Zugspitz-Ultra-Trail 20.06.2015

Und wieder ruft die Zugspitze am längsten Tag des Jahres. Beim Zugspitz-Ultra-Trail (kurz „ZUT“) stehen neben den 4 Strecken vom Vorjahr noch eine kürzere Strecke für Einsteiger zur Auswahl: der Basetrail mit Start in Garmisch-Partenkirchen hat 25,1 km, der letztjährige Basetrail heißt nun „Basetrail XL“ mit Start in Mittenwald und 35,6 km, dann gibt es noch den Supertrail mit Start in Leutasch und 60,1 km, den Supertrail XL mit Start in Ehrwald und 78,5 km und schließlich die Königsdisziplin: der Ultratrail mit Start in Grainau und 100 km – einmal vollständig um das Wettersteingebirge herum, denn das Ziel aller Läufe ist wieder in Grainau.

Im letzten Jahr hatte ich mich am Supertrail XL verhoben: die erste Hälfte war ich viel zu schnell gelaufen, denn ich wollte unbedingt noch bei Tageslicht ins Ziel kommen. Das Ergebnis war völlige Erschöpfung nach 55 km und eine anschließende Aufgabe bei Kilometer 60. Also musste ich dieses Jahr wieder ran, aber diesmal wollte ich gleich aufs Ganze gehen und die komplette Runde laufen. 100 km und 5.380 Hm? Größenwahn? Nein, ich war mir eigentlich völlig sicher, dass ich das diesmal schaffen würde, wenn ich das Ganze nur langsam genug angehen würde. Bei dieser Strecke wäre es sowieso unmöglich, bei Tageslicht ins Ziel zu kommen (es sei denn, man gehört zu den 50 Besten). Allerdings hab ich die Rechnung ohne das Wetter gemacht!

Für das gesamte Wochenende ist grausamstes Wetter angesagt mit durchgehend Regenfällen und Eiseskälte. Ich packe noch etwas wärmere Klamotten ein, als ich geplant hatte – trotzdem zu wenig, wie sich herausstellen sollte. Wir reisen am Freitag an, ab und an regnet es, aber am Nachmittag sieht das Wetter gar nicht mal so schlecht aus. Bei der Startnummernausgabe und im Start-/Zielbereich treffen wir wieder alte Bekannte und auch die beiden Cheforganisatoren von Plan B, Uta und Heini.

Bei der abendlichen Pastaparty hat der Himmel seine Schleusen schon wieder geöffnet. Gott sei Dank ist der Musikpavillon mit einem großen Zeltdach versehen, sodass wir trocken bleiben. Allerdings ist es ziemlich kalt. Trotzdem genießen wir die Pasta gemeinsam mit unseren Freunden Hanna und Detlef, schauen uns den Einzug der Fahnenkinder an (die etwa 2000 Teilnehmer aller Läufe kommen aus über 50 Nationen!) und halten uns bei den Goaßlschnalzern die Ohren zu. Das anschließende Briefing ist wieder extrem ermüdend: aus rechtlichen Gründen müssen zunächst langwierige Sicherheitsansagen gemacht werden, bis es endlich zur Strecke und dem Wetter kommt, das Ganze in Deutsch und Englisch – das zieht sich! Die Wetteraussichten sind miserabel. Es wird erwägt, die höchste Stelle des Rennens am Feldernjöchl (2.200 m hoch) auszulassen und eine Alternativstrecke zu laufen. Die Entscheidung soll noch vor dem Start am frühen Morgen fallen, je nachdem, wie viel Schnee bis dahin gefallen ist.

Am nächsten Morgen dann das „versprochene“ Wetter: es regnet in Strömen und es hat auch schon die ganze Nacht durchgeregnet. Die Temperatur liegt bei knappen 10°. Ich beschließe daher, gleich die langen Sachen anzuziehen inkl. der Regenjacke. Eine gute Entscheidung! Nach der obligatorischen Kontrolle der Pflichtausrüstung warte ich dann gemeinsam mit Hanna und Detlef auf den Start. Das Team „Wilder Süden“ (Annette und Hans) ist auch wieder dabei. Der Streckenchef Christoph sagt an, dass die Schneelage auf dem Feldernjöchl nicht so schlimm ist wie erwartet und wir wohl die Originalstrecke laufen können. Jubel und Applaus von allen Seiten.

Der Startschuss ertönt und es geht los. Zunächst werden die schnellen Läufer von einer Blasmusikkapelle ausgebremst, die die ersten paar hundert Meter voraus marschieren, aber dann können endlich alle durchstarten. Ich wundere mich schon, dass alle den ersten Hügel zügig hochlaufen, aber Kerstin erzählt mir hinterher, dass ich wohl recht weit vorne gestartet bin. Egal, ich lass mich nicht mitreißen, sag Hanna gleich, sie soll sich um mich nicht kümmern (sie ist wesentlich stärker als ich) und walke einigermaßen flott die Steigung hoch. Detlef ist nicht zu sehen (er ist deutlich hinter mir). Es kippt wie aus Eimern!

In Hammersbach kommen wir an der steilen Rampe vorbei, die wir am Ende runter laufen müssen. Das kann ja lustig werden! Die sieht jetzt schon total vermatscht und rutschig aus. Letztes Jahr am ersten Tag der 4Trails war das Wetter hier genauso schlecht und ich bin diese Rampe nur im kontrollierten freien Fall runter gekommen. Das kann hier ganz schnell zur Rutschpartie werden. Aber bis hier ist es noch ein weiter Weg. Wir laufen am Eingang zur Höllentalklamm vorbei und steigen in die nebligen Berge empor.

Die nette Dame vom „Streckenposten 1“ tut mir fast leid. Aber sie hat es noch gut, denn hier werden alle Läufer ziemlich schnell durch sein. Nach 60 km dürfen die Streckenposten viele Stunden ausharren, bis alle durch sind. An einer etwas kniffligen Stelle bildet sich sofort ein Stau. Wie üblich können die meisten Läufer in meiner Leistungsklasse nicht ordentlich mit ihren Stecken umgehen und haben an einer kleinen Holzbrücke ihre Probleme. Der Gripmaster steht unterhalb der Brücke und macht seine Fotos.

Das Laufen geht ganz gut, der Boden ist aufgeweicht, aber nicht schlammig und es geht in zügigem Auf und Ab die ersten 10,5 km bis zur ersten Verpflegungsstelle an der Eibseealm, wo Kerstin bereits auf mich wartet, obwohl ich wesentlich früher dort bin als geplant (1:27 bis hier, 500 Hm geschafft).

Wir hören von anderen Zuschauern, dass nun doch die Alternativstrecke gelaufen wird. Es scheint noch eine große Menge Schnee dazu gekommen zu sein. Na dann. Ich denk erst mal nicht weiter darüber nach, versorge mich gut, verabschiede mich von meinem treuesten Fan Kerstin und marschiere weiter. Jetzt kommt ein langer Aufstieg zur deutsch-österreichischen Grenze unterhalb der Zugspitzbahn. Die Grenze ist auf 1.600 m Höhe und es ist jetzt schon richtig kalt. Das kann weiter oben lustig werden, denn außer Handschuhe und Mütze hab ich nichts Wärmeres dabei. Den Abstieg kann ich sehr gut laufen und dabei wird mir auch wieder warm. Das letzte Stück verläuft auf der asphaltierten Straße, die zur Talstation der österreichischen Zugspitzbahn führt. Hab ich auf dem Trail alle anderen überholt, so geben sie jetzt auf dem Asphalt wieder Gas und überholen mich.

An der Talstation halte ich Ausschau nach Kerstin, aber sie ist nicht zu sehen. Da ich weiterhin weit vor meinem Zeitplan liege, hat sie es wahrscheinlich nicht rechtzeitig hierher geschafft. Ich pack mein Handy aus und rufe sie an. Sie ist gerade auf dem Parkplatz angekommen, aber ich bin ja schon durch. Ich sag ihr, sie soll versuchen, zur Gamsalm zu kommen. Das klappt dann allerdings auch nicht, weil sie den Weg nicht findet (und die durchweichte Schotterpiste dorthin wäre wohl auch nichts gewesen für unseren roten Flitzer).

Bis zur Gamsalm müssen wir erst mal eine steile Skipiste hoch (hab ich schon mal erwähnt, dass ich Skipisten hasse?) und dann am „Sonnenhang“ genauso steil wieder runter. An der Gamsalm nehme ich erst mal eine warme Brühe zu mir. Kerstin ist natürlich nicht da, aber ich habe mir auch nur eine 50:50 Chance ausgerechnet, dass sie es hierher schafft. Dann treffen wir uns eben erst wieder am Hubertushof. 20 km und 1.370 Hm sind geschafft in 3:24. Ich liege immer noch gut in der Zeit (Cutoff-Limit: 5:15), aber bisher war die Strecke auch nicht wirklich schwierig.

Das ändert sich jetzt auf dem Weg zur Ehrwalder Alm. Der Koppensteig ist noch ganz gut zu laufen, aber dann kommt die Einmündung vom Supertrail XL und es geht nun steil und fast weglos durch den Wald nach oben. Hier sind schon so viele Läufer durch, dass der Weg total schlammig und rutschig ist, ich fast nirgendwo Halt finde und praktisch auf allen Vieren hochkrabbeln muss. Es ist tierisch anstrengend und auch die Mitstreiter mit Stecken (fast alle) tun sich hier richtig schwer. Wie gut, dass ich weiß, dass wir bald auf einen fast ebenen Forstweg kommen werden, aber das dauert wesentlich länger, als mir lieb ist.

Der Weg bleibt nicht lange eben, nach einem kurzen Laufstück marschieren wir weiter steil hoch zur Bergstation der Ehrwalder Alm. Sicht ist so gut wie keine und es regnet ohne Unterbrechung. Es macht nicht wirklich Spaß und mir fehlt die Motivation, die Kamera auszupacken, um Fotos vom Nebel und Regen zu machen. Umso erstaunter bin ich, dass doch einige Wanderer hier oben anzutreffen sind. Die haben sich ihren Urlaub sicher auch anders vorgestellt.

Noch ein Stück weiter oben kommen wir an die nächste Versorgungsstelle an der Pestkapelle. Wir sind schon wieder über 1.600 m Höhe und mir ist ziemlich kalt. Also pack ich meine Handschuhe aus und fühl mich damit gleich viel wohler. Noch ein Stück höher dann die Gewissheit: wir werden von der Bergwacht auf die Alternativstrecke geleitet. Auf meine Frage hin sagen sie mir, dass oben ein halber Meter Schnee liegt und dass es eigentlich das Schlaueste für uns wäre, umzukehren und nach Ehrwald runter zu laufen. Das macht natürlich keiner und so geht es nun auf einer Strecke von 6 km stetig bergab. Das kann ich gut laufen und das Tempo von 6:20 pro Kilometer drückt den Gesamtschnitt wieder ziemlich nach unten.

Zum ersten Mal am heutigen Tag ist es trocken. Ja, es kommt sogar ganz kurz die Sonne raus! Die Bergkette vom Breitenkopf gegenüber vom Wettersteinmassiv ist bereits fast vollständig zu sehen, während aber am Wetterstein noch dichte Wolken hängen. Ich pack erst mal die Handschuhe wieder weg und mach die Jacke auf. Die Alternativstrecke erspart uns 4 km und über 600 Hm, in Laufzeit ist das fast eine Stunde! Das letzte Stück zur Hämmermoosalm mit der vierten Verpflegungsstelle geht es noch mal 100 Hm hoch.

An der Verpflegungsstelle steht ein „Panorama-Zug“. Hätte ich das gewusst, dass man hier mit dem Zug hochkommen kann … Knappe 39 km und 2.140 Hm liegen nach 6:40 hinter mir (Zeitlimit hier: 10 Stunden!). Mir ist klar, dass jetzt der Aufstieg zum Scharnitzjoch und damit zum höchsten Punkt am heutigen Tag kommt (2.050 m). Bis zum richtigen Aufstieg geht es aber erst mal mehr oder weniger bergauf auf einem schönen Trail am Hang entlang. Es regnet wieder und ich versuche, ein paar Mitstreiter zu überholen, die offenbar keine Lust mehr haben zu laufen. Hier macht es nämlich richtig Spaß, denn der Trail ist genau das, was ich so liebe: schmal, felsig und mit vielen Baumwurzeln gespickt. Hochkonzentriert kann ich das herrlich laufen.

Nach einem kurzen Downhill kommt dann der eigentliche Aufstieg zum Scharnitzjoch, den keiner mehr laufen kann. Ich ziehe die Handschuhe wieder an, denn es wird zusehends kälter. Ab einer Höhe von 1.800 m liegt Schnee und der Regen wandelt sich zum Graupelschauer.

Der Weg ist schwierig: völlig durchweicht, schlammig, der Regen hat tiefe Furchen durch die Grasnarbe gezogen, in denen das Wasser zu Tal schießt. Trotzdem pack ich noch ein paar Mal die Kamera aus, denn es ist einfach zu unwirklich hier, am 20. Juni, mitten im Sommer!

Als ich endlich oben bin, sehe ich, dass eine gut gelaunte Bergwacht einen Schneemann gebaut hat. Der Downhill verschwimmt im Nebel und ist kaum zu sehen.

Mir geht’s eigentlich ganz gut. Ich bin jetzt 8 Stunden unterwegs (45 km bis hierher), habe warme Hände in trockenen Handschuhen und freue mich auf den Downhill. Der läuft die ersten Kilometer auch noch ganz gut, aber dann fängt die Strecke an, schlammig zu werden. Ich habe die Salomon Speedcross an und die haben das Problem, dass sich der Schlamm an der Sohle festsetzt und damit das ansonsten tolle Profil keine Wirkung mehr hat. Ich versuche, nicht in den tiefen Schlamm zu treten, sondern daneben zu laufen. Das ist gefährlich, einmal zieht es mir den linken Fuß weg und ich kann mich gerade noch fangen, allerdings geht ein kurzes Ziehen durch mein linkes Knie. Kurze Zeit später reißt es mir beide Füße auf einmal weg und ich lande breitseits im Schlamm. Na toll, jetzt sind die Handschuhe pitschnass und komplett verschlammt. Das Ganze wiederholt sich dreimal, ich sehe aus wie ein Schwein und werde jetzt sehr unsicher. Die Stürze kosten jedes Mal Kraft und Selbstvertrauen. Bis zur Waldkante gehe (schlittere) ich jetzt nur noch. Mit den dreckigen Handschuhen kann ich nichts mehr anfassen. Ausziehen geht auch nicht, denn wohin mit den verschlammten Dingern? Außerdem hab ich keinen Ersatz dabei und mir steht ja noch die Nacht bevor.

Der Abstieg im Wald ist extrem steil und gefährlich und ich trau mich jetzt nicht mehr zu laufen. Gehen ist natürlich viel anstrengender, denn nach jedem Schritt muss man sich abfangen und es ist weiterhin sehr rutschig. Mir wird das Gestolpere langsam zu gefährlich und Spaß macht das Ganze auch nicht mehr. An einer Bank ruhe ich mich kurz aus und beschließe aufzuhören. Das letzte flachere Stück bis zum Hubertushof (5. Versorgungsstelle) laufe ich gemächlich runter. An der Verpflegungsstelle treffe ich doch tatsächlich das Team „Wilder Süden“. Die hatten auch so ihre Probleme mit dem Downhill, wie fast jeder an diesem Tag. Von den Zuschauern höre ich, dass die Strecke am Schluss auch noch mal gekürzt wurde und die Schleife um die Bergstation der Alpspitzbahn weggelassen wird.

Kerstin ist noch nicht da. Mit spitzen Fingern ziehe ich meine Handschuhe aus und rufe sie an. Sie parkt gerade und so kann ich noch mal kurz nachdenken, ob ich weiter machen will. Es waren jetzt 52 km und 2.800 Hm in 9:15. Eigentlich ganz gut, meine Fitness stimmt auch noch, aber die Motivation ist im Keller und ich habe einfach keine Lust mehr. Mir fehlen die Wechselklamotten (Kerstin hat zwar ein trockenes Oberteil und eine zweite Jacke für mich dabei, aber es fehlen Hose und Handschuhe, neue Schuhe wären auch nicht schlecht) und das Wetter wird auch nicht besser.

Wie sich später herausstellt, hab ich mir das linke Knie leicht verletzt, es tut noch Wochen danach weh. War also doch eine ganz gute Entscheidung, aufzuhören. Es hat dann noch die ganze Nacht geregnet und war so neblig, dass man auch mit Stirnlampe nicht viel gesehen hat.

Zur Siegerehrung am nächsten Tag gehen wir trotzdem und treffen Hanna (16:19:16 und Platz 11 ihrer Altersklasse), Detlef (19:25:34 und Platz 82 in seiner Altersklasse) und das Team „Wilder Süden“ (17:04:57, Annette ist direkt hinter Hanna auf dem 12. Platz, Hans ist auf Platz 48). Zu unserer Überraschung war auch Simone-Zitrone da und kommt beim Basetrail XL auf den 3. Platz ihrer Altersklasse.

Sieger beim Ultratrail, der durch die Streckenänderungen nun „nur“ 91 km lang war und etwa 4.200 Hm hatte, waren Michael Arend in 9:44:08 und Simona Morbelli in 11:11:13. Simona lag bereits im letzten Jahr weit in Führung, verpasste aber die Schleife an der Alpspitze 10 km vor Schluss und wurde deshalb disqualifiziert. Heute hat sie sich würdig zurück gemeldet. Von 650 Startern haben 534 das Ziel erreicht, der Letzte nach knapp 24 Stunden. Eine erstaunlich geringe Ausfallquote, wenn man die Verhältnisse bedenkt.

Wegen Lustlosigkeit den Wettkampf abgebrochen? Nennt mich ein Weichei, aber ich fühle mich nicht schlecht deswegen. Das Ganze soll schließlich auch noch Spaß machen. Konditionell war ich gut drauf und bei besseren Bedingungen hätte das sicher geklappt. Vielleicht auch mit einer besseren Ausrüstung? Beim nächsten Mal nehme ich sicherheitshalber eine komplette Garnitur zum Wechseln mit. Wenn es ein nächstes Mal gibt …