Gondo-Marathon, 2. Tag

Auch der zweite Tag beginnt mit einem Top-Wetter. Wieder treffen wir uns in der Turnhalle zum gemeinsamen Frühstück und tauschen unsere Geschichten über die schmerzenden Beine und Füße aus. Heute wieder einen Bergmarathon laufen? Kaum vorstellbar! Das Höhenprofil ist heute ganz anders als am ersten Tag – abwechslungsreicher, aber auch anspruchsvoller, auch wenn heute der höchste Punkt „nur“ der Simplonpass mit seinen 2008 Metern ist. Trotzdem sind heute insgesamt 2200 Höhenmeter zu bewältigen, gestern waren es 2000 Hm.

Um 7 Uhr beginnt der Jagdstart: zunächst starten die ersten beiden vom Vortag und dann folgen die jeweils Nächstplatzierten im Abstand, wie sie am Vortag angekommen sind. Um 7:30 starten dann alle verbleibenden Läufer. So ist sichergestellt, dass der Erste, der heute in Gondo ankommt, auch der Erste der Gesamtwertung ist. Nachdem Urs Jenzer allerdings so einen wahnsinnigen Vorsprung hat, verkürzt Brigitte die Abstände bei den Männern. Es wird ihm sowieso wohl keiner das Wasser reichen können, auch nicht der Lokalmatador Werner Jordan, der dieses Rennen schon ein paar Mal gewinnen konnte.

Rennarzt Pablo hakt auf seiner Liste alle Läufer ab, die heute starten. Bis jetzt sind alle noch dabei, mit Ausnahme von Patricia und einem weiteren Läufer. Ich bin sehr guter Dinge, hab gut geschlafen und fühle mich prima. Und so starten wir um 7:30 voller Zuversicht auf einen zweiten wunderbaren Lauftag.

Die ersten 700 Meter gehen durch dieses wunderschöne Walliser Bergdorf und dann geht es auch schon wieder heftig bergauf. Hier ist erst mal Gehen angesagt, nur kurz kann immer wieder mal ein paar hundert Meter gelaufen werden. Das Wetter ist wieder phantastisch und es ist angenehm kühl. Ziemlich bald stoße ich auf Dieter, frage ihn, ob das schon immer so steil hoch ging. Aber er meint etwas müde „ich fürchte, ja…“ Er hat auch zu kämpfen. Allerdings lässt einen der tolle Streckenverlauf alle Anstrengung vergessen. Ich bleibe heute an Josianne dran, die von Anfang an ohne Begleitung unterwegs ist.

Die erste Steigung bringt uns auf den Schallberg, wo wir zum ersten Mal auf die Passstraße stoßen, an der unsere Fans bereits auf uns warten.

Wir verlassen den Stockalperweg und folgen wunderschönen Single Trails hinein in das Gantertal. Bald kommt die riesige neue Ganterbrücke ins Sichtfeld. Zunächst laufen wir unten durch, kommen dann auf die alte Simplonstraße, die uns unter der alten Ganterbrücke in einer Schleife hoch zur neuen Brücke führt, wo eine Versorgungsstelle auf uns wartet.

Mir geht es wieder so gut, dass ich die komplette – ansteigende – Strecke laufen kann und hier doch tatsächlich Thomas und Roman kurzzeitig überhole, ebenso wie Josianne, die für ein kurzes Stück von Patricia begleitet wird. Ihre Familie jubelt uns von der alten Brücke aus zu und ihr Vater lässt keine Gelegenheit aus, mich nach Kräften zu motivieren.

Weiter geht’s durch den Ganterwald, wo sich gut zu laufende Abschnitte immer wieder mit giftigen Steigungen abwechseln. Nach einer längeren Steintreppe und einer weiteren Rampe landen wir wieder an der Passstraße, neben der wir ein Stück herlaufen müssen.

Kurz danach ein Parkplatz, wo Kerstin und Uru auf mich warten und schon alle anderen Läufer vor mir begrüßen konnten. Nach einer kurzen Erfrischung am Brunnen klatsche ich die Kinder ab und sieh zu, dass ich weiter komme, denn die nächste Versorgungsstelle ist kaum einen Kilometer entfernt.

Josianne überholt mich hier wieder und auch die beiden Schweizer Hellmut und Beat sind mir hart auf den Fersen. Also weiter. Jetzt müssen wir erst mal eine Weile bergab laufen in das Tafernatal. Nach 5 Minuten hole ich Josianne wieder ein und wir laufen zusammen runter. Unten angekommen, lässt sie mich vorbei, denn bergauf bin ich stärker. Na ja, mal sehen, normalerweise geht es mir auf dieser Steigung rauf zum Simplonpass (460 Höhenmeter auf 3 km) immer relativ schlecht. Nicht so heute. Ein letztes Bild von Josianne auf der Brücke, dann ziehe ich davon.

An Laufen ist hier natürlich nicht zu denken. Aber es geht mir viel besser als die letzten Jahre. Und so komme ich nach 3:10 oben am Simplonpass an (Cutoff ist hier bei 4:30). Kerstin und Uru warten schon ganz lange und genießen die Sonne.

Ich freue mich auf das, was jetzt kommt: es geht die gleiche Strecke wie am Vortag runter nach Gabi. 12 km sanft bergab auf herrlichen Single Trails. Und das bei dem Wetter! Als ich loslaufe, kommen gerade Hellmut und Beat oben an. Ich geb Gas, überhole Klaus von marathon4you, der noch Fotos vom riesigen Steinadler macht und fliege förmlich mit einem Dauergrinsen bergab. Was für ein Spaß!

Allerdings hab ich die Rechnung ohne Hellmut und Beat gemacht. Bis zur nächsten Versorgungsstelle holen sie mich ein und ich lass sie kurz danach auch überholen, denn deren Tempo kann ich heute nicht mitgehen. Wahnsinn! Ich bekomme jetzt auch zu spüren, dass ich es vielleicht doch etwas übertrieben habe mit dem Tempo und nehm einen Gang raus. Schließlich muss ich auch noch den Anstieg von Gabi auf das Furggu schaffen – puh!!

In Simplon Dorf komm ich alleine an und bin etwas fertig. Aber der Brunnen mit dem herrlich kalten Wasser belebt mich wieder und nach einer guten Versorgung geht’s weiter Richtung Gabi.

Hier ist Kilometer 30, der Cutoff liegt bei 6:30 und ich komme nach 4:45 an, also alles im grünen Bereich. Hier gibt es tatsächlich jetzt schon keine Gels mehr. Wie gut, dass ich ein Notfall-Gel dabei habe, denn was jetzt kommt, wird schweißtreibend: der Aufstieg zum Furggu hat 700 Hm bei nur 3 km. Ich verabschiede mich also von den Mädels, denn ich sehe sie erst wieder im Ziel.

Langsam und stetig stapfe ich bergauf. Ein schnellerer Läufer schließt auf und macht Fotos von mir. Eine Weile unterhalten wir uns, dann zieht er mir davon. Ich muss meinem Lauftempo vom Simplonpass nach Gabi Tribut zollen, komme aber ganz gut voran. Dieser Abschnitt dauert in der Regel eine Stunde und heute benötige ich auch genau eine Stunde (meine Bestzeit hier sind 45 Minuten). Mit großem Jubel und einem Ständchen auf einem Horn werde ich oben empfangen. Das macht richtig Laune!

Nach einer guten Versorgung mache ich mich auf, einen der schönsten Downhills der Alpen zu bezwingen. Bei diesem Wetter macht er gleich doppelt so viel Spaß. Er ist technisch schwierig, teilweise sehr steil und unwegsam, da er ganz kleine Säumerpfade nutzt. Mehrmals muss der Fluss überquert werden, was heute angesichts des wenigen Wassers, das er führt, kein Problem darstellt. Belohnt werde ich immer wieder durch beeindruckende Ausblicke in das Zwischbergental und weiter unten auf den Stausee, der heute in einem wunderbaren Blau durch die Bäume strahlt. Manchmal fühlt man sich wirklich wie Frodo auf Zwischenerde.

Die letzte Versorgungsstelle ist an einer abenteuerlichen Stelle neben dem Straßentunnel aufgebaut. Von hier sind es noch 3 km bis ins Ziel, die aber keineswegs nur bergab gehen. Auch hier ist also eine gute Versorgung angebracht und dann mach ich mich auf den Weg. Es ist mittlerweile sehr warm geworden und ich bin froh, dass ein großer Teil der Strecke durch den Wald führt.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie lange es dauert, bis das 1500 Meterschild auftaucht. Aber hier weiß ich: nach dieser Brücke noch mal kurz hoch an die Straße und dann geht es wirklich nur noch bergab, abschnittsweise auf der Straße und dann immer wieder steil über – heute schön trockene – Steinstufen die Serpentinen abkürzend auf Single Trails.

Hier ist schon der Sprecher im Zielbereich zu hören, denn es laufen gerade die Kinderläufe. Hellmut und Beat schaffen es heute 6 Minuten schneller als ich, liegen im Gesamtergebnis aber direkt hinter mir, da ich am ersten Tag einen größeren Vorsprung hatte.

Ich komme überglücklich nach 7:24:47 ins Ziel, über eine halbe Stunde schneller als letztes Jahr, aber wieder genauso schnell wie in 2014. Unter 7 Stunden hab ich das nur bei meiner ersten Teilnahme geschafft (6:48 waren es 2011). Und wieder war ich schneller als meine üblichen Mitstreiter Wendel, Dieter, Bernd und Joachim. Ich hab noch einen Platz gut gemacht und bin nun auf Platz 10 meiner Altersklasse. Josianne kommt 23 Minuten nach mir an.

Aber auf Zeiten und Platzierungen kommt es hier niemanden an, alle sind glücklich, diese 2 Tage erlebt zu haben. Nachdem alle geduscht sind, beginnt die Siegerehrung. In Gondo sind alle Sieger! Jeder Finisher wird aufgerufen und bekommt die besondere „Gondo-Medaille“, einen Bergkäse aus Simplon Dorf. Hier kann sich jeder feiern lassen. Außerdem werden diesmal alle geehrt, die bereits 10 Gondo-Teilnahmen oder mehr auf dem Konto haben. Da sind auch Dieter und Andreas dabei. Andreas hält seinen tollen 5. Gesamtplatz. 

Urs Jenzer und Stephanie Schmitz-Weckauf gewinnen natürlich auch den zweiten Tag in 4:09:18 bzw. 5:56:48. Urs schafft damit das Kunststück, als zweiter Läufer überhaupt in der Geschichte des Gondo-Marathons insgesamt unter 8 Stunden zu bleiben: 7:56:37. Vom Streckenrekord ist er allerdings noch etwas entfernt: den hält Martin Schmidt aus Zermatt mit 7:44.

Sara schafft es auch heute wieder, innerhalb der Zielschlusszeit von 9:30 anzukommen (heute braucht sie 9:04:22). Als wir so feiern, kommt schließlich auch Sietske als Letzte ins Ziel. Mit 9:57:27 hat sie zwar die Zielschlusszeit verfehlt, aber immerhin hat sie heute den Cutoff in Gabi geschafft (dort war sie letztes Jahr gescheitert) und selbstverständlich bekommt auch sie ihren Käse.

Heute musste niemand aufgeben. Der Gondo-Marathon mit dem schönsten Wetter, das ich hier jemals erlebt habe, geht mit einem schönen Abendessen im Stockalperturm gemeinsam mit Brigitte und Pablo zu Ende. Und wieder muss ich feststellen, dass dies die schönste Laufveranstaltung ist, die ich kenne. Und ich kann nur jedem empfehlen, hier mal herzukommen. Die tolle Organisation, die ungezwungene familiäre Atmosphäre und die phantastische Strecke machen diese Veranstaltung zu einem ganz besonderen Erlebnis. Und wenn das Wetter so mitspielt wie dieses Mal, ist das nicht mehr zu toppen.

Auf ein Wiedersehen in 2017!