Hamburg-Marathon 17.04.2016
Dies ist mein 10. Start in einer der schönsten Städte der Welt. Hamburg ist in vielerlei Hinsicht eine Reise wert, nicht zuletzt auch wegen seines top organisierten Marathons mit der schönsten Stadtstrecke, die ich kenne und dem wahnsinns Publikum. Auf der Fahrt nach Hamburg am Freitag haben wir grausiges Wetter und auch am Samstag ist es nicht besonders prickelnd: dauernd regnet es und es ist bitterkalt. Also halten wir uns weitgehend indoor auf, z.B. auf der Marathonmesse, auf der wir diesmal ganz überraschend die beiden Dänen treffen, mit denen ich mir letztes Jahr in Gondo ein heißes Rennen geliefert habe, außerdem wieder Moni und Timo wie fast in jedem Jahr (Moni kann diesmal leider gesundheitsbedingt nicht starten und Timo hat leider auch mit der Gesundheit zu kämpfen, will es aber auf jeden Fall durchziehen) und den Chefredakteur der Runner’s World, Martin Grüning, der wieder mal als Tempoläufer für eine Zeit knapp unter 3 Stunden unterwegs sein wird.
Wir haben Glück! Am Sonntag ist das Wetter genau wie vorhergesagt: kalt, aber wunderschön. Gegen Mittag soll böiger Wind aufkommen – ich hoffe, der wartet solange, bis ich im Ziel bin.
Was habe ich vor? Nachdem ich in Barcelona ganz überraschend knapp unter 4 Stunden gelaufen bin (sehr knapp! 3:59:36), noch dazu in einem unglaublich gleichmäßigen Tempo über die gesamte Strecke, möchte ich heute versuchen, das noch mal zu wiederholen. Vielleicht kann ich ja sogar ein paar Minuten schneller sein und etwas weniger knapp unter 4 Stunden bleiben. Wenn nicht, ist es aber auch egal. Ich will heute vor allem Spaß haben in meiner Lieblingsstadt.
Wir haben uns wieder im Hotel gegenüber vom Dom einquartiert (nein, das ist keine Kirche, sondern das Hamburger Volksfest, das heute seinen letzten Tag hat; am Freitagabend haben wir schon ein wunderbares Feuerwerk direkt vom Hotelzimmer aus genießen dürfen). Das ist nur 300 Meter vom Start-/Zielgelände entfernt und so starte ich relativ spät dorthin. Die Kleiderbeutelabgabe ist in einer der Messehallen. Die erste Überraschung erwartet mich, als ich nicht direkt zu dem Eingang an dieser Halle reingelassen werde, sondern ganz um das Messegelände herum geschickt werde. Das ist ja blöd! Dabei war am anderen Eingang (der heute nur Ausgang ist) gar nichts los gewesen. Ich gebe also nach einer längeren Wanderung meinen Kleidersack ab (sicherheitshalber hab ich alles dabei, falls ich doch direkt nach dem Zieleinlauf duschen möchte) und stell mich an den Dixies an. Neben mir treffe ich dort noch mal auf die beiden Dänen und wünsch ihnen Glück. Danach geht es wegen der Menschenmassen sehr langsam zum Startblock, wo ich erst 10 Minuten vor dem Start ankomme. Hier wollte ich mich mit Gerhard Wally treffen, aber es ist so voll, dass ich keine Chance habe, ihn zu sehen. Und während Kerstin auf der Reeperbahn vor der Davidwache angekommen ist und schon mal die Handbiker vorbei rauschen sieht, warten wir auf den Startschuss, bei dem viele rote und weiße Luftballons in die Höhe steigen.
Neben mir steht der Tempoläufer für die 3:15. Ui – da bin ich ja ganz schön weit vorne gelandet! Das wäre natürlich eine Traumzeit, die aber völlig unerreichbar für mich ist. Nach weniger als 2 Minuten bin ich über die Startlinie (so schnell wie noch nie in Hamburg) und pendle mich auf ein Tempo von 5:20 pro km ein. Natürlich werde ich von fast jedem überholt, denn die wollen hier ja alle viel schneller laufen. Es geht vorbei am Dom und an der kleinen Grünanlage rechts, bei der ich mich bisher immer darüber amüsiert habe, wie viele Läufer dort den ersten Boxenstopp einlegen. Diesmal bleibe ich selbst kurz stehen, denn die Blase drückt schon wieder ganz schön. Das kostet mich etwa 30 Sekunden, genug, dass mich der Gerhard von hinten einholen kann. Überraschung!
Vor den tanzenden Türmen (die schrägen Hochhäuser, bei denen die Reeperbahn beginnt) überholt mich ein als Brandenburger Tor verkleideter Läufer. Den werden wir heute noch öfter sehen, denn er ist immer etwa eine Minute vor mir. Gerhard läuft mir viel zu schnell, aber bis zum Treffpunkt mit Kerstin, die mittlerweile in Begleitung von Gerhards Partnerin Helene ist, bleibe ich noch neben ihm. Danach lass ich ihn allerdings ziehen, denn ein Tempo von knapp unter 5 Minuten würde ich nicht lange durchhalten.
Wir laufen wie immer durch St. Pauli, wo uns wieder ganz viele Zuschauer von den Balkons aus zujubeln, am weißen Altonaer Rathaus vorbei und weiter bis zum Halbmondweg, wo wir kurz nach Kilometer 7 nach links an die Elbchaussee wechseln, auf der es wieder zurück geht. Mein Tempo fühlt sich nicht ganz so leicht an wie in Barcelona, aber ich kann eine Kilometerzeit zwischen 5:20 und 5:30 ganz gut halten. So ein leicht ungutes Gefühl beschleicht mich schon, ob das nicht zu schnell ist.
Aber egal, genießen wir die Strecke! Neben einigen tollen Ausblicken auf die Hafenanlagen passieren wir auch das Ristorante Il Gambero, wo wir Samstagabend mit unseren Freunden Angelika und Thomas schön Pasta gegessen haben. Das Wetter ist wunderbar und der Wind hält sich in Grenzen. Nur manchmal frischt er etwas auf, dann wird es aber auch gleich eiskalt. Bei Windstille ist es in der Sonne dagegen schon richtig warm. Meine Kleiderwahl war jedenfalls goldrichtig. Bei Kilometer 10 die erste große Versorgungsstelle. Ich habe heute nur ein einziges Gel dabei, das ich aber erst bei Kilometer 12,5 essen möchte. Ab km 20 gibt es vom Veranstalter an jeder Versorgungsstelle Dextro Gels und da verlass ich mich heute drauf.
Dann kommt ein schönes Gefälle runter zum Fischmarkt, wo man es so richtig schön laufen lassen kann. Der folgende leichte Anstieg zu Landungsbrücken – einer der Zuschauerbrennpunkte in Hamburg – ist gut zu bewältigen. Dort warten schon Kerstin und Helene auf mich, die vor mir schon die ganz schnellen gesehen haben, unter anderen die Amateurin Anja Scherl, die heute ein famoses Rennen läuft.
Gerhard hat bereits ein paar Minuten Vorsprung und Kerstin erwischt ihn nur noch von hinten. Sie hat vor dem Lauf zu mir gesagt, ich soll auch mal ein Foto von ihr machen, was ich hier gleich mal erledige. Ich bin super gut drauf und ziehe weiter.
Hier an Landungsbrücken sind wieder unglaublich viele Zuschauer da. Trotz meines Tempos, das meine ganze Konzentration erfordert, kann ich mich etwas umschauen und die Strecke weiterhin genießen: alter Elbtunnel, die fast fertig gestellte Elbphilarmonie (im Januar 2017 sollen die ersten Konzerte stattfinden – die Hamburger haben es doch noch vor dem Berliner Flughafen geschafft …), dann vorbei an der alten Speicherstadt und schließlich rein in den Wallringtunnel, der uns auf den Jungfernstieg an der Binnenalster ausspuckt.
Es ist wieder eine Sightseeing Tour der Extraklasse. Und das bei dem Wetter! Mit Blick auf das Hamburger Rathaus laufen wir den Jungfernstieg durch, rechts rum und dann wird es voll, denn hier ist die erste Staffelwechselstelle. Im Hintergrund erkennt man den Fernsehturm, das Ziel des heutigen Tages. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg (25 km, um genau zu sein). Es geht am Nivea-Haus vorbei (hier gibt es alles, was Nivea zu bieten hat) und über die Kennedybrücke an die Außenalster, an der wir entlang laufen, bis sie in den Alsterfluss mündet – und dort ist auch schon der Halbmarathonpunkt.
Kurz vorher gab es an der Versorgungsstelle das versprochene Dextro Gel, aber diesmal nicht nur in Mokkageschmack wie letztes Jahr, sondern die volle Auswahl aus allen Geschmacksrichtungen! Ganz toll. Und so ist es heute an jeder Versorgungsstelle!
Den Halbmarathon passiere ich nach 1:54:54. Das ist schon deutlich schneller als in Barcelona, aber ich halte das Tempo immer noch gut aus und bemühe mich, auch an den ganz leichten Steigungen nicht langsamer zu werden.
Nächster Treffpunkt mit Kerstin ist beim Bahnhof Alte Wöhr bei Kilometer 24,5. Kerstin erkennt immer ganz gut, wann ich komme, denn eine Minute vorher rennt immer der als Brandenburger Tor verkleidete Läufer vorbei, der mich bei Kilometer 1 überholt hat.
Kerstin ruft mir zu, dass Gerhard etwa 8 Minuten vor mir ist. Der gibt ganz schön Gas, alle Achtung! Mir reicht mein Tempo und rechne schon mal im Kopf, dass das heute eine Zeit um die 3:48 oder 3:49 werden könnte, was absolut phantastisch wäre. Aber noch sind wir ja noch nicht mal an der nördlichsten Stelle des Laufs. Wir passieren City Nord, wo sonst jedes Jahr Burkhard und Ute stehen. Diesmal leider nicht, weil Ute vor wenigen Wochen an den Beinen operiert wurde und nicht lange stehen kann. Dabei hatte ich eine genaue Zeitangabe gegeben, wann ich dort vorbei kommen würde: 11:30 Uhr – und was soll ich sagen: exakt um 11:30 laufe ich dort durch!
Nächster Treffpunkt ist bereits kurz vor Kilometer 31 bei Ohlsdorf. Dort hat sich neben Kerstin und Helene, die den Gerhard vorbei huschen sehen, die ganze Familie Brendes zum Anfeuern eingefunden. Tante Marly (Patentante von Kerstins Bruder) jubelt mir frenetisch zu, als ich vorbei komme. Es tut mir fast leid, nicht stehen zu bleiben, aber ich bin gerade so gut im Flow, dass ich einfach weiter muss.
Ohlsdorf ist der nördlichste Punkt der Strecke und hier gibt es immer Massen an Zuschauer. Früher bildeten sie einen engen Kanal, durch den man mit einem Tour-de-France-Feeling durchgelaufen ist, aber mittlerweile stellt der Veranstalter aus Sicherheitsgründen Absperrgitter auf, was leider die ganze tolle Stimmung zunichtemacht.
Wir überqueren die Alster und machen uns auf den Rückweg zum Fernsehturm. Die letzte Staffelwechselstelle ist bei Kilometer 33. Ich muss mich jetzt sehr konzentrieren, um nicht langsamer zu werden, aber noch ist alles im grünen Bereich. Dieses Jahr gibt es sogar Cola in Hamburg (!), aber ich trinke es nur ein einziges Mal. Der Dextro-Energiedrink bekommt mir besser. Auch die Red Bull Schorle am Red Bull Bogen verschmähe ich wieder, ich will einfach kein Risiko eingehen. Kurz hinter Kilometer 37 dann der Eppendorfer Baum, wo Kerstin noch mal auf mich wartet:
Ich recke die Faust hoch zum Zeichen, dass es mir noch gut geht. Sofort werde ich von zig Zuschauern bejubelt und angefeuert. Immer wieder wird mein Name skandiert, der vorne auf der Nummer steht. Das macht richtig Laune! Die Hamburger sind schon ein außergewöhnliches Publikum!
Hinter dem Klosterstern geht es runter an die Außenalster, an der wir seit 3 Jahren wieder ein Stück laufen dürfen.
Als wir wieder rechts abbiegen müssen (es geht auf Kilometer 40 zu), geht es leicht bergauf und ein eisiger Gegenwind weht mir ins Gesicht. Außerdem sticht das Knie plötzlich ganz gewaltig. Bisher hat es keinen Mucks gemacht und ich denke mir, „2 km wirst Du ja wohl noch durchhalten können!“. Ich nehme kurz etwas Tempo raus, das Knie beruhigt sich sofort wieder (Gott sei Dank!) und es geht runter zum Dammtor. An der Versorgungsstelle bei Kilometer 40 überhole ich übrigens das Brandenburger Tor, der jetzt wohl doch nicht mehr so gut kann und eine Gehpause macht.
Rechts rum und dann kommt der Gorch Fock Wall: immer von mir gefürchtet, denn es geht jetzt etwa 700 Meter bergauf (41 Kilometer haben wir schon) und in der Regel kostet mich das einige Zeit. Aber heute geht es wie von selbst, anstrengend, aber kein großes Problem.
Kerstin wartet schon im Zielbereich auf mich. Als ich den roten Teppich betrete (die letzten 100 Meter) und die große Zieluhr sehe, denke ich: das wird aber knapp. Ein Zielspurt rettet mir schließlich eine Zeit unter 3:50, genau genommen werden es 3:49:59 und ich bin überglücklich.
Die Medaille zeigt dieses Jahr die Elbphilarmonie, sehr schön! Nach einem alkoholfreien Weizen hole ich meinen Kleidersack und kämpfe ich mich nach draußen, wo Gerhard bereits am Shoppen ist.
Er hat es in sagenhaften 3:43:31 geschafft. Nicht schlecht für den 575. Marathon! Auch Timo kommt ins Ziel in 4:54:32. Bei ihm dürfte es der 92. Marathon gewesen sein. Ich selbst bin jetzt „Marathon-Rentner“, denn das war meine Nummer 65.
Gesiegt hat bei den Männern Tesfaye Abera aus Äthiopien, der mit 2:06:58 dem Wind Tribut zollen musste und den Streckenrekord verpasst hat. Bei den Frauen dagegen pulverisiert Meselech Melkamu (ebenfalls Äthiopien) den Streckenrekord aus 2012 um fast 3 Minuten und siegt in 2:21:54. Aber das beeindruckendste Ergebnis liefert Anja Scherl ab, die in 2:27:50 nicht nur dritte Frau wird, sondern damit auch noch die Olympia-Norm für Rio schafft – als Amateurin, wohlgemerkt! Sie arbeitet bei der Datev in Nürnberg. Sie hatte letztes Jahr ihre eigene Bestzeit um 12 Minuten gesteigert und hat dieses Jahr noch mal 8 Minuten draufgelegt – unglaublich!
Mir geht’s mit meinem 4785. Platz (von immerhin 12.096 Finishern) auch ganz gut. Auch der Altersklassenplatz 247 von 796 in der M55 ist nicht so schlecht. Das war übrigens mein schnellster Marathon seit fast 4 Jahren (in 2012 bin ich den Seenlandmarathon genau eine Minute schneller gelaufen). Ich bin also rundum zufrieden. Noch mal 10 Minuten schneller als in Barcelona! Wer hätte das Anfang des Jahres gedacht? Und übrigens wieder phänomenal gleichmäßig: erste Hälfte in 1:54:54 und zweite Hälfte in 1:55:05. Es geht fast nicht besser. Offenbar hab ich genau mein richtiges Tempo gefunden. Da kann man nur sagen: weiter so!