Ötztal-Gletschertrail 42K 22.07.2023

Ich möchte endlich mal wieder einen anspruchsvollen Trailwettkampf machen und da kommt der Ötztal-Gletschertrail wie gerufen, auch wenn er nur 2 Wochen vor Gondo stattfindet. Das Training ist allerdings bei der Hitze der letzten Wochen eine echte Herausforderung und will bei mir so gar nicht gut laufen. Aber hilft ja nichts. Ich melde mich allerdings „nur“ zur Marathondistanz 42K an und nicht zum Ultra 62K – der startet nämlich um 2 Uhr nachts und ich hab so gar keine Lust, mit Stirnlampe nachts durch die Berge zu laufen.

Das Höhenprofil ist auch so besorgniserregend genug und 2.800 Höhenmeter bin ich auch noch nie bei einem Marathon gelaufen.

 

Leider ist das Wetter in Obergurgl sehr unbeständig und bereits am Freitag ziehen heftige Gewitter durch. Für den Samstag (den Lauftag) sind auch Gewitter vorhergesagt und so entscheidet die Rennleitung noch Freitagabend, die Strecken des 42K und des 62K anzupassen, sodass nur noch 35, bzw. 54 km übrigbleiben. Meine Enttäuschung, nun doch keinen Marathon zu laufen, hält sich in Grenzen. Die 35K werden wahrscheinlich schwer genug.

 

Nachts höre ich im Bett die Anfeuerungen für die Ultraläufer, die ja um 2 Uhr nachts starten. Unser Start ist erst um 7 Uhr, sodass der Wecker am Samstag um 4:45 Uhr klingelt (Trailrunning ist immer was für Frühaufsteher).

Das Panoramabild im Hintergrund zeigt das Ramolhaus, eigentlich der höchste Punkt der Strecke auf 3.006 Metern Höhe, das wir jetzt aber gar nicht ansteuern werden.

Zum Race-Briefing um 6 Uhr treffen wir uns in der Veranstaltungshalle des Gurgl-Carat. Die neue Strecke wird immer noch 2.300 Höhenmeter haben. Es werden lediglich der Abstecher zum Ramolhaus und der lange Weg ins Rotmoostal weggelassen. Dafür werden die Cutoffs um eine Stunde verkürzt. Das kann ja heiter werden!

Das Briefing hat keine 20 Minuten gedauert und so heißt es nun warten auf den Start. Es ist ziemlich kalt, die Wolken hängen tief und ich beschließe, diesmal mit Jacke zu laufen.

Nach dem Start geht es einen knappen Kilometer bergab durch den Ort und alle laufen los wie die Verrückten, sodass ich mich gleich ziemlich am Ende des Feldes wieder finde (wir sind nur ca. 130 Teilnehmer). Kerstin ist schon etwas vorgelaufen und macht Fotos. Nach mir kommen nur noch 3 Läufer und der „Besenläufer“, der einen kleinen Besen auf dem Rücken befestigt hat. Mit ihm werde ich noch nähere Bekanntschaft schließen …

Jetzt heißt es erst mal 700 Höhenmeter bergauf stapfen und das auf einer Strecke von gerade mal 2 km! Ich versuche, möglichst konstant zu gehen und tatsächlich kann ich auf dieser Strecke 4 Läufer überholen. Trotzdem dauert es über eine Stunde, bis ich endlich oben bin, dafür stehe ich dann bereits über den Wolken.

Der erste Cutoff der geänderten Strecke ist schon an der ersten Versorgungsstelle und dorthin sind es noch gute 4 km. 2:15 Stunden hab ich insgesamt Zeit bis dorthin und 1:10 sind schon vergangen. Viel Laufen kann ich auch nicht, weil es immer wieder leicht bergauf geht und auf einer Höhe von 2.600 Metern wird die Luft auch merklich dünn. Das Wetter ist hier oben zwar deutlich besser, aber auch der Downhill zur Küppelehütte lässt sich nicht sonderlich gut laufen.

Die Hütte selber liegt total im Nebel, die Versorgung ist kurz vorher aufgebaut, wo man die Hütte gar nicht sieht und jeder danach fragt. 2:07 hab ich bis hierher gebraucht und bin damit viel näher an den Cutoff gekommen, als ich erwartet hatte (eigentlich hatte ich mir eine Zeit von 1:30 – 1:45 ausgerechnet).

Ab hier geht es wieder bergauf, zwar nicht mehr so steil, aber dennoch so, dass ich das nicht laufen kann. Stattdessen werde ich jetzt dauernd von den schnellen Läufern des Ultras überholt, die mittlerweile hier angekommen sind und tatsächlich die gesamte Strecke durchjoggen, und das relativ flott. Das ist für mich recht nervig, weil ich auf dem schmalen Single Trail ständig anhalten und Läufer passieren lassen muss. So komme ich in überhaupt keinen Rhythmus. Und das wird im weiteren Verlauf noch wesentlich schlimmer!

 

Ich trinke von meinem Powerbar-Drink und fast wird mir schlecht davon. Zu allem Übel muss ich also auch noch bei mehreren Flussläufen anhalten und Wasser fassen. Danach geht’s mir aber wieder wesentlich besser.

 

Kurz vor der Abzweigung zum Ramolhaus, das ich schon von weitem oben am Felsen thronen sehe und zu dem es noch weitere 300 Höhenmeter gewesen wären, holt mich tatsächlich der Besenläufer ein und macht Stress, ich soll Gas geben, sonst schaffen wir die Durchgangszeiten nicht mehr. Ich bin überrascht, haben wir doch 6:15 Stunden Zeit, die Hohe Mut zu erreichen (Kilometer 21,5) und ich hab das Gefühl, das reicht locker! Falsch gedacht!

 

Aber erst mal laufe ich relativ locker den Downhill runter zum Highlight der gesamten Strecke: der Piccardbrücke.

Die Piccardbrücke überquert das tiefe Gletschertal (der Gletscher hat sich bereits weit zurückgezogen) in einer Höhe von 2.480 Metern und ist 142 Meter lang. Der Weg dahin ist extrem anspruchsvoll: die Felsen sind aus der Gletscherzeit total glatt geschliffen und Krampen und Seilsicherungen helfen an den schwierigsten Stellen. Dafür ist die Aussicht auf der Brücke wirklich absolut genial!

Und nichts für Leute mit Höhenangst!

 

Nach der Brücke geht es extrem steil nach oben, so steil, dass man teilweise klettern muss und die glatten Felsen machen das nicht leichter. Ich bin ziemlich fertig und kann nur im Schneckentempo rauf klettern. Zu allem Übel sind jetzt furchtbar viel Läufer unterwegs, die mich überholen wollen, viel viel mehr als vorher. Das liegt daran, dass es noch einen Wettbewerb mit 24 km gibt, von dem nun alle Läufer auf meiner Strecke sind. Ich realisiere das erst viel später und bin einfach nur furchtbar genervt.

 

Der folgende Downhill ist für mich das Schlimmste, was ich je gemacht habe. Er ist extrem steil, mit sehr hohen Felsstufen und mittlerweile auch rutschigem Fels, weil es in der Zwischenzeit etwas geregnet hat. Laufen ist für mich unmöglich, ich muss mich vielmehr langsam herunter tasten und dabei immer nach ein paar wenigen Schritten anhalten, um die 24K-Läufer durchzulassen.

 

So langsam wird mir klar, dass es eng wird mit dem Cutoff auf der Hohen Mut. Ich brauch für jeden Kilometer um die 20 Minuten und so wird das nicht klappen. Außerdem bin ich stehend k.o. Zur Langtalereckhütte, dem nächsten Versorgungspunkt geht es auch nochmal kurz bergauf. Verrückt: die Strecke von der ersten bis zur zweiten Versorgungsstelle sind nur 7,5 Kilometer und ich hab dafür fast 3 Stunden gebraucht.

 

Der Besenläufer mahnt zur Eile und meint, wir wären schon eine Stunde hinter dem Zeitplan. Da hat er sicherlich recht, aber ich kann nicht mehr schnell laufen und so bespreche ich mit ihm, ob es Sinn macht, noch auf die Hohe Mut zu gehen, um dort in die Gondelbahn zu steigen (außerdem wartet mein lieber Fan Kerstin dort seit Stunden auf mich). Aber er meint, bis dort geht es nochmal ziemlich steil bergauf und bis ich dort ankomme, besteht die Gefahr, dass die Gondelbahn witterungsbedingt nicht mehr fährt. Ich soll besser von der nächsten Versorgungsstation (der Schönwieshütte) direkt nach Obergurgl absteigen. Und so melde ich mich bei ihm ab, er fotografiert noch meine Startnummer und rast davon, denn er ist jetzt auch schon hinter seinem Zeitplan.

Kerstin vertreibt sich derweil die Zeit an der Bergstation der Hohen Mut und lässt sich einen hervorragenden Kaiserschmarrn schmecken. Als ich versuche, sie anzurufen, verabschiedet sich der Akku meines Handys. Na toll! Also die Powerbank rausgekramt, Handy neu gestartet und der Strom reicht gerade noch, um Kerstin anzurufen und ihr zu sagen, sie soll runterfahren, ich komme nach. Die Powerbank ist offenbar auch defekt, jedenfalls ist das Handy gleich danach wieder tot.

 

An der Schönwieshütte regnet es in Strömen. Ich warte etwas ab und mach mich dann auf den Weg nach unten. Es ist ein breiter Fahrweg (im Winter die Skipiste), aber kein bisschen eben und auch schwer zu laufen. Von weitem sehe ich schon die Mittelstation und freue mich darauf, wenigstens den unteren Teil mit der Gondel fahren zu können. Und da taucht auch schon mein Lieblingsfan auf und nimmt mich an der Mittelstation in Empfang. Das hat ja gut geklappt.

Tja, auf einer Uhr stehen genau 21,1 km und 1530 Höhenmeter. Dafür hab ich 5:39:24 gebraucht. Leider bekomme ich die schöne Holzmedaille nicht und der Finisherrahmen bleibt heute auch leer.

 

Ich muss sagen: diesen Wettkampf habe ich total unterschätzt. Bei dieser Streckenbeschaffenheit und den engen Cutoffs hätte ich keine der Strecken geschafft (höchstens vielleicht den 24K). Dafür bin ich einfach nicht mehr gut genug.

 

Auf dem Rückweg zum Hotel regnet es wieder in Strömen. Eine Stunde später scheint die Sonne. Es ist wirklich extrem wechselhaft heute.

 

Meine Enttäuschung über den DNF hält sich in Grenzen. Es wäre ja sowieso kein Marathon geworden und ich bin froh, bei dieser Strecke gesund und ohne Verletzung geblieben zu sein. Nur die außergewöhnliche Holzmedaille hätte ich wirklich sehr gerne gehabt. Dann eben der nächste Versuch in Gondo.

 

Der Sieger hat die Strecke in absolut unvorstellbaren 3:57:06 bewältigt. Die Siegerin in 4:49:54.