Gondo-Marathon Tag 2

Nach einem gemeinsamen Abendessen in der neuen Turnhalle in Ried-Brig ging es für mich recht schnell ins Bett. Die Nacht war diesmal sehr ruhig und so sind wir um 6:30 wieder in der Turnhalle beim gemeinsamen Frühstück. Um 7 Uhr findet dann auch schon der Jagdstart der besten Läufer und Läuferinnen statt.

Jagdstart heißt, dass die beste Frau und der beste Mann vom Vortag um 7 Uhr starten. Die weiteren Läufer starten dann in dem Abstand, in dem sie am Vortag ins Ziel gekommen sind. Um 7:30 starten dann alle anderen zusammen. Das wird deshalb so gemacht, damit der erste Finisher am zweiten Tag auch wirklich der Gesamtsieger ist. Bei den Frauen sind die Abstände so groß, dass nur die erste beim Jagdstart mitmacht, aber bei den Männern sind es diesmal sogar 4 Läufer, die vor 7:30 starten.

Wir laufen kurz durchs Dorf und steigen dann auf, um wieder auf den Stockalperweg zu kommen, der uns erst unter der Wasserleitung durchführt (das obligatorische Foto) und dann über die Brücken weiter hoch zum Schallberg.

Am Schallberg sind wieder Kerstin und Joana, die heute aber selber fährt, um ihren Michael begleiten zu können, der doch wesentlich flotter unterwegs ist als ich.

Beat begleite ich nur kurz, denn ich will mich nicht wieder total verausgaben. Karl-Walter hat zwar ein DNF, weil er am Vortag abgebrochen hat, aber den zweiten Tag nimmt er natürlich trotzdem in Angriff. Er hat ja immer den Ansporn, mit seinen 74 Jahren schneller zu sein als ich. Nun – heute wird ihm das auch gelingen.

 

Der Weg ins Gantertal ist wie immer wunderschön und auch großteils gut zu laufen. Ich überhole dort tatsächlich Christian, der aber kurze Zeit später, als wir wieder gehen müssen, wieder an mir vorbei geht (er wandert verdammt schnell!).

Die monumentale Ganterbrücke sieht man schon aus weiter Ferne. Wir laufen erst unten durch, dann unter der alten Ganterbrücke durch und schließlich in einem Bogen zur alten und später neuen Ganterbrücke hoch, wo dann die nächste Versorgungsstelle auf uns wartet. Konnte ich die Straße dort hoch im letzten Jahr noch teilweise joggen, so geht heute gar nichts. Wandern ist angesagt.

Aber von dort geht es in den Roßwald und dort kann man zumindest 2, 3 km auf einem schönen Waldboden joggen, bevor es wieder steil nach oben an die Straße geht. Mittlerweile regnet es leicht, es ist sehr kalt und ich bin froh, bald wieder Kerstin zu treffen, die mir meine Jacke zurückgeben kann.

Die Versorgungsstelle bei Rothwald ist die Letzte vor dem Simplonpass und so versorge ich mich wieder ausführlich (heute gibt es überall ausreichend Gels und ich nehme jedes Mal eins). Von den nun folgenden 7 km geht es die ersten 2 km mehr oder weniger steil bergab zur Taferna und dann folgt der lange Aufstieg zum Simplonpass (etwa 500 Höhenmeter auf 4 km).

Der Aufstieg bereitet mir heute größere Probleme als sonst. Immerhin hat sich das Wetter beruhigt und es ist wieder trocken. Kerstin wartet stundenlang oben am Pass, ob ich vielleicht auch mal dort ankomme.

Die letzten Meter stapfen wir gemeinsam hoch und Brigitte empfängt mich oben mit sorgenvoller Miene. Später erzählt sie mir, dass ich so fertig ausgesehen habe, dass sie nicht mehr dachte, dass ich das Rennen beenden kann.

An der Versorgungsstelle holt mich Hellmi wieder ein. Karl-Walter ist kurz vorher bereits gestartet.

Der Wind pfeift wie verrückt. Sollte es heute nicht Rückenwind geben? Einmal stoppt mich der Wind quasi im Sprung. Richtig laufen kann ich sowieso nicht mehr.

Auf dem Weg runter nach Simplon-Dorf hole ich Karl-Walter ein und lauf ihm erst mal etwas davon. Er bleibt aber auf Schlagdistanz. Ich kann eigentlich wieder ganz gut laufen (solange es bergab geht), aber sehr langsam.

Bis Gabi hat mich Karl-Walter wieder überholt. Ich liege etwa 50 Minuten vor dem Zeitlimit. Hier bei Kilometer 30 ist die letzte Stelle, an der ich Kerstin sehe, denn nun folgt der schwierige Aufstieg auf das Furggu (700 Hm auf 3 km) und der lange Downhill durch das Zwischbergental zum Ziel in Gondo. Also nochmal gut versorgen (2 Versorgungsstellen kommen noch), eine kleine Trinkflasche eingepackt, denn auf den 700 Höhenmetern gibt es keine Trinkgelegenheit und los geht’s zusammen mit Hellmi.

Das Furggu bereitet mir heute weniger Probleme als der Simplonpass, aber es ist natürlich trotzdem immens anstrengend. Auf halber Strecke ist eine kleine Kapelle, an der ich Hellmi mit dem wunderbaren Panorama fotografiere.

Hellmi meint, die Pose hat ihm mindestens „einen halben Kilometer“ gekostet. Egal, sieht jedenfalls gut aus.

Als ich nach 1:10 oben ankomme, spielt eine Frau auf einem Horn ein Begrüßungsständchen für mich. Wie schön! Karl-Walter steht daneben an einem Tisch und lässt sich ein paar Gläser Wein schmecken. Ich lehne dankend ab und gehe lieber zur vorletzten Versorgungsstelle (Kilometer 33, die letzte Versorgungsstelle ist 5 km entfernt. Für die letzten 9 km bleiben mir etwa 1:40 Stunden Zeit. Das sollte eigentlich klappen.

 

Aber an Laufen ist erst mal nicht zu denken. Karl-Walter ist schon weg und Hellmi und ich wandern erst mal ein Stück, um dann schließlich in einen leichten Trab zu verfallen, immer extrem vorsichtig, um nicht über die Steinrinnen zu stolpern, die hier oben alle paar Meter kommen.

Als es steiler wird, überhole ich Hellmi und laufe an einem Teilnehmer vorbei, der gerade seine Schuhe auszieht. Ich frage, ob alles ok ist und er bestätigt. Na gut.

 

Der Downhill ist wie immer wunderschön und bis zur Treppe, die den nächsten Aufstieg markiert, kann ich auch ganz gut laufen.

Aber der Aufstieg macht mich fertig. Ich hole zwar fast noch Karl-Walter ein, der mit seinem Kumpel Heinz-Dieter läuft, aber muss dann doch abreißen lassen. Hellmi schließt sich zwei anderen Läufern an und hat offenbar die zweite, dritte oder vierte Luft. Auf jeden Fall gibt er gemeinsam mit den anderen Gas und ward nicht mehr gesehen. Wen ich noch gar nicht gesehen hab, ist Wendel. Der scheint noch hinter mir zu sein.

 

Und so sieht Kerstin im Ziel neben vielen anderen auch Hellmi nach 8:36:53 ins Ziel kommen. Das war eigentlich die Zeit, die ich mir ausgerechnet hatte.

Ich muss immer mehr Abschnitte gehend zurücklegen und so erreiche ich die letzte Versorgungsstelle ziemlich genau nach 8 Stunden. Noch 4 km und genau eine Stunde Zeit dafür. Das muss einfach reichen, selbst wenn ich alles gehen muss!

Das Panorama unterhalb der letzten Versorgungsstelle ist so fantastisch, dass ich es jedes Mal fotografieren muss. Kurz danach versperrt mir ein Esel den Weg!

Als ich näherkomme, trollt er sich aber. Noch 3 Kilometer. Und da passiert es: ich wische mir Schweiß von der Stirn und komme dabei an mein linkes Auge. Wisch – und die Kontaktlinse ist weg! So ein Mist! Jetzt kann ich den Boden nur noch verschwommen sehen. Das linke Auge zuzumachen ist auch keine Lösung, denn dann fehlt das 3-dimensionale Sehen. Und jetzt wird der Weg im Wald auch noch zusehends schwieriger und es ist recht finster. Tja, an Laufen ist jetzt gar nicht mehr zu denken. Da ich auch keine Lust habe, zu stürzen und mich am Ende noch zu verletzen, taste ich mich eben vorsichtig weiter. Wie gut, dass ich Stecken dabei hab!

Endlich kommt das ersehnte Schild, dass es „nur noch“ 1500 Meter ins Ziel sind. Hinter der Brücke geht’s auf die Straße, auf der ich dann so weit wie möglich runter laufe. Der Weg biegt aber ziemlich bald neben der Straße ab und es folgen ein paar unebene und steile Felsstufen hinunter, die ich wieder nur vorsichtig gehen kann. Als das Ziel schon in Hörweite ist, pustet mich der Wind fast von der Strecke. Hinter mir höre ich Läufer kommen, aber ich hab einfach keine Kraft mehr. 50 Meter vor dem Ziel überholen mich Wendel und Annette und kommen ein paar Sekunden vor mir ins Ziel.

Aber ich werde viel liebevoller begrüßt! Von meinem Lieblingsfan! Mit 8:58:18 hab ich das Zeitlimit gerade noch so geschafft. Durch das Missgeschick mit der Kontaktlinse ist es noch enger geworden als ich dachte. Aber egal, ich bin endlich im Ziel und noch nicht mal der Letzte, denn das ist nach 9:27:11 der Peter, der sich oben nach dem Furggu die Schuhe ausgezogen hatte. Dass er trotzdem in die Wertung kommt, ist Ehrensache.

Die Siegerehrung läuft bereits, aber ich bin rechtzeitig gekommen, um mir meinen Käse abzuholen, der hier in Gondo die Medaille ersetzt.

 

Dagmar konnte ihren ersten AK-Platz erfolgreich verteidigen. Brigitte war am zweiten Tag zwar 4 Minuten schneller, aber Dagmars Vorsprung vom ersten Tag war eben größer. Ich komme in meiner AK auf Platz 7 von 8 Finishern. Karl-Walter war diesmal 4 Minuten vor mir im Ziel. Damit war er eine Stunde schneller als letztes Jahr (!!), aber dieses Jahr ist er den ersten Marathon ja auch nicht zu Ende gelaufen.

Das war ein hartes Stück Arbeit unter widrigen Bedingungen. Werner Jordan spricht mich an und fragt nach meinem Alter. Er hat hier schon ein paar Mal gewonnen und ist diesmal 13. insgesamt und 4. seiner AK geworden. Als ich sage, es wird jedes Jahr schwieriger, meint er: „wem sagst Du das …“. Er ist eben auch schon 58 Jahre alt.

 

Die Siegerzeiten sind wie jedes Jahr phänomenal. Bei den Frauen gewinnt eine Britin, Elizabeth Allison in 9:53:56 (erster Tag 4:38:33, zweiter Tag 5:15:23). Bei den Männern ist es der Österreicher Hannes Pongruber in 8:24:40 (erster Tag 3:59:43, zweiter Tag 4:24:56). Einen Marathon unter 4 Stunden zu laufen ist schon schwierig genug – aber dann noch auf anspruchsvollen Trails und mit 2000 Höhenmetern! Unglaublich. Der Mann von Elizabeth, Rupert Allison kommt auf Platz 3 mit 8:36:59 (4:06:31 und 4:30:27). Ganz schön sportliches Pärchen!

 

Wir lassen den Tag bei einem schönen Abendessen im Stockalperturm ausklingen. Wieder mit dabei sind Brigitte und ihr Partner (er war der Schlussläufer am zweiten Tag), der Rennarzt Pablo und Karl-Walter mit seinen Lauffreunden.