Gondo-Marathon 01.08. - 02.08.2015

Immer am ersten Wochenende im August gibt es für mich einen Pflichttermin im Wallis in der Schweiz. Es ist wieder Gondo-Marathon und zum fünften Mal in Folge bin ich mit von der Partie.

 

Es ist schon fast wie bei einem Klassentreffen, denn mittlerweile kennt man sehr viele Teilnehmer. Edgar und Angelika, sowie die Kortykas und Wilma treffen wir schon am Vortag. Später kommen noch Matthias, Wendel, Tissi, Bernd und Dieter dazu (Dieter ist schon das 9. Mal dabei!). Auch die beiden „Locals“ Josianne und Patricia sind dabei. Das sind bei mir die „Goms-Zwillinge“, weil sie immer dasselbe Outfit anhaben und immer zusammen laufen – verwandt sind sie aber nicht.

 

Die Pastaparty am Vorabend ist diesmal nicht so gut wie sonst: im Stockalperturm hat der Pächter gewechselt und der Neue muss erst noch lernen, die Pasta „al dente“ zu kochen. Das viele Plastikgeschirr findet auch keinen Anklang.

Der nächste Tag beginnt mit ziemlich schlechtem Wetter. Das hat zwar den Vorteil, dass es nicht so warm sein wird (auf dem Bistinenpass in 2400 Metern Höhe wird es eher zu kalt), aber strömender Regen muss es nun wirklich nicht sein.

Da kommt mir wieder in den Sinn, warum es dieses Rennen überhaupt gibt: im Jahr 2000 gab es nach tagelangen schweren Regenfällen einen gewaltigen Erdrutsch, der das halbe Dorf mitgerissen hat und 13 Menschen in den Tod. Nach dem Wiederaufbau sollte die Veranstaltung erstmals 2002 wieder etwas Leben in den kleinen Ort an der Grenze zu Italien bringen. Bis heute ist das die einzige Gelegenheit zu einem kleinen Dorffest, das immer am zweiten Tag stattfindet.

 

Ach ja, wer noch nicht weiß, was der Gondo-Marathon eigentlich ist: es sind 2 Bergmarathons an 2 Tagen. Am Samstag laufen wir von Gondo über Simplon- und Bistinenpass nach Ried-Brig. Dort übernachten wir (wer will, kann das im Schweizer Luftschutzbunker tun) und laufen am Sonntag durch das Gantertal und über den Simplonpass, sowie das Furggu zurück nach Gondo. 2000 Hm am ersten und 2200 Hm am zweiten Tag. Nix für Weicheier!

 

Nachdem die Streckenchefin Brigitte uns gebrieft hat („… es hat zwar viel Regen, aber ihr seid ja hart im Nehmen, sonst wärt ihr nicht hier …“), geht es auch schon los. Es geht vom Start weg bergauf, erst kurz die für uns gesperrte Passstraße entlang, dann auf der Galerie und über mehrere Treppen, Stahlbrücken und Wanderwegen auf dem ehemaligen Stockalperweg durch die enge Gondoschlucht. Sogar ein langer Tunnel ist dabei: das Fort Gondo, eine Festungsanlage aus dem zweiten Weltkrieg.

Ich gehe das Ganze diesmal extrem zurückhaltend an. Ich habe seit Wochen Probleme mit einer Entzündung im linken Knie, konnte kaum trainieren und weiß gar nicht, ob ich das hier überhaupt bewältigen kann. Also reihe ich mich ganz hinten ein und marschiere die Steigungen hoch. Nach 10 Minuten hört der Regen auf und nach weiteren 5 Minuten muss ich schon wieder die Jacke und den Buff ausziehen, mir ist einfach viel zu warm.

 

Kerstin kennt sich ja schon sehr gut aus und kommt zu den besten Fotopunkten. Der erste ist an einer geschwungenen Brücke, die von der Passstraße über den Fluss zum Wanderweg gespannt ist. Der zweite dann in Gabi, einem kleinen Weiler, wo Kerstin alle Läufer hinter einer Brücke empfangen kann.

Danach geht es für uns erst mal ziemlich bergauf. Ich schaue zurück und siehe unser kleines Auto, dann muss ich mich schon auf den Weg konzentrieren, der hier ziemlich schlammig ist. An der langen Treppe (meiner „Stairway to Heaven“) hole ich die Läuferin vor mir ein. Den asphaltierten Weg danach laufe ich diesmal nicht hoch, sondern marschiere stramm. Erst kurz vor Simplon-Dorf verfalle ich wieder in den Laufschritt. Immer wieder regnet es kurz, aber auf Regenjacke hab ich wirklich keine Lust mehr. Als wir durch Simplon-Dorf laufen, ist die Straße pitschnass (und wir auch). Knapp 9 km sind geschafft.

Wendel und Joachim sind mir auf den Fersen, holen mich heute aber nicht ein. Es geht mir besser als ich dachte und es zahlt sich aus, dass ich bergauf konsequent gehe. Trotzdem hol ich immer wieder andere Läufer ein, auch ein Pärchen aus Dänemark, die ich mit „danish dynamite“ begrüße. Die Strecke zaubert wie immer ein Lächeln auf mein Gesicht (na ja, das Lächeln ist eher innerlich), auch wenn sich der Weg immer wieder im Nebel verliert. Am imposanten Gebäude des alten Spittels wartet wieder Kerstin auf uns und kann vor mir ganz viele Läufer begrüßen. Ein Vierbeiner ist auch dabei.

Der letzte Abschnitt bis zur Versorgungsstelle am Simplonpass vergeht wie im Flug. 4 Stunden darf man bis hierher brauchen. Obwohl ich so langsam wie nie unterwegs bin, schaffe ich es in knapp unter 3 Stunden. Hier kann ich wie jedes Jahr den Rennarzt Pablo begrüßen. Brigitte ist nicht da. Nach einer raschen Versorgung geht es weiter in den Nebel hinein.

Die Dänen, Wendel und Joachim kommen etwas später an. Ich treffe auf der weiteren Strecke Brigitte, die runter gewetzt kommt. Sie hat nochmal die Streckenmarkierung kontrolliert und musste auch noch ein paar Markierungen setzen, damit wir uns nicht verlaufen. Ich kann noch 4 Läufer überholen und dann taucht im Nebel vor mir plötzlich Bernd auf.

Na so was! Besonders fit ist er wohl auch nicht, sonst würde ich ihn nie und nimmer einholen. Wir gehen und laufen ein wenig zusammen und passen auf, dass wir die Markierung nicht verlieren, aber Brigitte hat hier oben die Fähnchen so eng gesetzt, dass man trotz dichtem Nebel immer eines davon sieht. Von einem „Weg“ kann man hier oben nämlich nicht sprechen, teilweise geht es einfach nur über die Wiesen. Lediglich die Läufer haben in 14 Jahren Gondo-Marathon hier einen Trampelpfad geschaffen.

 

Den Bistinenpass mit seiner Versorgungsstelle sieht man erst im letzten Moment aus dem Nebel auftauchen. Es ist zwar empfindlich kalt hier oben, aber ich beschließe trotzdem, keine Jacke anzuziehen. Die Erfahrung lehrt, dass es beim Downhill immer sehr schnell wärmer wird.

Hier oben hab ich doch tatsächlich noch den Dieter eingeholt. Bernd, den ich bergauf etwas abgehängt hatte, läuft vor uns los und ward nicht mehr gesehen. Ich denke mir, Dieter wird mich auch sofort bergab überholen, aber weit gefehlt: bis zur nächsten Versorgungsstelle bleiben wir immer in Sichtweite – allerdings auch nur wegen einer Pinkelpause von Dieter …

An der Versorgungsstelle ist es schon richtig warm, denn wie immer reißt auf dieser Seite des Berges der Himmel auf und die Sonne kommt zeitweise zum Vorschein, was sich sofort gewaltig auf die Temperaturen auswirkt. Wie gut, dass ich jetzt keine Jacke anhab! Der weitere Weg geht wunderschön durch den Wald, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen immer bergab. Ich kann ganz gut laufen, allerdings stolpere ich immer wieder mal und hau mir dabei den großen Zeh an. Jedes Mal tut es mehr weh und es ärgert mich richtig, dass ich das nicht vermeiden kann. Einmal stolpere ich so arg, dass es mich fast längs hinhaut. Da muss ich erst mal stehen bleiben und durchatmen. Puhhh – gerade noch mal gut gegangen! Dabei ist es hier überhaupt nicht steil und eigentlich ganz leicht zu laufen. Aber das sind ja immer die gefährlichsten Stellen, weil man da unaufmerksam wird. Das hat mein Laufpartner Floh auch gemerkt, der auf völlig ebener Strecke zu Hause umgeknickt ist und sich die Bänder im Fußgelenk so stark gedehnt hat, dass er diesmal nicht mitkommen konnte. Ich bin jedenfalls froh, als ich ohne Sturz, aber mit ziemlich schmerzenden Zehen die Versorgungsstelle „Schratt“ bei Kilometer 35 erreiche.

5:42 bis hierher. Hier ist wieder ein Cutoff mit 7 Stunden. Ich hab’s auch schon mal in 5 Stunden hier runter geschafft. Auf dem weiteren Weg stoße ich mir noch mal richtig heftig den eh schon stark schmerzenden Zeh und mit einem lauten „Sch…“ bleib ich erst mal stehen. Matthias läuft auf mich auf und fragt besorgt, ob es mir gut geht. Na ja, bis auf den Zeh ist ja alles bestens und so laufen wir eine Weile zusammen, bis die Markierung vom breiten Fahrweg abrupt nach links in den Wald zeigt, wo es auf einem engen Pfad supersteil bergab geht. Da mach ich erst mal wieder langsam und Matthias ist weg.

 

Ich kämpfe mich weiter (der ganze Fuß tut jetzt weh, mal ganz abgesehen vom Knie), überleg beim Hochmarschieren der letzten längeren Steigung, ob ich überhaupt noch auf dem richtigen Weg bin und versuche dann, einigermaßen vernünftig den steilen Weg runter zur Saltina zu kommen.

Und welch eine Freude, als ich sehe, dass wir wieder mal durch den Fluss dürfen! Bei dem verheerenden Unwetter im Jahr 2000 wurde die Brücke über die Saltina fortgerissen, so dass die Läufer bei der ersten Austragung durch den Fluss mussten. Das wurde als besonderes „Zuckerl“ zwar auch dann noch beibehalten, als es längst eine neue Brücke gab, aber in den letzten Jahren hatte die Feuerwehr das Durchqueren des Flusses nicht erlaubt, da er zu viel Wasser führte. Doch dieses Jahr hat sich die extreme Trockenheit auch hier bemerkbar gemacht: das Wasser reicht mir gerade an die Wade. Über die steile Böschung runter an den Fluss ist das mit meinem lädierten Knie noch ziemlich schwierig, aber das kalte Wasser ist eine Wohltat, zudem es mittlerweile gut warm geworden ist. Auf der anderen Seite hat die Feuerwehr Gott sei Dank ein Seil gelegt, an dem man sich hochziehen kann – das wäre sonst schwierig geworden.

 

Nach der letzten Versorgungsstelle (Kilometer 40) geht es mit gefühlt doppelt so schweren Schuhen noch mal steil hoch, dann auf einem schönen ebenen Weg an einem kleinen Wasserkanal entlang und schließlich über eine sehr steile trockene Rampe nach oben.

Das ist immer der härteste Abschnitt am ersten Tag. Da ist man schon fast im Ziel, dann muss man sich hier noch hochquälen. Und ist man endlich oben an der Straße, die nach Ried-Brig rein führt, geht es weiter leicht bergauf. In meiner Preisklasse ist hier an Laufen nicht mehr zu denken (macht auch keiner). Erst auf den letzten 500 Metern geht es wieder etwas bergab und schließlich vorbei an wunderschönen alten Walliser Häusern ins Ziel vor dem Schulhaus.

Die ersten hat Kerstin nicht mehr erwischt (Lukas Nägele, der heuer den Freiburg-Marathon trotz widrigster Bedingungen in neuer persönlicher Bestzeit gewonnen hatte, schafft es in phänomenalen 3:44:24), aber sie ist rechtzeitig da, um die Goms-Zwillinge im Ziel zu begrüßen. Letztes Jahr hab ich sie auf den Weg zum Bistinenpass noch locker überholt, aber sie haben offenbar gut trainiert und sind um Welten besser unterwegs. Sie benötigen heute 6:00:39, sind damit auf dem 3. Platz der Frauenwertung und weit vor mir, der ich heute 6:55:50 benötige.

Ich freu mich aber ziemlich, denn mit meinem Knie und dem nicht vorhandenem Training war ich mir ja gar nicht sicher, ob ich es überhaupt schaffe. Der verhaltene Start hat sich später beim Downhill jedenfalls ausgezahlt. Joachim und Wendel kommen nach mir ins Ziel und als wir nach der Dusche zum Abendessen gehen, kommen noch Sietske (eine Freundin von Bernd), sowie Sara und Monika ins Ziel. Mittlerweile regnet es wieder ziemlich stark. Die Wilma ist übrigens gar nicht gestartet und schon wieder abgereist. Warum, wissen wir nicht. Mit einem leckeren Abendessen und vielen netten Gesprächen (vor allem mit zwei Schweizern, Hellmut und Beat, die den halben Tisch lautstark unterhalten und Nicola, der rasenden Reporterin von marathon4you) endet der erste Tag.

Vor dem Schlafengehen schneide ich mir noch die Zehennägel. Waren wohl doch etwas zu lang. Am zweiten Tag trage ich außerdem etwas größere Schuhe, sollte also keine größeren Probleme mehr mit den Zehen haben.

 

Das Frühstück beginnt schon um 5:30 Uhr, denn um 7 Uhr ist der Start zum zweiten Bergmarathon. Es ist ein Jagdstart, d.h. der erste Mann und die erste Frau starten als Erste und dann die nächsten im Abstand, wie sie am ersten Tag ins Ziel gekommen sind. Um 7:30 starten dann alle verbliebenen Läufer. Viele sind es nicht, die in der ersten halben Stunde starten und nur eine Frau, denn der Abstand zwischen der ersten und der zweiten Frau (das ist übrigens Angelika!!) beträgt satte 53 Minuten. Lukas Nägele will hier auf jeden Fall gewinnen. Für ihn ist das die Vorbereitung auf den diesjährigen Transalpine Run. Durch den Jagdstart wird sichergestellt, dass der erste im Ziel auch der erste der Gesamtwertung ist.

Sara und Monika dürfen auch gleich nach den ersten Läufern starten, damit sie insgesamt eine halbe Stunde länger Zeit haben, um ins Ziel zu kommen. Der Rest von uns startet um 7:30 und ich wundere mich, dass Tissi ganz am Schluss sehr verhalten losläuft. Aber er hat sich am Vortag auf dem Weg zum Bistinenpass „abgeschossen“, ist total eingebrochen und kam erst als 15. Ins Ziel und dann auch noch mit der blöden Zeit von 5:00:02… Im Vorjahr war er noch über eine halbe Stunde schneller und auf Platz 4 gelaufen. Heute hat er offenbar beschlossen, das Feld von hinten aufzurollen.

 

Im Startbereich machen sich anschließend die Gondo-Runners bereit, die auf die 28 km-Strecke gehen. Dabei ist auch der Vater von Alain aus Simplon-Dorf: Alain hat sich letztes Jahr ein heißes Rennen mit Floh geliefert, ist dieses Jahr aber nicht dabei.

 

Ich bin gar nicht gut drauf. Ich hab mich wohl am ersten Tag etwas zu sehr verausgabt. Das Wetter ist heute viel besser, oben am Simplon-Pass ist angeblich keine Wolke am Himmel. Hier unten wabert aber noch der Nebel und es ist erfreulich kühl. Trotzdem fällt mir das Bergaufgehen unheimlich schwer. So werde ich auch ziemlich schnell von Joachim und Wendel abgehängt. Ich werde sie nicht mehr einholen. Wir laufen wieder auf dem hoch eindrucksvollen Stockalperweg rauf zur Passstraße, wo dann auch Kerstin das erste Mal wartet und ich heute fast als Letzter hochkomme (4 sind noch hinter mir).

Dann geht es weiter in das Gantertal, unter der riesigen neuen Ganterbrücke durch, auf die alte Ganterstraße und schließlich durch die alte Ganterbrücke durch. Heute liefere ich mir ein Katz-und-Mausspiel mit den Dänen: bergauf sind sie schneller und überholen mich, bergab ziehe ich wieder vorbei. An der alten Ganterbrücke machen sie ein Foto von mir.

Nachdem wir die Straße zur neuen Ganterbrücke hoch geschafft haben (Versorgungsstation Nr. 2, ca. 8 km), geht es über eine Wiese in einen richtigen Märchenwald rein. Das hier gehört zu den schönsten Streckenabschnitten am zweiten Tag und der Nebel sorgt für eine interessante Stimmung. Leider kann ich es nur halb genießen, denn es geht beständig gut bergauf, und bergauf bin ich heute grottenschlecht.

Kurz bevor wir erneut die Passstraße erreichen, hole ich Sara ein, die ja eine halbe Stunde Vorsprung hatte. Monika ist nicht zu sehen. Auf der Straße, neben der wir bis zur nächsten Versorgungsstelle laufen, hat Kerstin schon vom ersten bis fast zum letzten Läufer (mir!) alle gesehen. Lukas ist noch immer auf Platz 1, obwohl er sich im Wald verlaufen hatte und fast 10 Minuten verloren hat. Dabei ist übrigens auch Doris Jordan, eine Lokalmatadorin, die zum Organisationsteam gehört und sonst immer den letzten Abstieg durch das Zwischbergental markiert (das hat diesmal ihr Mann übernommen). Dieses Jahr läuft sie zum ersten Mal die beiden Marathons selber mit und wird entsprechend bejubelt und später im Ziel auch geehrt.

Nach der Versorgungsstelle (der Rennarzt Pablo ist schon ganz besorgt, wie fertig ich aussehe und Kerstin muss ihn mehrfach beruhigen) geht es wieder eine Weile bergab in das Tafernatal und natürlich überhole ich wieder die Dänen, die mir schon etwa 500 Meter davon gezogen waren. Aber bergab geht das Laufen tatsächlich prima. Es ist eben so: bergauf ist die Fitness wichtig, bergab die Technik. Meine downhill-Technik ist superklasse, trotz des entzündeten Knies, aber meine Fitness ist mehr als mäßig.

 

Unten angelangt weiß ich: jetzt kommt ein langer steiler Aufstieg durch das Tafernatal auf den Simplon-Pass. Noch nie ging es mir hier gut und der heutige Tag ist keine Ausnahme. Am ehemaligen Wirtshaus hole ich noch Monika ein (die mit Sara eine halbe Stunde vor uns gestartet war). Kurze Zeit später sind die Dänen wieder an mir vorbei.

Kerstin muss diesmal lang warten, bis ich oben ankomme. Ich marschiere zwar kontinuierlich durch, aber eben mehr als langsam. Mittlerweile kommt die Sonne raus, es wird warm und ich sterbe fast. Ab und zu frage ich mich, ob ich bei diesem Tempo noch die Cutoff-Zeit in Gabi schaffe, um über das Furggu zu dürfen (da das noch mal ein heftiger Anstieg wird, ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass es doch gar nicht so schlecht wäre, den Cutoff nicht zu schaffen …?). Aber nix da, erst mal muss ich auf den Simplon, den ich nach 3:40 erreiche. Der Cutoff ist hier nach 4,5 Stunden, ich bin diesmal also nah dran und dem armen Pablo gefällt gar nicht, was er sieht: einen völlig erledigten Frankenblitz – heute eher eine Frankenschnecke. Für das tolle Bergpanorama hab ich auch nicht wirklich ein Auge.

Ab hier kommt eigentlich ein sehr schöner Abschnitt: wir kommen gleich auf die Strecke vom Vortag und laufen diese bis Gabi runter, immer leicht bergab und eigentlich ganz toll zu laufen. Ich versuche auch zu laufen, aber das ist nicht gut, erst mal muss ich eine Weile gehen. Das kann ja heiter werden!

 

Aber als der Weg beginnt, wieder interessanter zu werden, verfalle ich doch in den Laufschritt. Und was soll ich sagen, plötzlich geht es immer besser, ich werde schneller und hab plötzlich Spaß. Es „rollt“ sozusagen. Nicht lang und ich hab die Dänen wieder eingeholt. Sie lassen mich vorbei, es kommt eine kurze Steilstufe, die ich wie eine Gams hinunter springe und dann hab ich die Dänen bis ins Ziel nicht mehr gesehen. Bis Simplon-Dorf sammle ich noch mehrere Mitstreiter ein, unter anderen auch die beiden sehr unterhaltsamen Schweizer Hellmut und Beat.

Die Erfrischung am Brunnen in Simplon-Dorf tut gut, denn es ist jetzt richtig warm geworden. Aber ich fühle mich mittlerweile richtig gut und auch Pablo kann bei meinem Anblick wieder entspannt lächeln. Kerstin meint, Joachim wäre nicht weit vor mir und das spornt mich weiter an. Im weiteren Verlauf bis Gabi schnappe ich mir noch 2 weitere Läufer, aber Joachim ist nicht zu sehen.

Bis Gabi hab ich den Dänen schon 15 Minuten abnehmen können (aber das weiß ich hier natürlich nicht). Ob das reicht, damit sie mich auf dem Weg zum Furggu nicht mehr einholen? Die Cutoff unterbiete ich jedenfalls um über eine Stunde, ich werde also wohl oder übel doch hoch müssen.

 

Und wenn ich „hoch“ sage, meine ich hoch: fast 700 Hm auf knapp 3 km! Das ist wirklich sehr, sehr steil. Da ich jetzt aber gut drauf bin, marschiere ich frohen Mutes los. Bernd Ziese, den ich kurz vor Gabi noch überholt hatte, kommt bergauf wieder an mir vorbei, gerade im richtigen Moment, um ein tolles Foto von mir mit Panorama zu machen, denn wir sind schon wieder ganz schön hoch.

Trotz der Anstrengung kann ich diesen Aufstieg genießen – zum ersten Mal am heutigen Tag – und kann sogar die schöne Kapelle (hier ist Halbzeit) und die rustikalen Berghütten bewundern.

Nach 1:10 komm ich oben an, über eine Stunde hab noch nie gebraucht, aber so hab ich mich nicht ganz fertig gemacht und hab schon eine riesige Vorfreude auf einen der schönsten Downhills der Alpen. An der Versorgungsstelle steht noch Bernd – na, der war ja auch nicht wesentlich schneller oben als ich. Zum Weiterlaufen wartet er noch, bis ich meine 2 Becher Cola ausgetrunken habe und lässt mir den Vortritt – ich hätte ihn ja sowieso gleich überholt (auf den 9 km bis ins Ziel nehme ich ihm 11 Minuten ab).

 

Ich stürze mich in den Downhill. Die ersten Meter sind noch sehr eckig, die Beinmuskeln müssen erst mal vom bergauf- auf das bergablaufen umschalten. Aber nach ein paar hundert Metern geht das bei mir wunderbar flüssig. Die nächsten 6 km bis zur letzten Versorgungsstelle sind ein Traum. Der Weg ist völlig trocken und griffig, die Flüsse führen wenig Wasser, sodass die Überquerungen sehr einfach sind, das Wetter ist traumhaft schön und sonnig – Herz, was willst Du mehr? Mit einem Dauergrinsen renne ich bergab, was das Zeug hält (und keuche die kurzen Gegenanstiege hoch). Irgendwo muss doch der Joachim sein? Aber der ist heute zu stark für mich und wird 7 Minuten vor mir ins Ziel kommen.

An der letzten Versorgungsstelle sehe ich gerade eine Läuferin davonstürmen, als ich ankomme. Ich versorge mich erst mal gut, erfahre mit Schrecken, dass es immer noch 3 km bis ins Ziel sind und renne los, denn so langsam wird es knapp, wenn ich noch unter 8 Stunden bleiben will. Der folgende Waldweg ist wunderschön, hat es aber auch in sich, denn immer wieder geht es mehr oder weniger bergauf. Mir läuft die Zeit davon und diese Motivation reicht, um selbst leichte Steigungen im Laufschritt bewältigen zu können. Kurz bevor wir vom Wald ausgespuckt werden und über eine schmale Brücke auf die Zwischbergenstraße kommen, überhole ich noch die Läuferin vor mir. Es ist Elisabeth Hauler, die eigentlich nur für den ersten Tag angemeldet war und offenbar angesichts der guten Wetteraussichten den zweiten Tag nun auch noch gelaufen ist. Wahnsinn!

 

Nachdem ich an dem 1500 Meter-Schild an der Brücke noch 15 Minuten Zeit habe, weiß ich: das schaffe ich unter 8 Stunden! Die hohen Steinstufen neben der Straße sind heute völlig trocken und ich kann sie schön runterspringen. Höllisch aufpassen muss ich trotzdem, denn hier will ich wirklich nicht mehr stolpern. Seit geraumer Zeit höre ich schon den Sprecher im Zielbereich, es geht noch kurz um den Sportplatz herum und dann bin ich überglücklich und total zufrieden im Ziel.

Tissi kommt nach 6:50:29 ins Ziel und wird 6. seiner Altersklasse. Esther schafft es in 7:03:57 und wird 2. ihrer Altersklasse. Die Lokalmatadorin Doris kommt gemeinsam mit Matthias nach 7:18:41 an und wird hinter Esther Dritte. Die Goms-Zwillinge schließlich laufen nach 7:28:23 ein und halten durch die erheblich bessere Zeit vom ersten Tag ganz knapp vor Esther den Gesamtplatz 3 bei den Frauen. Sabine und Helge lassen sich von seinem Hund in 7:36:47 ins Ziel leiten. Danach kommt Bernd (nicht der Bernd, den ich am Furggu überholt habe) in 7:37:56 an, gefolgt von Dieter mit 7:49:04 (diesmal direkt vor mir in der Ergebnisliste) und Joachim mit 7:50:19.

 

Ich brauche heute 7:57:02, in der Gesamtwertung sind diesmal Dieter, Bernd und Wendel (der das in tollen 7:22:47 schafft) vor mir. Aber hey: ich hab schon lange nicht mehr so einen Spaß gehabt (allerdings erst ab dem Simplon-Pass). Das Knie hat gehalten, ich bin nicht gestürzt und hab das Rennen mit großer Würde zu einem prima Abschluss gebracht.

 

Nachdem ich mich wieder zum Hotel hochgekämpft, geduscht und wieder runter gekämpft habe (in Gondo gibt es kein flaches Stück Straße), komme ich gerade rechtzeitig, um die beiden Dänen im Ziel zu begrüßen. 8:46:36 haben sie gebraucht und der Downhill war extrem schwer für sie. Klar: wo soll man sowas auch üben in Dänemark?

Bei der Siegerehrung wird wie immer jeder Finisher aufgerufen und bekommt seine ganz spezielle Gondo-Medaille: einen runden Bergkäse. Nach der Siegerehrung treffen auch noch Sara (9:40:09) und Monika (9:58:04) ein. Auch sie bekommen von Brigitte natürlich noch ihren Käse, haben sie sich ja auch redlich verdient.

Ach ja, die Sieger: Lukas schafft den zweiten Tag in 4:25:16 und ist mit insgesamt 8:09:40 meilenweit vor dem Zweiten (Samuel Wings in 8:53:37). Dafür ist dessen Frau Susanne mit 9:53:03 (5:09:49 für den zweiten Tag) mit einem riesigen Abstand Erste geworden. Aber zweite ist dann gleich die tolle Angelika mit 11:51:52 (6:14:56 für den zweiten Tag), die natürlich extrem zufrieden mit ihrer Leistung ist. Allerdings: unter 8 Stunden hat die beiden Tage erst einer geschafft: der Seriensieger aus Zermatt, Martin Schmidt.

Bei einem schönen Abendessen mit Brigitte, Pablo, Bernd und dessen Freunden auf der Terrasse des Stockalperturms (Premiere! So gut war das Wetter noch nie!) lassen wir den Tag ausklingen.

Fazit: Gondo ist immer eine Reise wert, auch wenn die Gesundheit mal nicht ganz mitspielt. Diese Veranstaltung ist einfach eine der allerbesten, von der Strecke ganz zu schweigen! Also, wer immer das hier liest: kommt nach Gondo! Wir sehen uns 2016.