50. Rennsteiglauf 13.05.2023

Der letzte Hamburg-Marathon ist erst 3 Wochen her, da sind wir schon wieder unterwegs nach Thüringen, wo dieses Jahr der traditionelle Rennsteiglauf bereits zum 50. Mal stattfindet.

Es war 1973, als 4 Freunde aus Thüringen der Meinung waren, es wäre doch mal eine gute Idee, 100 km auf dem Rennsteig (eigentlich ein Fernwanderweg) im Laufschritt zurückzulegen. Geschafft haben sie dann 80 km (von Hohe Sonne bis kurz vor Masserberg), eine famose Leistung, wenn man bedenkt, dass sie ja keine externe Unterstützung hatten. Der Rennsteiglauf war geboren und hat sich über die Jahre zu einem Massenevent mit zu seiner besten Zeit über 20.000 Teilnehmern und zu einer der beliebtesten Laufveranstaltungen Deutschlands entwickelt. Neben dem Supermarathon mit knapp 74 km (Start in Eisenach) gibt es seit 45 Jahren auch den klassischen Marathon mit 42,5 km (Start in Neuhaus) und einen Halbmarathon mit 21,1 km (Start in Oberhof). Außerdem diverse Wander- und Nordic Walking-Distanzen. Ziel aller Läufe ist immer Schmiedefeld.

 

Nachdem ich schon dreimal den Supermarathon bestritten habe (2007, 2011 und 2014), gehe ich diesmal an den Marathonstart, um eine völlig neue Strecke auszuprobieren. Und ehrlicherweise fühle ich mich derzeit auch gar nicht in der Lage, einen Ultra zu laufen. Der Marathon wird hart genug, hat er doch 770 Höhenmeter aufzuweisen.

Wir fahren am Freitag also nach Thüringen, checken in unser Hotel in Masserberg ein, nachdem wir in Schmiedefeld die Lage im Zielbereich geprüft haben (puhhh: der letzte Kilometer wird ja ganz schön bergauf gehen!) und fahren nach Neuhaus, um die Startnummer abzuholen. Dort lernen wir Manfred und Monika aus Kempten kennen und sind uns sofort sympathisch. Monika wird die 17 km Wanderung ab Oberhof machen und Manfred läuft den Marathon genau wie ich, noch dazu mit einem ähnlichen Zeitziel (so um die 6 Stunden). Da wir ein Pastaessen bei uns im Hotel gebucht haben, warten wir nicht auf die Kloßparty mit der musikalischen Untermalung der Lichtethaler Musikanten (auch wenn sie in meinem Geburtsjahr gegründet wurden), sondern fahren zurück nach Masserberg. Eigentlich hätte ich ja lieber in Neuhaus wohnen wollen, aber da war nichts zu bekommen. Manfred und Monika wohnen auch in Masserberg, haben aber eine Ferienwohnung und wollen daher die Kloßparty mitnehmen.

War das Wetter am Freitag sehr durchwachsen mit einigen, teils kräftigen Regenschauern, so begrüßt uns der Samstagmorgen um 5:30 Uhr mit einem herrlichen Sonnenaufgang.

Wir treffen Manfred um 7:00 Uhr an der Bushaltestelle, um den Shuttlebus nach Neuhaus zu nehmen, der um 7:15 Uhr kommen soll. Manfred war mit seiner Monika schon mal um 5:30 Uhr hier, denn da fuhr ihr Shuttle nach Oberhof. Der Bus kommt 10 Minuten zu spät, dafür kommen aber gleich 3 Busse und das ist gut so, warten doch mittlerweile sehr viele Läufer auf die Mitnahmegelegenheit. In den umliegenden Landkreisen sind zahlreiche Straßensperren angekündigt und so hoffe ich, dass Kerstin mit dem Auto zu all den Treffpunkten kommen kann, die wir vereinbart haben. Wie sich zeigen wird, klappt das leider gar nicht.

In Neuhaus ist der Bär los. Es sind 3.500 Teilnehmer beim Marathon gemeldet, was Vor-Corona-Niveau entspricht. 2020 wurde die Veranstaltung übrigens das einzige Mal abgesagt, daher erst dieses Jahr das goldene Jubiläum. Manfred und ich geben unsere Kleidersäcke ab und stellen uns zu den tausenden anderen Sportbegeisterten auf dem Sportplatz auf.

 

20 Minuten vor dem Start (der um 9 Uhr ist) ertönt das Rennsteiglied, dann der Schneewalzer, zu dem alle mitschunkeln und schließlich nochmal das Rennsteiglied, ein Countdown und los geht’s.

Wir laufen gleich mal über eine steile Wiese und dann auf der Straße durch den Ort heftig bergauf und werden nach etwa 600 Metern mit dem Schild begrüßt „Der erste Berg ist geschafft!“. Es sollen aber noch ganz viele folgen.

Die ersten 5,8 km werden wir auf der Bundesstraße laufen und nicht auf dem parallel verlaufenden Rennsteig. Das ist eine gute Idee, denn so kann sich das Feld etwas auseinanderziehen und wir können uns schön einrollen, zumal es ein Stück bergab geht bis zur ersten Versorgungsstelle.

An der Versorgungsstelle (hier gibt es nur Getränke) wechseln wir dann auf den eigentlichen Rennsteig. Die Helfer haben lange Wäscheleinen mit allen Finishershirts der letzten 50 Jahre aufgehängt, ein sehr schönes Detail. Der Weg ist noch schön breit, sodass sich auch hier keine Staus bilden.

Kerstin hat es derweil geschafft, zum ersten Treffpunkt in Limbach (Kilometer 8) zu kommen und sieht dort die schnellsten Läufer durchbrettern (der erste nach 27 Minuten!). Manfred und ich laufen wie geplant nach 56 Minuten ein (3 Minuten davon hat’s gedauert, über die Startlinie zu kommen).

Während wir weiterlaufen, versucht Kerstin, zum nächsten Treffpunkt zu kommen (Masserberg), was aber nicht mehr klappt, da mittlerweile eine Kreuzung gesperrt ist, die sie nehmen müsste. Solche Straßensperren wird sie am heutigen Tag leider noch mehrmals erleben.

Wir Läufer dürfen weiterhin das wunderbare Wetter genießen. Die Wege sind in einem erstaunlich guten Zustand. Nur ab und zu müssen wir schlammige Stellen oder Pfützen vom Vortag umschiffen, aber alles in allem ist es ein schönes Laufen durch den Thüringer Wald.

Ich unterhalte mich etwas mit einem Läufer, der die ganze Zeit eine Fahne trägt. Er heißt Gerd, ist 64 und läuft den Marathon schon zum 22. Mal. Überhaupt gibt es hier ganz viele Wiederholungstäter; einige von ihnen sind auch schon über 40-mal dabei gewesen. Und zählt man nur die Starts bei den diversen Läufen, so haben sogar drei der 4 Ersttäter an allen 50 Veranstaltungen teilgenommen, auch wenn es diesmal nur eine Wanderung war. Der Vierte im Bunde ist leider 2016 verstorben.

 

Wir laufen auf die höchste Stelle der Strecke, der Turmbaude von Masserberg. Dort ist bei Kilometer 18,3 die dritte Versorgungsstelle und ich schütte mir zum ersten Mal Cola rein, neben dem obligatorischen Haferschleim, den es an jeder Versorgungsstelle gibt und der sehr beruhigend auf den Magen wirkt. Die Versorgung beim Rennsteiglauf ist ja legendär, allerdings muss ich feststellen, dass das nur für den Supermarathon gilt, denn hier beim Marathon gibt es weder Wurstbrote, noch Wiener oder sonstige Leckereien, nur nacktes Brot, Bananen, Äpfel und Zitronenschnitze. Dafür aber jedes Mal Wasser, Apfelschorle, Cola, Tee und an der letzten Versorgung vor dem Ziel wird es auch Bier geben.

 

Von der Turmbaude geht es steil bergab nach Masserberg, wo ich Kerstin nirgends entdecken kann, also unverzagt weiter. Mit Manfred laufe ich nicht die ganze Zeit zusammen, aber wir sind immer auf Schlagdistanz: er ist bergauf als schwäbische Bergziege deutlich schneller als ich, ich bin an der Versorgung schneller fertig und laufe bergab mindestens so schnell wie er.

Leider ist es immer noch sehr voll, Überholen ist schwierig und so wird der Laufrhythmus immer wieder unterbrochen. Als es schließlich in einen wunderbaren Single Trail geht, müssen wir im Gänsemarsch gehen. Sehr schade! Hier wäre ich sehr gerne runter gelaufen. Am Ende dieses schönen Trails kommen wir an der vierten Versorgungsstelle „Schwalbenhauptwiese“ bei Kilometer 22,2 an.

Kerstins Kreuzungssperre ist genau an dieser Stelle und so sehen wir sie nochmal. Sie sagt mir aber gleich, dass sie jetzt ins Ziel nach Schmiedefeld fährt, weil sie wegen der Straßensperren nicht wie geplant nach Neustadt kommt.

 

Bis zum Halbmarathonpunkt hab ich zweieinhalb Stunden gebraucht. Mein optimistischer Plan war, die erste Hälfte in 2,5 und die zweite Hälfte in 3 Stunden zu laufen. Allerdings habe ich kaum damit gerechnet, es in 5,5 Stunden zu schaffen. Mal sehen, bisher lieg ich voll im Zeitplan und es geht mir noch einigermaßen gut.

Manfred scheint es noch blendend zu gehen. Er ist jedenfalls super gut drauf.

Ich hab die zweite Hälfte etwas unterschätzt. Es ist sehr wellig, immer wieder sind sehr lange Anstiege zu bewältigen, die ich leider nicht mehr durchlaufen kann. Auf dem Weg nach Neustadt verläuft der Rennsteig direkt neben der Straße und fast alle Läufer wechseln auf die Straße, da dies weniger anstrengend ist. Ich bleibe noch eine Weile fast alleine auf dem Trail, aber schließlich geh ich auch auf die Straße. Es läuft sich einfach flüssiger dort.

 

In Neustadt haben wir 28,3 km geschafft. Manfred wartet dort an der Versorgungsstelle auf mich, aber ich hab jetzt einen ziemlichen Durchhänger und sag ihm, er soll sich nicht um mich kümmern, sondern weiterlaufen, denn ihm geht es noch sehr gut. In Richtung Dreiherrenstein, wo die nächste Versorgung wartet, müssen wir den steilsten Anstieg der Strecke bewältigen. Das fällt mir jetzt schon richtig schwer. Ich versorge mich nochmal sehr ausführlich – und wie so oft: plötzlich läuft es wieder wesentlich besser, ich kann auch die harmloseren Anstiege wieder durchlaufen und als wir die Bergkuppe vor Frauenwald erreichen, haben die netten Helfer dort für uns den roten Teppich ausgelegt.

Von dort geht es nun (fast) nur noch bergab. Ich kontrolliere meine Zeit und stelle beruhigt fest, dass es auf jeden Fall eine Gesamtzeit unter 6 Stunden wird, selbst wenn ich jetzt nur noch gehen würde (Frauenwald ist bei Kilometer 37,1 und für die letzten 5 km hab ich noch über eine Stunde Zeit). Wenn ich es schaffe, durchzulaufen, wäre sogar eine Zeit unter 5:30 drin, aber davon wage ich momentan noch nicht zu träumen.

In Frauenwald also die letzte Versorgungsstelle, an der wir auch die Auswahl zwischen hellem oder dunklem Köstritzer Bier haben. Ich lass mir ein Dunkles schmecken. Die letzten 5 km lassen sich gut an, zum Teil bin ich jetzt ganz alleine auf der Strecke. Aber ganz zum Schluss kommt ja noch der Anstieg in Schmiedefeld zum Sportplatz, der fast 1 km lang ist und doch ziemlich bergauf geht. Wie gut, dass ich das schon weiß und mental darauf vorbereitet bin. Davor überqueren wir zum einzigen Mal eine Bahnlinie und ich erfahre später, dass ich richtig Glück hatte, nicht auf den Zug warten zu müssen, der wohl kurz nach mir dort durchfuhr.

 

Das Aufwärtsstück tut richtig weh, aber es sind massenhaft Zuschauer da, die mich hochschreien, sodass ich nur zweimal eine ganz kurze Gehpause einlegen muss. Oben angekommen geht es noch um den Sportplatz rum (am Anfang immer noch bergauf!!), bis wir schließlich zusammen mit den Supermarathonläufern, die aus der anderen Richtung kommen, durch den neuen Zielbogen in Form eines „R“ einlaufen.

Ich hab’s tatsächlich noch in unter 5:30 geschafft, genauer in 5:28:47 und bin überglücklich. Im Zielbereich steht Manfred, der in 5:22:47, also genau 6 Minuten vor mir ins Ziel gelaufen ist und auch total happy ist. Monika wartet schon hinter dem Zaun.

 

Kerstin kann ich leider nirgends sehen. Wie ich später erfahre, musste sie riesige Umwege fahren, wurde einmal kurz vor Schmiedefeld von der Polizei wieder zurückgeschickt und hatte gerade das Auto 2,5 km entfernt parken können und war zu Fuß auf dem Weg ins Ziel, als ich bereits eingelaufen bin. Entsprechend genervt und sauer ist sie, als wir uns endlich in den Armen liegen.

War es unterwegs sehr sonnig und warm, ist der Himmel in der letzten Stunde ziemlich zugezogen und es ist recht kühl geworden. Wir sehen also zu, dass wir unsere Kleiderbeutel auf der großen Wiese finden.

Es gibt wunderbar warme Duschen und gut erfrischt nach einem weiteren Läuferbier (natürlich wieder ein Köstritzer) schlendern Kerstin und ich noch etwas über den Zielbereich, um uns dann schließlich auf die lange Wanderung Richtung Auto zu machen.

Meine Zeit ist nicht überragend, aber ich finde, Platz 56 (von 111) in meiner Altersklasse kann sich sehen lassen (Manfred gehört zur gleichen AK und ist auf Platz 52). Bis auf den Durchhänger zwischen Kilometer 28 und 33 ging es mir auch relativ gut.

Die Siegerzeiten sind wie immer der Wahnsinn: bei den Männern siegt Erik Hille in 2:32:21 und bei den Frauen ist es Anna Barber in 3:07:42. Anna Barber wurde letztes Jahr Zweite, denn eine gewisse Anna Hahner schnappte ihr den Sieg weg (in 3:01).

Alle Finisher bekommen die gleiche Medaille, aber nur die Supermarathonläufer erhalten auch ein Finishershirt. Da geh ich also leer aus.

 

Die Rückseite der Medaille ziert diesmal der Namenspatron des Laufs, J.C.F GutsMuths. Das war ein im 18. und 19. Jahrhundert lebender Pädagoge aus Quedlinburg, der ein Mitbegründer des Turnens war. Es gibt deutschlandweit etwa 50 Namensvetter, die mit dem Original verwandt sind und 11 davon waren auch zum Rennsteiglauf angemeldet. Gwendolin Gutsmuths war schon 31-mal dabei!!