Neideck 1000 12.10.2019

Der Neideck 1000 ist ein Halbmarathon (genau genommen 22 km) in der Fränkischen Schweiz mit Start und Ziel in Muggendorf und folgt dem Wiesenttal-Trail. Wie es der Name schon suggeriert, sind dabei 1000 Höhenmeter zu überwinden. Ich sollte da schon im letzten Jahr laufen (Elke hat mir den Start zu meinem runden Geburtstag geschenkt), aber da war ich verhindert und der Organisator Robert hat meinen Start auf dieses Jahr verschoben.

22 km mit 1000 Hm sind nicht zu unterschätzen. Zu allem Übel wurden die Cutoffs dieses Jahr noch mal erheblich verschärft: bei der ersten Verpflegungsstelle nach 10 km muss man nach 1:30 durch sein und für den Zieleinlauf hat man maximal 3:30 Zeit. Alles Bruttozeiten, denn es wird handgestoppt. 300 Läuferinnen und Läufer sind angemeldet, aber nicht alle werden starten. Und einige steigen auch unterwegs aus.

In den letzten Wochen hat es furchtbar viel geregnet, aber punktgenau am Lauftag ist super Wetter angesagt. Mit über 20 Grad eigentlich schon wieder viel zu warm, aber beim Start um 10 Uhr hat es noch angenehme 14 Grad und nachdem wir fast ausschließlich im Waldschatten laufen werden, wird es auch nicht wesentlich wärmer, also optimales Laufwetter! Bereits um 8:30 Uhr starten die „Powerhiker“, bei denen auch jede Menge Hunde dabei sind. Ich bin diesmal ganz gut vorbereitet (bilde ich mir ein) und sehe entspannt dem Lauf entgegen, auch wenn ich weiß, dass die Cutoff-Zeiten bei diesen Höhenmetern sportlich sind. Sogar ein Läufer mit Barfußschuhen ist dabei (er heißt Christian und wird trotz der schwierigen Strecke erheblich schneller sein als ich).

Eine halbe Stunde vor dem Start versucht der Organisator Robert, schon mal alle zur Startaufstellung zu bewegen, allerdings mit sehr wenig Erfolg. Erst einige Minuten vor dem Start bequemen sich dann alle zur Aufstellung. Bei den Läufern ist nur eine Dame mit einem Hund dabei und ich erfahre später, dass sie eigentlich bei den Powerhikern mitmachen wollte, aber dort den Start verpasst hat. Dann muss sie nun eben laufen. Ob das gut geht? Vorneweg laufen die Cracks, unter anderen Lisa Wirth, die im letzten Jahr als bisher einzige Frau den Lauf unter 2 Stunden bewältigt hat (1:54) und Sven Starklauf, der im letzten Jahr mit 1:46 den Sieg nur knapp verpasst hat. Seinen Vater Otto kennen wir von unserer Mittelmeerkreuzfahrt; er hat letztes Jahr die M60 in sagenhaften 2:36 gewonnen, ist dieses Jahr aber nicht dabei.

Von solchen Zeiten kann ich nur träumen. Ich reihe mich im letzten Viertel ein und versuche, das Ganze vorsichtig anzugehen. Nach wenigen hundert Metern haben wir auch schon einen kleinen Stau an einer schmalen Treppe, die auf einen schönen Wanderweg führt.

Das bleibt der einzige Stau am heutigen Tag. Es geht gleich ordentlich zur Sache und der Weg wird so steil, dass nurmehr gehen möglich ist. Ich bin enttäuscht, hatte ich doch gehofft, wenigstens die erste Steigung langsam hochtraben zu können. Gefühlt (und auch tatsächlich) befinde ich mich schon am Ende des Läuferfeldes. Ich hab tatsächlich einen schlechten Tag und komme von Anfang an nicht richtig in die Gänge. Die Steigung will nicht enden und sie führt uns auf den höchsten Punkt der Strecke, den Adlerstein mit 531 Metern Höhe. Gestartet sind wir bei 315 Metern, also gute 200 Hm auf 3 km. Laufen kann ich da nur auf ganz wenigen kurzen Abschnitten. Heute ist eine ganze Horde Amerikaner mit schweren Armeerucksäcken unterwegs, die uns aber kaum behindern.

Der Downhill danach, bei dem wir fast die komplette Höhe wieder verlieren, geht mir wesentlich besser und ich kann wieder einige Mitstreiter einsammeln. In Engelhardsberg wird ein Läufer vor mir von seiner Familie versorgt. Wir kommen kurz ins Gespräch und er verrät mir, dass er zum ersten Mal so etwas macht und bisher nur zweimal überhaupt einen Halbmarathon gelaufen ist. Respekt! Wenn ich es richtig gesehen habe, heißt er auch Thomas und wird das Ziel heute nach 3:24 erreichen. Kurz vor der Riesenburg ist eine kleine Begegnungsstrecke. Da könnte man jetzt toll abkürzen! Aber wir springen noch die zahlreichen Treppenstufen durch die Riesenburg runter und ich mach ein paar Fotos von Thomas von hinten.

Am Ausgang der Riesenburg stehen zwei Wasserkanister als „Getränkestation“. Extra dafür hab ich eine flexible Trinkflasche dabei und versuche, sie hier aufzufüllen. Dabei verliere ich relativ viel Zeit, weil die Kanister erst gekippt werden müssen, damit sie Wasser hergeben. Na ja, das hat sich nicht wirklich gelohnt. Und da ich viel langsamer unterwegs bin als geplant, bin ich im Stress. Ich will ja unbedingt den Cutoff bei 1:30 schaffen. Das wird verdammt knapp! Es geht also wieder steil bergauf und dann auf dem Frankenweg auf und ab zum Hohlen Berg, dem Aussichtspunkt Hohes Kreuz (auf einer ganz steilen mit Gittersteinen gepflasterten Rampe hoch) und schließlich durch die Oswaldhöhle und dann nochmal hoch zum ersten Verpflegungspunkt.

Dort wartet Kerstin auf mich und vertreibt sich die Zeit damit, Bananen zu schälen und zu portionieren. Die Läufer danken es ihr. Der Verpflegungspunkt wird von Michael Cipura und seiner Frau betrieben (er ist der Organisator des Frankenweglaufs und hat die Ehrung der Fränkischen Marathonkrone gemacht – siehe mein Bericht vom Fränkische Schweiz Marathon). Lisa (roter Laufrock und rote Schuhe) und die anderen Cracks laufen hier allerdings einfach durch. Keine Zeit, um was zu trinken.

Ich schaffe den Cutoff mit 1:27 (allerdings nur, weil es bis dorthin statt 10 km nur 9,2 km sind). Ich hab aber das Gefühl, dass sich niemand für den Cutoff interessiert. Sven ist nur knapp 8 Minuten vor mir da. Heute ist er nicht ausgeruht genug, um vorne mitmischen zu können. Ich schnapp mir die Cola, die Kerstin für mich bereithält und sehe zu, dass ich weiterkomme. Die Dame mit dem Dalmatiner konnte ich beim letzten Downhill überholen und sie ist nun knapp hinter mir. Im leichten Auf und Ab geht es auf dem Frankenweg weiter. Dann kommt ein langer Aufstieg über Treppen, bei dem ich Frau und Hund abhänge.

Ich sehe sie heute nicht mehr und sie wird das Ziel leider auch nicht erreichen.

Die ganze Zeit schon wechsle ich mich regelmäßig mit zwei Läuferinnen ab, die mich auf der Ebene oder bergauf immer wieder überholen, aber auf den Downhills (die heute wirklich sehr schwierig sind, steil und technisch und wegen des vielen Regens der letzten Wochen ziemlich rutschig) große Probleme haben. Die technischen Downhills sind heute meine große Stärke. Ich kann das ja sowieso ganz gut und da ich mit Stecken unterwegs bin, machen mir auch rutschige Abschnitte oder hohe Stufen nichts aus. Und so kann ich abwärts Inge und Petra, wie die beiden Oberpfälzerinnen heißen, immer wieder einfangen. Aber die große Steigung vor Streitberg rauf zum Guckhüll (ca. 130 Hm auf nur einem km) zieht mir den Stecker. Ich bin fix und fertig, muss sogar mehrfach stehen bleiben, um zu verschnaufen. Oben angekommen steht da das 15 km Schild und ich weiß jetzt, dass die 3:30 eigentlich nicht mehr zu schaffen sind, denn bis hier hab ich schon 2:25 gebraucht. Noch eine gute Stunde für 7 km bei diesen Steigungen? Na ja, versuchen werde ich es natürlich!

Auf dem Downhill, der sich tatsächlich als der technisch schwierigste an diesem Tag entpuppt, kann ich die beiden Mädels noch ein letztes Mal überholen. Der Steig spuckt uns an der Muschelquelle aus (hier war früher mal der Start zum Frankenweg-Lauf) und kurze Zeit später sind Inge und Petra wieder an mir vorbei. Ich werde sie erst im Ziel wiedersehen.

Unten in Streitberg ist wieder eine Versorgungsstelle. Kerstin ist hier aber nur noch Zuschauerin. Christian kommt etwa 45 Minuten, Sven etwa 20 Minuten vor mir dort an.

Ich bin ziemlich erledigt, drücke mir noch ein Gel rein und trinke eine ganze Flasche Cola aus, die mein Liebling dankenswerterweise parat hält. Dann geht’s über die B470 und auf der anderen Talseite zum letzten Anstieg zur Burgruine Neideck, die dem Lauf den Namen gibt.

Robert hatte beim Briefing schon gesagt, hier ginge es nochmal kurz und knackig rauf. Es sind etwas über 100 Hm auf einen km und ich keuche ganz schön. Oben die Enttäuschung: wir müssen gleich im Wald rechts abbiegen und ich erhasche noch nicht mal einen Blick auf die Burgruine. Das ist wirklich schade! Eigentlich wollte ich hier mein letztes Foto machen. Die 100 Meter dorthin laufen, ist auch keine Option, denn ich hab ja keine Zeit!

Also hetze ich weiter. Es geht nochmal knappe 3 km mäßig, aber stetig bergauf. Eigentlich perfekt, um alles durchzulaufen, zumal wir uns nach wie vor im dichten Wald befinden und die Temperaturen immer noch sehr angenehm sind. Aber ich hab keine Körner mehr, muss immer wieder Gehpausen einlegen. Ich denke, auf diesem Abschnitt hab die 3:30 endgültig vergeigt.

Als ich aus dem Wald komme, sehe ich in der Ferne schon die letzte Versorgungsstelle in Trainmeusel. Ab dort geht es praktisch nur noch bergab, aber bis dahin ist nochmal ein kleiner Anstieg auf der Straße zu bewältigen, den ich natürlich auch nicht mehr laufen kann. Die liebenswerten Menschen, die sich in Trainmeusel um uns verrückte Läufer kümmern, bemühen sich wirklich nach Kräften, mich noch zu motivieren. Ich bekomme sogar ein (alkoholfreies) Weizen und höre, dass es nur noch 2,5 km sind und vor dem Downhill nur noch ein klitzekleiner Anstieg zu bewältigen ist. Ich hab allerdings nur noch 15 Minuten Zeit auf die 3:30, oje!

Trotzdem: ich laufe weiter, gehe den Anstieg hoch und stürze mich in den Downhill, der mit ganz vielen hohen Stufen gespickt ist, die ich aber dank meiner Stöcke gut runterspringen kann. Ich rase in Rekordzeit runter und sehe schon Muggendorf durch den Wald blitzen. Aber unten angekommen der Schock: ich muss ja noch bis zur Unterführung am Bahnhof und dann an der Wiesent das ganze Stück wieder zurück bis ins Ziel! Außerdem zeigt meine Uhr in diesem Moment 3:30. Verdammt, es hat doch nicht geklappt. Bei der Unterführung steht ein Schild „noch 500 Meter“. Na toll. Ich bemühe mich trotzdem noch, so schnell wie möglich ins Ziel zu kommen.

Mein super-Fan Kerstin hat dafür gesorgt, dass da noch zwei Mädels stehen, die meine Zeit aufschreiben: 3:33 und ein paar Sekunden. Robert hatte nämlich schon nach 3:28 das Rennen für beendet erklärt.

Die beiden Mädels aus der Oberpfalz, die ich hier wieder treffe, haben es natürlich geschafft (in 3:27). Ich gratuliere! Ich und der Läufer vor mir (3:31) sind die letzten, die noch in die Wertung kommen, was ich gar nicht mehr erwartet hatte. Bei mir haben sie sich den Gag erlaubt, als Zeit 3:33:33,3 einzutragen (wie gesagt: handgestoppt!). Demnach war ich hier eine Sekunde langsamer als 2004 beim London Marathon, wo ich 3:33:32 gelaufen bin (Chipzeit!).

Nachdem ich mich wieder einigermaßen erholt habe (meine Stimme ist fast völlig weg, ich hab wohl ziemlich schwer geatmet), gehe ich Duschen (das Wasser ist schön warm und ich hab die Duschen für mich alleine) und schau mir anschließend die Siegerehrung an.

Wir kommen noch kurz mit der sehr sympathischen Lisa Wirth ins Gespräch und legen ihr den Gondo-Marathon ans Herz. Sie konnte ihre Fabelzeit vom letzten Jahr nicht wiederholen, aber hat mit 2:02 die Frauenwertung klar gewonnen und ist insgesamt auf Platz 7 gelaufen (nur 6 Männer vor ihr). Nicht umsonst gehört sie zum Berglauf-Nationalteam. Da stehen wir, die 7. und der 213. Läufer, uns trennen 1:31, das sind wirklich Welten!

Bei der anschließenden Verlosung gehe ich leider auch leer aus. Christian (der mit den Barfußschuhen) schafft es in 2:34. Der Sieger Alexander Rosner stellt mit 1:43 den Rekord vom letzten Jahr ein. Die anderen drei Läufer in meiner Altersklasse M60 sind fantastische Zeiten gelaufen: 2:14, 2:27 und 2:39. Heute wäre sogar Otto mit seiner Siegerzeit aus dem Vorjahr nur Dritter geworden!

Als „Medaille“ gibt es hier übrigens einen Bierkrugdeckel. Auch nicht schlecht.

Was soll ich sagen: bei diesen Zeitvorgaben ist der Lauf tatsächlich nur was für sehr gut durchtrainierte Läufer. Ich bin einigermaßen enttäuscht, es nicht geschafft zu haben. Außerdem stört mich, dass ich wegen des ganzen Stresses, die Zeiten vielleicht doch noch zu schaffen, kaum Fotos machen konnte. Auf dieser wunderbaren Strecke könnte man nämlich dauernd stehenbleiben und fotografieren. So hinterlässt dieser Wettkampf einen schalen Geschmack. Ist die Zeit der Bergläufe für mich etwa vorbei?