorbereitet im spanischen Valencia an den Start gehen zu können.

 

Auf die Idee mit Valencia hat mich Lauffreund Torsten gebracht, der hier seinen 30. und angeblich letzten Marathon laufen will. Die Startplätze waren längst ausgebucht (trotz 33.000 Plätzen!), sodass wir bei einem Laufreiseveranstalter gebucht haben. Mit Grosse-Coosmann waren wir schon 2002 auf Hawaii und diesmal eben Valencia.

 

Valencia liegt südlich von Barcelona an der spanischen Mittelmeerküste und dort kann man bei Dezembertemperaturen um die 20° wirklich den Sommer verlängern. Wir reisen Freitagfrüh an, machen eine Stadtrundfahrt mit dem Hop-on, Hop-off Bus, schauen uns am Samstagmorgen schon mal die gesperrten Straßen mit der blauen Marathonlinie an und sehen interessiert, wie die letzten parkenden Autos entfernt werden.

Anschließend geht’s zur Marathonmesse, die weit außerhalb liegt und öffentlich wirklich schwierig zu erreichen ist. Wir nehmen ein Taxi. Vor Ort müssen wir dann etwa 45 Minuten lang Schlange stehen, bis wir in die eigentliche Messe eintreten dürfen, denn es sind unglaublich viele Menschen da. Meine Startnummer hab ich allerdings schon, denn unser Reiseleiter Peter hat sie bereits am Donnerstag geholt. Trotzdem wollen wir die Messe anschauen, die auch recht interessant ist. Angesichts des sehr sonnigen Wetters ärgere ich mich, keine Mütze mitgenommen zu haben und kauf mir kurzerhand eine vom Hauptsponsor New Balance auf der Messe.

 

Die anschließende Paella-Party findet natürlich im Freien statt und ist sehr gut. Dort lernen wir auch Brian kennen, der am Sonntag seinen ersten Marathon laufen will und sich noch ein paar Tipps von mir holt.

Auch am Sonntag soll das Wetter großartig werden, wenn auch morgens mit 7° noch etwas kühl, aber die 10° bis 16°, die vorhergesagt sind, sind ja eigentlich optimal. In Valencia gibt es 8 Startblöcke und mit einer angestrebten Zeit von über 4 Stunden startet man schon im letzten Block! Daran merkt man schon, wie anspruchsvoll Valencia sein möchte. Man hat für ein Finish auch nur fünfeinhalb Stunden Zeit und bei Kilometer 25 muss man nach maximal 3:20 durch sein (klar – sonst schafft man die fünfeinhalb Stunden auf keinen Fall mehr). Da die Strecke aber extrem flach ist (insgesamt nur 70 Höhenmeter), mach ich mir keine allzu großen Sorgen.

Die Blöcke starten alle 10 Minuten ab 8:15 Uhr. Ich bin also erst um 9:25 Uhr dran. Vom Hotel sind es etwa 45 Minuten zu Fuß zum Startgelände und ich starte mit meinem größten Fan Kerstin relativ früh, damit sie Gelegenheit hat, die ersten Läufer zu sehen.

 

Das Startgelände ist an der Ciutat de les Arts e Sciences (Stadt der Künste und Wissenschaften; das Valencianisch ist ein Dialekt vom Katalanischen), ein hypermodernes Gelände mit Konzertsaal, Wissenschaftsmuseum und dem größten Aquarium Europas.

Ich hatte gedacht, ich könnte direkt neben der Startaufstellung nach hinten gehen und die Startenden etwas begutachten, aber tatsächlich müssen wir eine Parallelstraße benutzen, von der sehr gut beschildert die einzelnen Startblöcke abzweigen.

 

Während ich so nach hinten wandere und schon froh bin, mich gegen eine Kleidungsabgabe entschieden zu haben (die müsste ich nämlich nach dem Zieleinlauf wieder mit einer langen Wanderung abholen), steht Kerstin schon kurz vor Kilometer 1 parat und sieht die superschnellen Läufer des ersten Startblockes durchrennen.

Ich hab viel Zeit und so kann ich ganz gemütlich nach hinten gehen und irgendwann erreiche auch ich meinen (letzten) Startblock.

Ich suche Torsten, der im 7. Startblock ist, aber er ist nirgends zu sehen. Später erzählt er mir, dass er sich ganz vorne eingereiht hat, weil er nochmal schnell laufen wollte. Auch Brian ist nirgendwo zu sehen, obwohl er im gleichen Startblock sein muss wie ich. Und so plaudere ich ein wenig mit den beiden Mädels, die die 5-Stunden-Pace machen werden (das Tempo strebe ich auch an) und erledige meine Toillettengänge.

Derweil wartet Kerstin geduldig Startblock um Startblock ab. Das Wetter ist großartig und in der Sonne schon richtig warm.

Hatte ich gedacht, die Startblöcke würden nach und nach zur Startlinie herangeführt, so hab ich mich getäuscht: erst wenn der Startblock davor komplett leer gelaufen ist, wird der nächste zur Startlinie geführt und so starten wir erst gegen 9:20 den Marsch nach vorne. Am linken Zaun hängen schon ganz viele zurückgelassene Pullis und aus den Lautsprechern tönt in einer ohrenbetäubenden Lautstärke das spanische Lied „Libre“, was „frei sein“ bedeutet, in Dauerschleife. So eine schrecklich laute Musik ist nicht gerade das, was ich mir jetzt wünschen würde.

Ich unterhalte mich mit einem deutschen Läufer aus Berlin, der ein Finishershirt vom Mauerweglauf anhat. Er erzählt mir, dass er früher in Valencia gelebt hat und diesen Marathon noch erlebt hat, als er mit ca. 450 Teilnehmern sehr überschaubar war. Nun also 33.000!

 

Und dann sind wir endlich am Start und pünktlich um 9:25 ertönt das Startsignal. Natürlich wird wieder die exakte Zeit jedes Teilnehmers mit einem Transponderchip in der Startnummer gemessen.

Rechts neben dem futuristischen Konzertgebäude können wir von der Brücke schon mal den blauen Steg des Zieleinlaufs sehen. Ein paar Minuten später treffe ich meinen Superfan zum ersten Mal.

Kurz hinter mir sieht Kerstin auch Brian. Ich hab ihn immer noch nicht gesehen. Als erstes laufen wir Richtung Hafengelände, ich folge immer der blauen Linie und sehe schon einen Barfußläufer. Die 5-Stunden-Pacer hab ich ganz schnell aus den Augen verloren, denn mein Tempo pendelt sich nun bei 6:20 ein und die laufen ja konstant 6:45 (auf den letzten 10 km wollen sie dann 7:00 laufen). Eigentlich ist 6:20 ja zu schnell für mich, aber es fühlt sich gut an und so bleibe ich erst mal dabei.

Valencia ist eine relativ kleine Stadt (eine Million Einwohner) und so folgt der Marathon einem recht komplizierten Zickzack-Kurs mit diversen Begegnungsstrecken. Kerstin wartet bei Kilometer 8 auf mich, wo sie mich dann nach 16 Kilometern nochmal sehen kann. Auch Brian sieht sie kurz nach mir.

Wahnsinn: während wir bei Kilometer 8 durchlaufen, kommt der erste bereits ins Ziel!

 

Leider überzeugt mich die Versorgung überhaupt nicht: es gibt alle 5 km nur Wasser und Iso, zudem das Wasser nur aus verschlossenen 0,3 Liter Plastikflaschen mit dem Ergebnis, dass an den Versorgungsstellen der Asphalt von kleinen Verschlusskappen übersät ist und überall fast volle Wasserflaschen herumliegen, denn mehr als zwei, drei Schlucke trinkt man ja nicht. Später im Rennen schütte ich mir den Rest immer über den Kopf, aber im Moment ist es dafür noch zu frisch.

 

Das Iso-Getränk kommt aus 1,5 Liter Flaschen und wird in Pappbechern ausgegeben. Das ist prinzipiell sehr gut, aber später im Rennen sind keine Becher mehr da und man will uns die riesigen Flaschen in die Hand drücken. Das ist ja noch dämlicher!

Außer Getränken sehe ich nur zweimal getrocknete Aprikosen und einmal Bananen. Bei Kilometer 16 und 26 gibt es zwar jeweils Gels, dort aber ganz ohne Getränke! Also entweder nimmt man die Flasche Wasser bis dorthin mit (was ich bei Kilometer 16 mache), oder man trägt die Gels bis zur nächsten Versorgungsstelle (das mache ich bei Kilometer 26 und muss dann über 4 km laufen, um an das nächste Wasser zu kommen). Also Versorgung meiner Meinung nach höchstens befriedigend!

Brian hat mich mittlerweile überholt (ich hab ihn trotzdem nicht bemerkt und er mich offenbar auch nicht). Brian ist blendend drauf und kann das Tempo viel besser halten als ich. Als ich Kerstin sehe, bitte ich sie, mir zum letzten Treffpunkt eine Cola mitzugeben, denn obwohl Coca-Cola einer der Sponsoren ist, gibt es auch keine Cola zu trinken.

 

Kurz hinter Kilometer 16 dann die erste Gel-Ausgabestelle. In weiser Voraussicht hab ich mir die Wasserflasche bis hierher mitgenommen. Die Gelpackung geht aber so schwer auf, dass ich tatsächlich kurz stehen bleiben muss, um die Wasserflasche abzustellen und die Geltüte mit den Zähnen aufzureißen.

 

Meinen Superfan treffe ich das letzte Mal bei Kilometer 25 mit der heißersehnten Cola.

Hier muss man also nach spätestens 3:20 ankommen. Ich schaffe es in 2:45, also gar kein Problem.

 

Einen Kilometer später die nächste Gelausgabestelle. Die Helfer sind sehr gut zu unterscheiden: gelbe Weste für Gels mit Koffein, rote Weste für Gels ohne Koffein, denn es gibt ja Personen, denen das Koffein nicht bekommt. Ich schnappe mir natürlich wieder zwei mit Koffein. Da ich diesmal kein Wasser dabei hab und mir klar ist, dass die nächste Versorgungsstelle weit weg ist, riskiere ich es und nehme eines der Gels ohne Wasser ein. Eine besonders gute Idee ist das nicht, denn das zähflüssige Zeug verklebt mir den ganzen Mund. Dafür sind es diesmal andere Verpackungen, die sich sehr leicht öffnen lassen. Immerhin etwas …

 

Wir laufen jetzt gute vier Kilometer an den Turia-Gärten entlang (die „Jardínes de Turia“ sind aus dem trockengelegten Flussbett des Turia entstanden und ziehen sich durch ganz Valencia, eine wunderschöne Freizeitanlage, wie es sie in keiner anderen Großstadt in Europa gibt) und biegen dann in die Innenstadt ab.

Ein Schild kündigt die nächste Versorgungsstelle an, auf die ich schon sehnsüchtig warte. Mittlerweile ist es sehr warm geworden, vor allem in der Sonne. Mein Glück ist nur, dass in Valencia fast alle Gebäude eine einheitliche Höhe von vier Stockwerken haben und die Sonne jetzt im Winter schräg genug steht, sodass die Gebäude viel Schatten spenden. Auf die Ankündigung geht es aber noch fast einen Kilometer weiter, bis endlich Wasser in Sicht ist und ich schnell das Gel einwerfen kann, bevor ich trinke. Der Rest der Wasserflasche kommt ab jetzt über den Kopf.

 

Wir sind bei Kilometer 30 und es läuft zusehends schwerer. Bis Kilometer 25 hatte ich mein Tempo noch einigermaßen halten können, doch jetzt werde ich langsamer und muss auch immer wieder Gehpausen einlegen. Trotzdem rechne ich mir aus, eine Zeit unter 5 Stunden schaffen zu können und das gibt mir immer wieder Motivation. Allerdings hab ich gar keine Lust mehr drauf, Fotos zu machen und packe meine Kamera weg.

 

Am Tierpark vorbei machen wir einen großen Bogen um die Innenstadt, um dann über die Gran Vía wieder an die Turia-Gärten heranzulaufen. Bei Kilometer 38 mache ich wieder eine Gehpause und da überholt mich doch der Läufertross um die 5-Stunden-Pacer? So langsam bin ich geworden? Na ja, aber deren Tempo ist ganz gemächlich, sodass ich mich dahinter anschließe und mittrotte. Bei Kilometer 40 allerdings schaut die eine Pacer-Frau auf ihre Uhr, ruft ihrer Kollegin etwas zu und auf einmal geben sie Gas. Was ist denn nun los? Damit sprengen sie die komplette Gruppe, nur noch zwei Läufer können mithalten. Ich nicht und es ist mir schleierhaft, warum die beiden auf einmal so aufdrehen, liegen wir doch noch locker unterhalb der 5-Stundenmarke.

Aber erst mal geht es noch etwas über einen Kilometer an den Turia-Gärten entlang. Links sehe ich den Palau de la Música (dem Musikpalast) und denke mir „Was? So weit noch?“. Der letzte Kilometer wird in Hunderterschritten mit Schildern runtergezählt und bei Kilometer 41,5 dürfen wir endlich auf die extra für diesen Zieleinlauf gebauten blauen Plattform abbiegen, die über die kleinen Seen gelegt wurde.

 

Kerstin wartet schon auf der Brücke auf mich, von wo aus sie die Läufer perfekt beobachten kann.

Ich weiß, dass ich auf jeden Fall unter 5 Stunden bleibe und so nehme ich mir Zeit, die Kamera rauszuholen und Fotos von diesem fantastischen Zieleinlauf zu machen.

Nach einer Nettozeit von 4:52:17 komme ich ins Ziel und bin super zufrieden damit. Kurz hinter dem Ziel stehen noch zwei zufriedene 5-Stunden-Pacer und beglückwünschen mich. Meine Frage, warum sie am Schluss so aufgedreht haben, beantworten sie nicht. Sie waren 2 Minuten vor mir im Ziel.

 

Während ich mich langsam in Richtung Ausgang bewege und meine Medaille, sowie den Rucksack mit der Schlussverpflegung abhole, geht Kerstin außerhalb des Geländes ebenfalls zum Ausgang, um mich zu empfangen.

Die Zielverpflegung ist übrigens genauso schlecht wie unterwegs: es gibt nur Wasser und in den Rucksack kommen Bananen, Khakis und eine Flasche mit Iso, das war’s. Na ja …

 

Trotzdem kann mein liebster Fan einen sehr glücklichen Läufer empfangen, hab ich doch meinen Plan perfekt durchziehen können und war am Ende nur 2 Minuten langsamer im Ziel als ich Kerstin gesagt hatte.

Und die riesige und schwere Goldmedaille ist auch sehr schön.

Brian schafft seinen ersten Marathon in phänomenalen 4:14:48 und ist natürlich auch überglücklich.

Es war ein perfekter Lauftag. Sonnig und trotzdem schön kühl und überhaupt kein Wind, der am Samstag noch ganz schön nervig war. Demzufolge sind die Rekorde auch in Reihe gefallen: der Sieger Sisay Lemma aus Äthiopien verbessert den Streckenrekord um einige Sekunden auf 2:01:46, was die viertbeste jemals weltweit gelaufene Zeit ist. Den bisherigen Rekord hat kein geringerer als Kelvin Kiptum gehalten, der momentan den Weltrekord von 2:00:48 hält (gelaufen dieses Jahr in Chicago).

 

Bei den Frauen ist es Worknesh Degefa, ebenfalls aus Äthiopien, die eine neue Valencia-Bestzeit in 2:15:50 aufstellt.

 

Auch mein Freund Torsten läuft ein Wahnsinns Rennen und kommt in 3:30:33 ins Ziel. Seine neuen Carbon-Schuhe haben ganze Arbeit geleistet (er natürlich auch). Und es wird natürlich nicht sein letzter Marathon bleiben!

 

Meine Zeit reicht für Gesamtplatz 24.650 bzw. Platz 155 (von 195) in der Altersklasse M65 (6 Läufer dieser Altersklasse sind sogar unter 3 Stunden geblieben!). Knapp 25.800 Läufer erreichen das Ziel bis zur Schlusszeit von 5,5 Stunden.

 

Am Abend gehen wir noch mit unserem Reiseleiter Peter und einem weiteren Läufer auf die Medal-Party in der Mya-Disco.

Allerdings ist die Musik dort so laut und schrill (die Lautsprecheranlage packt die Lautstärke nicht), dass wir relativ schnell wieder flüchten und lieber was essen gehen, nicht ohne von der Außenfassade des Wissenschaftsmuseums ein stimmungsvolles Bild machen zu können.

Mein 99. Marathon ist damit Geschichte. Die magische Zahl nun in greifbarer Nähe. Aber das gehe ich erst nächstes Jahr an (6 Marathons dieses Jahr sind auch ausreichend). Wir bleiben noch eine ganze Woche im schönen Valencia. Am Dienstag kommt meine Großnichte Denisse dazu, die momentan ein Auslandsstudienjahr in Madrid macht und wir verbringen noch ein paar sehr schöne vorweihnachtliche Tage.