Comrades-Marathon 29.05.2016

Im letzten Jahr hab ich mir mit der Teilnahme am 90. Comrades-Marathon meinen letzten großen Läufertraum erfüllt. Und dieses Jahr schon wieder? Na ja, die Macher dieses ältesten Ultralaufs der Welt (seit 1921) hatten vor ein paar Jahren eine geniale Idee, um die Ersttäter wieder nach Südafrika zu locken: sie führten die so genannte „Back-to-Back-Medaille“ ein, die man nur bekommt, wenn man direkt im Folgejahr der ersten erfolgreichen Teilnahme den Lauf ein zweites Mal bewältigt. Back-to-Back deshalb, weil der Lauf jedes Jahr seine Richtung wechselt – einmal geht es von Durban am indischen Ozean nach Pietermaritzburg im Landesinnern (der so genannte „up run“, weil man mehr bergauf als bergab läuft) und im nächsten Jahr von Pietermaritzburg nach Durban (der „down run“). Damit ist dies der einzige mir bekannte Wettkampf auf der ganzen Welt, bei dem man in einem Lauf gleich 2 Medaillen bekommen kann – genug Motivation für ganz viele Läufer, die Strapazen ein zweites Mal auf sich zu nehmen. Wer dann mal in dieser Routine drin ist, kommt vielleicht sogar auf die Idee, eine „green number“ anzugehen: die bekommt derjenige, der den Lauf 10-mal und öfter bewältigt (und gehört dann auch automatisch zum „green number club“). Auch das motiviert ganz viele Läufer (vor allem südafrikanische), denn die green number sieht man unglaublich oft.

Zweimal laufen – o.k. Aber 10-mal? Kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, auch wenn ich das 10. Mal beim 100-jährigen Jubiläum laufen könnte. Dann müsste ich aber praktisch jedes Jahr nach Südafrika. Dieses Jahr bin ich das 10. Mal in Hamburg gelaufen – nach 19 Jahren Laufkarriere, und das ist wesentlich weniger aufwändig als Südafrika und noch dazu dem Comrades!

Wir reisen am Donnerstag nach Durban an und machen am Freitag die Bustour mit, auf der wir die Strecke abfahren. Zunächst geht es nach Pietermaritzburg in das Comrades-Museum, vor dem eine Büste des Comrades-Gründers Vic Clapham steht.

Von dort fahren wir weitgehend auf der Original-Laufstrecke und lassen uns vom German Comrades Ambassador Klaus Neumann die Eigenheiten der Strecke erklären, z.B. dass es trotz down runs ganz schön oft und ganz schön heftig bergauf geht. Erster Stopp ist an der Ethembeni School für behinderte Kinder.

Die warten schon auf die Busse und begrüßen alle Länder mit Schildern, denn die Haupteinnahmequelle der Schule sind die Spenden, die einmal im Jahr von den internationalen Besuchern hiergelassen werden. Sie singen und tanzen für uns und geben uns Motivation für den Lauf am Sonntag, unter anderem mit selbstgemachten Armbändern aus kleinen bunten Perlen, die wir geschenkt bekommen. Am Lauftag werden alle diese Kinder hier stundenlang die Strecke säumen, uns zujubeln und darauf warten, dass wir sie abklatschen. Ein sehr emotionaler Moment.

Auf der Weiterfahrt, die immer wieder bergauf und bergab geht, halten wir noch an der Wall of Honour, die ich letztes Jahr beim Laufen total verpasst habe. An einer langen Wand haben sich hier hunderte von Comrades-Finishern mit einer Plakette verewigt. Auch Klaus Neumann ist mit einer grünen Plakette dabei, denn er hat diesen Lauf schon sage und schreibe 22-mal gefinisht.

Die Strecke hat jedes Jahr eine etwas geänderte Länge, abhängig von den gerade aktuellen Straßensperrungen und Baustellen. Waren es letztes Jahr etwas über 87 km, sind es diesmal offiziell 89,2 km. Gemessen habe ich 90,3 km, passt also ganz gut. Im letzten Jahr musste ich 1700 Höhenmeter bergauf und 1100 bergab laufen, dieses Jahr ist es also genau umgekehrt. Und 1100 Höhenmeter bergauf ist ja auch nicht ganz ohne, kein Wunder, dass es bei der Busfahrt oft bergauf geht. Das Hauptproblem: die meisten Bergabmeter haben wir auf den letzten 30 km der Strecke (an die 1000 Höhenmeter) – da haben wir dann schon 60 km in den Beinen! Und so schauen wir uns während der Busfahrt sorgenvoll das steile Gefälle der Autobahn an, auf der wir laufen werden, bei der zu allem Übel die Fahrbahn stark zur Seite abfällt und weder in der Mitte, noch an der Seite eine einigermaßen ebene Fläche zum Laufen vorhanden ist. Das kann ja heiter werden …

Der Samstag ist zum Entspannen da (Wetter ist ausgezeichnet, sogar ein Bad im indischen Ozean ist möglich) und es geht sehr früh ins Bett, denn am Sonntag sind Frühaufsteherqualitäten gefragt: um 3 Uhr morgens fährt der Bus von Durban nach Pietermaritzburg ab, denn dort ist um 5 Uhr der Start. Das heißt: um 1 Uhr aufstehen und um 2 Uhr zum Frühstücken, damit alles ohne Stress ablaufen kann. Da ich bereits um 6 Uhr nachmittags im Bett war, bin ich hellwach. Vorteil von Südafrika zu dieser Jahreszeit ist, dass es bereits um 17:30 stockfinster wird und man gut schlafen kann.

Da wir dieses Jahr nach dem Lauf noch eine Rundreise im Krüger-Nationalpark machen wollen und keine Lust haben, das alles selbst zu organisieren, haben wir bei Werner Otto Sportreisen gebucht. Dadurch haben wir unseren eigenen Bus, der uns nach Pietermaritzburg bringt, was sehr angenehm ist, denn vor den offiziellen Bussen bilden sich lange Warteschlangen. Bereits bei der Streckenbesichtigung haben wir nette Mitreisende kennengelernt, allen voran Katrin und Torsten aus Rostock, sowie Christian aus München, der einige Zeit in Südafrika gelebt hat. Torsten und Christian laufen wie ich das zweite Mal und haben auf ihrer blauen Startnummer rechts und links diesen breiten roten Streifen, der anzeigt, dass wir uns die back-to-back-Medaille holen wollen. Mit dabei sind auch Herwig und Pia, die wir aus Gondo kennen, Christoph aus Hamburg mit seiner Freundin Steffi, die jetzt am Bodensee wohnen und die 75-jährige Marathon-Ikone Sigrid (läuft bald ihren 2000. Marathon – kein Schreibfehler!) mit ihrer Freundin Irmi aus Dresden. Joachim und Sara sind auch wieder beim Lauf dabei, reisen diesmal allerdings mit einer Gruppe aus dem 100-Marathon-Club an.

Obwohl wir unseren eigenen Bus haben und früh wegkommen, dauert es lange, bis wir uns durch das Verkehrschaos in Pietermaritzburg gewühlt haben und die Startblöcke erreichen. Wie das all die offiziellen Busse schaffen wollen, ist mir ein Rätsel.

Es dürfen nur Läufer in den Startbereich und so muss ich mich gleich von Kerstin verabschieden. Ich werde sie kurz nach dem Start und dann erst wieder bei Botha‘s Hill wiedersehen, etwa 35 km vor dem Ziel. Noch schnell ein Foto von mir mit Irmi (links) und Sigrid (rechts) und dann treten wir in den abgesperrten Bereich ein. Irmi muss nach Block F, ich darf in Block D, weil ich zur Qualifikation eine Marathonzeit unter 4 Stunden vorzuweisen habe. Der Startblock ist schon ganz schön voll, es ist stockfinster (Sonnenaufgang ist erst um 5:45) und ziemlich kalt. Trotz der vielen Menschen um mich herum zittere ich, aber ich wollte nicht wie so viele andere mit einem wärmenden Umhang oder alten Klamotten hier stehen, denn, wenn ich mal laufe, wird mir sehr schnell sehr warm.

Es ist sehr stimmungsvoll. Das Rathaus von Pietermaritzburg, dem größten Backsteingebäude der südlichen Hemisphäre, ist sehr schön erleuchtet und alle sind freudig erregt. Plötzlich ist Bewegung nach vorne, was mich wundert, denn die Startblöcke schließen erst um 4:45. Es ist erst 4:30 Uhr und wir schließen bereits nach vorne auf, was für die vorderen Startblöcke den Nachteil hat, dass nun die Eingänge verstopft sind und keiner mehr reinkommt. Na prima! Ich steh bereits auf Höhe des Startblockes B und schließlich fangen die Läufer an, über den Zaun zu klettern, da sie anders nicht mehr reinkommen. Das ist eigentlich verboten, aber im allgemeinen Chaos kümmert das keinen mehr.

Dann kommt der Stimmungs-Höhepunkt: zunächst wird die südafrikanische Nationalhymne angestimmt, gefolgt vom afrikanischen Arbeiterlied Shozoloza. Alle singen mit, ein echter Gänsehautmoment.

Etwas zu früh erfolgt dann der Startschuss, davor kommt noch der legendäre Hahnenschrei, der traditionell das Rennen einläutet. Nach knapp 3 Minuten bin ich über der Startlinie. Die letzten werden heute dafür etwa 10 Minuten benötigen. Gelaufen wird zwar mit dem Championchip, der dient aber einzig und allein zur Kontrolle, wer gestartet ist und wann die 6 Cutoffs auf der Strecke durchlaufen werden. Die Laufzeit dagegen zählt ab dem Startschuss und so verlieren die letzten Läufer schon mal die ersten 10 Minuten. Für die ist das doppelt bitter, denn die Cutoff-Zeiten auf der Strecke und insbesondere die Schlusszeit von 12 Stunden im Ziel werden auf die Sekunde genau eingehalten: wer auch nur eine Sekunde zu spät kommt, ist raus! 12 Stunden für knapp 90 km mit 1100 Höhenmetern – das ist nicht ganz ohne und einer der Gründe dafür, dass dieser Lauf so legendär ist.

Während des Wartens auf den Startschuss hat sich meine Blase immer heftiger gemeldet. Wenige Minuten nach dem Start ist links ein langer Zaun, an dem schon Dutzende von Läufern stehen und ich geselle mich sofort dazu. Ein kurzer Blick durch den Zaun offenbart, dass es sich um einen großen Friedhof handelt. Ist das pietätlos? Egal – es muss einfach sein, sonst wäre ich geplatzt! Kerstin sehe ich kurze Zeit später.

Die ersten 3 km durch Pietermaritzburg gehen leicht bergab, sodass wir ganz gut ins Rollen kommen. Ein lautes Kreischen kündigt das Girls College of Pietermaritzburg an. Ja, auch die sind schon um 5 Uhr morgens da, genauso wie tausende weiterer Zuschauer.

Aus der Stadt raus kommt die erste Steigung (es ist ja ein down run …), die aber bequem zu laufen ist. Große rote Schilder kündigen immer an, wie viele Kilometer noch zu bewältigen sind, das erste mit 87 km. Ich fotografiere erst das mit 85 km. Hey! Schon fast 5 km geschafft! Damit haben wir schon fast Polly Shortts erreicht, den gefürchteten letzten Berg beim up run.

Zwei ältere Damen rauschen an mir vorbei, unter ihren wärmenden Umhängen ist die green number erkennbar und wenn ich es richtig sehe, steht eine „11“ daneben für 11 erfolgreiche Läufe. Sie sind deutlich älter als ich und laufen wie der Teufel – unglaublich! Außerdem sehe ich noch einen Läufer in Strümpfen, einen ganz barfuß und mit traditioneller Bekleidung und einen mit Flip-Flops (den überhole ich zwar, aber kurz vor dem Ziel hat er mich wieder eingeholt).

Es ist zwar bereits hell, aber die Luft ist noch sehr feucht und kühl, vor allem im dem langgestreckten Tal, das auf Polly Shortts folgt. Klaus Neumann hatte uns davor bereits gewarnt und empfohlen, die wärmende Kleidung bis dort anzubehalten, aber mir macht das nichts aus. Im Gegenteil: ich genieße es, denn heute wird es noch warm genug werden. Das Wetter ist nämlich traumhaft schön, keine Wolke am Himmel.

An den zahlreichen Versorgungsstellen (es gibt 46 Stück auf der Strecke, die erste nach 4 km) wird wie jedes Jahr Wasser und Iso aus eingeschweißten 100 ml Beuteln verteilt. Das ist ganz praktisch: man kann mehrere Beutel mitnehmen, beißt eine Ecke ab (Vorsicht: Plastikteil nicht verschlucken!) und kann bequem trinken, bzw. sich das Wasser über den Kopf gießen. Außerdem gibt es an jeder Versorgungsstelle Cola und Tee in Bechern. Nur Essbares ist Mangelware: ab und zu etwas Obst, Kekse oder Süßigkeiten – nichts was mich reizen würde, außer ab und zu ein Stück Orange. Das Beste sind kleine gekochte Kartoffeln, die es mal mit, mal ohne Salz gibt. Ansonsten hab ich wieder 4 Gels dabei (alle 20 km eins). Das muss reichen.

Wir passieren den ersten Cutoff und laufen hoch zum höchsten Punkt der Strecke bei Umlaas Road. Das Feld ist immer noch unglaublich dicht. Der down run ist immer wesentlich stärker besetzt als der up run, da viele Läufer sich einbilden, der down run wäre leichter, da man ja bergab läuft. Auch ich hab mich davon etwas blenden lassen und mir eingebildet, ich könnte schneller laufen als im Vorjahr. Tatsächlich fällt es mir aber wahnsinnig schwer, mein angestrebtes Tempo von unter 7 Minuten pro Kilometer zu halten (wäre dann gut für eine Zeit von 10:30), denn die zahlreichen Steigungen kosten viel Kraft und bergab geht es meist ziemlich steil, sodass ich mich auch hier zurückhalten muss. Es gibt bei diesem Lauf ja Tempoläufer für alle möglichen Zeiten. Wegen der vielen Läufer, die so einen Hasen begleiten, werden die Pulks hier „Bus“ genannt. Ein Bus für Sub-11-Stunden überholt mich ziemlich früh und ich schaffe es nicht, dauerhaft dranzubleiben. Der läuft eher auf eine Zeit unter 10:30 (na ja, ist auch Sub-11, oder?). Im Vorfeld hatte ich kurz davon geträumt, unter 10 Stunden laufen zu können, aber mir wird ziemlich schnell klar, dass das heute vollkommen aussichtslos ist.

So konzentriere ich mich auf mein eigenes Tempo, das momentan um die 6:50 herum liegt und versuche, das auf dem nun folgenden relativ ebenen Streckenabschnitt (genannt „Harrison Flats“) zu halten. Ich genieße die Stimmung, vor allem bei den Versorgungsstellen, wo uns gut gelaunte Menschen die Getränke zureichen und auch unterwegs, wo immer wieder Stimmungsnester sind und die Zuschauer ihre Grills und Zelte aufgebaut haben. Es ist Partystimmung in Südafrika! Und alle feuern uns namentlich an, denn auf der Startnummer steht unser Vorname. Immer wieder werde ich von Mitläufern angefeuert, die mir sagen, dass ich die back-to-back-Medaille sicher habe.

Wir passieren die Ethembeni School und ich klatsche alle Kinder ab, die auf der linken Seite aufgereiht sind. Ich bin damit so beschäftigt, dass ich es tatsächlich total versäume, ein Foto von diesem phantastischen Spalier zu machen.

Dann fängt es an, wellig zu werden. Wir kommen in das „Land of 1000 hills“. War mein Schnitt kurzzeitig bei 6:46, so steigt er nun wieder langsam an.

Das Schild 47 km to go zeigt es an: wir haben die Marathonstrecke geschafft. Und 3 km später sind wir auch schon beim Halfway Point.

Die halbe Strecke ist geschafft. Es ist mittlerweile 9:45 Uhr, ich bin 5:06 Stunden unterwegs und praktisch alles (langsam) gelaufen. Das hat aber Kraft gekostet und so muss ich jetzt den Anstieg zu Arthur‘s Seat gehen wie so viele um mich herum. Arthur‘s Seat ist eine kleine Felsnische mit einer Plakette in Gedenken an den fünfmaligen Comrades-Sieger Arthur Newton, der bei seinen Trainingsläufen hier immer eine Pause gemacht haben soll. Es heißt, legt man dort eine Blume nieder mit den Worten „Good morning, Sir“, wird es einem auf der zweiten Hälfte des Rennens gut ergehen. Diesmal suche ich schon einen Kilometer vorher nach etwas, was nach Blume aussieht, aber es ist bereits alles abgepflückt. Also schnappe ich mir etwas Grünzeug, lege das an der Gedenkstelle ab und murmele „Good morning, Sir“. Mal sehen, ob es hilft.

Wie ich ja mittlerweile weiß, kommt wenige hundert Meter später die Wall of Honour. Kein Wunder, dass ich die im letzten Jahr verpasst habe, denn sie ist ziemlich zugeparkt. Die davor stehenden Autos sind fast interessanter als die Wand und aus vielen Autos dröhnt laute Musik.

Ich unterhalte mich während einer der immer zahlreicher werdenden Gehpausen mit einem anderen deutschen Läufer, der ebenfalls die back-to-back-Markierung auf der Startnummer hat. Er ist vor einigen Kilometern gestürzt, beide Knie sind offen und blutverkrustet, aber er hält tapfer durch. Er meint, die 12 Stunden wird er schon schaffen.

Ich sowieso, aber so langsam fürchte ich, die 11 Stundenmarke zu verpassen. Da kommt das 42 km Schild.

Wie hat der Transeuropasieger Robert Wimmer mal gesagt? A Marathönnle geht immer! Genau daran muss ich jetzt denken. Über 47 km in den Beinen, aber nur noch ein „Marathönnle“ zu laufen. Na dann …

Immer wenn ich mich mit einem Deutschen kurz unterhalten habe und dann weitergelaufen bin, fällt mir ein, dass der doch eigentlich ein Foto von mir hätte machen können. Als ich mich einmal kurz zum Fotografieren umdrehe, bietet mir ein Südafrikaner mit grüner Nummer an, ein Bild von mir zu machen, was ich dankend annehme.

Ich taste mich von Hügel zu Hügel, von Cutoff zu Cutoff (bei jedem Cutoff hab ich beruhigende 70 Minuten Vorsprung, der allerdings nicht mehr größer wird), bewundere die Landschaft und sehne Botha’s Hill herbei, wo Kerstin mit Katrin, Steffi und der restlichen Sport Otto Gruppe auf uns wartet.

Die ersten Läufer und die Presse haben sie schon durchkommen gesehen. Da müssen sie noch Stunden warten, bis ihre Helden kommen. Den Anfang macht Torsten, auf den Katrin schon sehnsüchtig wartet.

Torsten ist auf Kurs klar unter 10 Stunden, es könnten sogar unter 9 werden. Direkt danach kommen Christoph und Herwig, die ebenfalls gut unterwegs sind.

Bei mir dauert es noch etwas länger und Kerstin macht noch viele Fotos an der Versorgungsstelle.

Ich wundere mich, das erste Botha’s Hill Schild schon bei Kilometer 52 zu sehen. Laut Streckenplan habe ich Botha’s Hill erst bei Kilometer 58 erwartet. Tatsächlich sind Kerstin und die anderen auch nirgendwo zu sehen. Also pass ich auf den nächsten Kilometern gut auf. Botha’s Hill scheint ein größeres Gebiet zu sein und erst bei Kilometer 55 erreiche ich die Gruppe mit meinem liebsten Fan.

Ich sehe nicht mehr ganz frisch aus und muss die Frage von Katrin verneinen, ob ich jetzt früher als geplant da wäre. Meine geplante Ankunftszeit bezog sich ja auf Kilometer 58 und nicht 3 km früher. Der km-Schnitt ist mittlerweile auf ein paar Sekunden über 7 Minuten gegangen. Jetzt muss ich wirklich aufpassen, wenn ich noch unter 11 Stunden bleiben will. Letztes Jahr bin ich mit einem Schnitt von 7:18 in 10:38 ins Ziel gekommen, aber diesmal ist die Strecke ja 2 km länger! Und das wird mindestens 14 – 15 Minuten ausmachen. Es wird also knapp. Immerhin ist noch ein Sub-11-Bus hinter mir, also alles noch im grünen Bereich. Nach der Versorgungsstelle geht es wieder supersteil hoch.

Nur 7 Minuten nach mir läuft Irmi durch und verpasst dabei fast die deutsche Anfeuerungsgruppe. Mit einer schönen Tanzeinlage dreht sie im vollen Lauf eine Pirouette, um zu grüßen.

Gleichzeitig trifft auch Christian ein, der im letzten Jahr praktisch die gleiche Zeit gelaufen ist wie ich. Heute ist er ziemlich fertig und freut sich über Kerstins Zuspruch.

Nach einer kurzen Pause laufen noch Conny und ein gut gelaunter Joachim durch und so langsam kann sich Werner Otto mit seiner Gruppe auf den Weg ins Ziel machen – nach vielen Stunden des Ausharrens.

Ich habe mittlerweile das lange steile Bergabstück unter die Füße genommen. Es läuft gar nicht gut für mich. Alles tut mir weh und die zur Seite abschüssige Straße macht es nicht besser. Immer wieder muss ich ein paar Meter gehen, um Sehnen und Gelenke wieder zu beruhigen. Von wegen Abwärtslaufen ist kein Problem! Das ist einfach pickelhart! Zu allem Übel meldet sich mein Darm und ich warte auf die nächste Versorgungsstelle, denn dort stehen üblicherweise Dixie-Klos. Wie das Leben so spielt, hat erst die 3. Versorgungsstelle ein Dixie zu bieten, in das ich sofort verschwinde. Etwa 5 Minuten Zeit verloren, aber das hat sich absolut gelohnt. Knapp 70 km sind geschafft.

Kurz vorher laufe ich noch durch die „Green Mile“, ein absoluter Zuschauerhöhepunkt vom Hauptsponsor Nedbank. War die Green Mile im letzten Jahr beim Halfway Point, so ist sie diesmal etwa 22 km vor dem Ziel in Pinetown. Sie ist nicht ganz so toll wie letztes Jahr, wo tatsächlich auf der Länge von einer Meile ein grüner Teppich ausgelegt war, aber wie im letzten Jahr stehen Superhelden am Streckenrand, die die Laufhelden anfeuern. Immer wieder sind leicht bekleidete Cheerleader zu sehen, die zum Teil in Schaukeln sitzen, die an den hohen Bäumen hängen. Die großen Marionetten vom Vorjahr sind diesmal nur am Ende zu sehen, weil vorher die Bäume stören. Zum Laufen ist die Green Mile allerdings perfekt: es geht sanft bergab und die Baumallee spendet schönen Schatten.

Wir bezwingen mit Cowie’s Hill einen der letzten Hügel und weiter geht es bergab. Schon seit langem sind der indische Ozean und Durban zu sehen, aber das sieht noch ganz schön weit aus. Die Schilder bestätigen es: noch 17 km!

Als wir zur „Pink Zone“ kommen (einer Gruppe, die sich für Opfer von Brustkrebs engagiert), sind wir bereits auf der mehrspurigen Stadtautobahn. Es geht wieder mal leicht bergauf, aber das reicht schon, um in den Gehschritt zu fallen. Beim folgenden Bergabstück werde ich von Conny überholt, die das offenbar noch besser draufhat als ich. Ich kann ihr nicht folgen. Die letzten Kilometer sind ziemlich hart. Trotzdem gelingt es mir einen Sub-11-Bus zu überholen, auch wenn ich mich dafür mit den Ellbogen durchkämpfen muss, denn der Bus blockiert die gesamte Straßenbreite. Neben mir hat sich auch eine Gruppe durchgekämpft, die einen Rollstuhl schiebt. Wahnsinn! Das Publikum rechts und links der Laufstrecke tobt! Als dann in der Abenddämmerung das 1 km Schild auftaucht und ich noch 15 Minuten Zeit auf die 11 Stunden habe, weiß ich, dass ich’s geschafft habe.

Kerstin ist schon lange da, hat den Schweizer Roman (kennen wir natürlich aus Gondo), Torsten und Klaus und viele andere begrüßt.

Klaus ist wenige Sekunden vor mir im Ziel (10:51:44). Als ich in das Stadion einlaufe, rutscht vor mir ein Läufer auf einer schrägen Metallplatte aus und stürzt (nix passiert). Ich laufe vorsichtig vorbei, übersehe Kerstin am Rand leider völlig, da ich nur nach ihrer Fahne suche und komm endlich nach 10:52:27 ins Ziel.

Mein lieber Mann, das war ein hartes Stück Arbeit. Gefühlt war es diesmal wesentlich anstrengender als letztes Jahr, obwohl ich schlussendlich genau das gleiche Durchschnittstempo von 7:18 gelaufen bin. Völlig unerklärlich für mich, wie ich letztes Jahr diese lange Steigung am Anfang bewältigt habe. Aber erst mal hole ich mir meine beiden hart verdienten Medaillen ab und gehe Richtung Ausgang, wo Kerstin auf mich wartet.

Im International Tent ist neben Torsten zu meiner Überraschung auch Irmi bereits da. Sie muss mich ebenfalls irgendwann beim Bergablaufen überholt haben und hat das Ziel in 10:37:01 erreicht – mit 68 Jahren!!! Sigrid musste leider auf der Strecke aufgeben.

Torsten musste dem hohen Anfangstempo Tribut zollen, schafft es aber trotzdem in hervorragenden 9:27:57. Christoph und Herwig konnten dagegen noch aufdrehen und schaffen es gut unter 9 Stunden: in 8:47:18, bzw. 8:47:52, womit sie die „Bill Rowan“-Medaille bekommen, benannt nach dem ersten Läufer, der es unter 9 Stunden geschafft hat. Offenbar kommen heute mehr Läufer unter 9 Stunden ins Ziel als die Veranstalter gerechnet haben, denn am nächsten Morgen treffen wir ein Paar beim Frühstück, die knapp unter 9 Stunden geblieben waren, aber keine Medaille mehr bekommen haben (wird natürlich zugeschickt, aber dafür mussten sie sich fast eine Stunde anstellen, um ihre Adressdaten abzugeben). Das kann mir nicht passieren, denn der Veranstalter weiß schon, dass er ganz viele Bronze- (für eine Zeit zwischen 9 und 11 Stunden) und Vic Clapham-Medaillen (für alle zwischen 11 und 12 Stunden) bereithalten muss. Schließlich kommen über 60% aller Läufer in diesem Zeitbereich ins Ziel.

Ich darf nach einer Erholungspause noch Joachim zur back-to-back-Medaille beglückwünschen. Er schafft es in 11:22:55.

Neben ihm sitzt eine bitter enttäuschte Sara, die zum zweiten Mal an den zeitlichen Beschränkungen dieser Strecke gescheitert ist. Diesmal ist sie immerhin bis Kilometer 70 gekommen.

Der Sieger heißt David Gatebe und kann sich über ein hohes Preisgeld freuen, denn er hat mit 5:18:19 den Streckenrekord um über 2 Minuten verbessert. Der Zweite kommt erst 6 Minuten später ins Ziel. Bei den Frauen konnte Caroline Wostmann ihren Vorjahressieg nicht wiederholen. Beim Downhill bekam sie Krämpfe, lief auch noch gegen ein Motorrad und kommt schließlich als Zweite in 6:30:44 an. Siegerin ist Charne Bosmann in 6:25:55, die Caroline erst wenige Kilometer vor dem Ziel überholt. Alle Sieger sind Südafrikaner und jetzt ist auch der Streckenrekord in südafrikanischer Hand (vorher hatte ihn ein Russe inne).

Der erste Läufer, der um wenige Sekunden an der 12-Stundengrenze gescheitert ist, war übrigens ein Anwärter auf die green number – was für eine Enttäuschung!

Das war wieder ein tolles Erlebnis und Afrika, vor allem Südafrika ist bestimmt mehr als eine Reise wert. Trotzdem habe ich mit dem Thema Comrades erst mal abgeschlossen. Christoph und Herwig machen allerdings schon Pläne für den back-to-back … Was mir jetzt noch fehlt, ist der Two Oceans Marathon (in Kapstadt). Allerdings: gleich 2 Medaillen bei einem Lauf werde ich wohl nie wieder bekommen.