Hamburg-Marathon 24.04.2022

Nach zwei Jahren ohne Hamburg-Marathon, bzw. einer sehr reduzierten Sonderausgabe im letzten Jahr findet dieses Jahr mein Lieblingsmarathon wieder zur gewohnten Zeit um Ostern statt. Ich bin nun schon zum 13. Mal dabei. Auch Kerstin war einmal mit von der Partie: 2005 ist sie hier ihren Heimatmarathon gelaufen.

Bei der Startnummernausgabe werde ich auf fränkisch begrüßt. Der Helfer kommt aus Unterfranken. Danach streunen wir ein wenig mit René und Yvonne, die morgen den Halbmarathon laufen, auf der diesmal recht kleinen Marathonmesse rum. Am Asics-Stand lassen wir ein paar Fotos machen und am Stand von Runners World treffe ich den Ausrüstungsexperten Urs. Martin Grüning (der Chefredakteur) ist leider nicht da: er befindet sich auf einer Läuferkreuzfahrt. Auch nicht schlecht!

Am Sonntag startet zunächst der Halbmarathon um 8:25, der Marathonstart ist diesmal erst um 9:30. Da muss man nicht mal besonders früh aufstehen, zumal wir wieder im NH-Hotel in unmittelbarer Nähe zum Start wohnen. Wir machen uns nach einem kleinen Frühstück im Hotelzimmer (das Hotel-Buffet lohnt sich ja nicht, wenn ich nicht so viel essen kann) auf, um den HM-Start zu sehen. Yvonne reiht sich recht weit vorne ein, da sie Angst hat, das Zeitlimit (2:30) zu verpassen. René dagegen startet von ganz hinten. Er musste vor einiger Zeit am Sprunggelenk operiert werden und weiß noch nicht, wie es laufen wird.

Nachdem alle Halbmarathonis durch sind, verabschiede ich mich von meinem Superfan Kerstin, die dann schon mal Richtung Reeperbahn geht und gehe zur Kleiderbeutelabgabe. Dort gebe ich nur meine Jacke ab, damit Kerstin sie nicht den ganzen Tag herumschleppen muss.

Das Wetter ist absolut großartig: knallblauer Himmel und momentan etwa 7°, im Tagesverlauf sollen es 12° werden, ein paar Wolken sollen aufziehen und vielleicht ist etwas Wind auf der Strecke, aber alles im grünen Bereich – das ideale Marathonwetter! Alles ist sehr übersichtlich und es sind sogar ausreichend Dixie-Klos da, sodass man nur sehr kurz anstehen muss. Hamburg ist noch Corona-Hotspot und überall gilt Maskenpflicht, auch auf dem gesamten Startgelände. Ich finde das allerdings sehr albern, da sich ja alles im Freien abspielt. Etwa 50% der Leute tragen eine Maske. Ich hab sie zwar dabei, entsorge sie aber recht schnell. Die Läufe finden übrigens unter 2G-Bedingungen statt (geimpft oder genesen). Noch vor der Startnummernausgabe wurde das geprüft und man hat ein Armband angelegt bekommen, das man auch vorzeigen musste, um in den Startbereich zu kommen.

Auf dem Marsch zum Startblock sehe ich eine Mexikanerin (sie hat die Flagge auf ihrem Rucksack). Ich spreche sie aber nicht an, weil sie mit ihren Begleitern im Gespräch vertieft ist. Dafür komme ich mit zwei anderen jungen Mädels ins Gespräch, die aus Norddeutschland stammen und Gegenwind gewöhnt sind. Rabea ist mit in meinem Startblock. Sie läuft erst seit etwas über einem halben Jahr und hat schon 17 Marathons absolviert – beeindruckend!

Rabea wird es übrigens in 3:52:47 schaffen – Respekt!

In meinem Startblock ist der Tempoläufer für die 4 Stunden. Das ist heute nichts für mich, ich peile eher eine Zeit von 4:30 an, kann mich heute aber gar nicht einschätzen, denn meine Trainingsleistungen waren eher durchwachsen, gerade auf den längeren Läufen. Dafür ist der Halbmarathon mit Denisse vor 2 Wochen absolut super gelaufen, also mal sehen, was passiert.

Die Startblöcke werden in kurzen Zeitabständen auf die Strecke geschickt, wodurch keinerlei Gedränge entsteht. Knapp 6 Minuten nach der Startglocke (geschossen wird in Hamburg in Kieznähe traditionell nicht) laufe ich über die Startlinie, wo schon massenhaft weggeworfene Masken herum liegen.

Kerstin hat sich mittlerweile vor der Davidswache an der Reeperbahn postiert und sieht dort die ersten Läufer durchrasen, die aber immer auf der anderen Straßenseite durchkommen. Einige Zeit später bin ich auch da. Beim Vorbeilaufen höre ich etwas auf den Boden fallen und eine Zuschauerin ruft „Du hast Dein Handy verloren!“. Meins kann es ja nicht sein, denn es ist fest an den Arm geschnallt, aber instinktiv drehe ich mich doch um und schau nach. Das Handy gehört einem anderen Läufer, der ganz dankbar für den Zuruf ist, denn er hätte es gar nicht bemerkt.

Es läuft gut bei mir. Jeder Kilometer knapp über 6 Minuten und ich habe schon Angst, dass das viel zu schnell ist (angepeilt hatte ich eigentlich 6:20 pro km), aber ich fühle mich ziemlich gut und mach weiter so. Wir kommen in Altona am weißen Rathaus vorbei und ich überhole einen Dänen, der schon fast alle Marathons hier in Hamburg mitgelaufen ist und fast immer als Wasserträger unterwegs ist (Hummel Hummel – Mors Mors). Nach 5 km die erste Versorgungsstelle und dann kommt auch schon der Wendepunkt bei Kilometer 6, wo wir an die Elbchaussee laufen und nun zurück Richtung Innenstadt unterwegs sind, schöne Ausblicke auf die Elbe und das Hafengebiet inklusive.

Hamburg hat diesmal konsequent alle 5 km eine Versorgungsstation und dazwischen noch eine Wasserstation eingerichtet. Ich nutze konsequent jede Gelegenheit, um etwas zu trinken, auch wenn es kühl ist und ich eigentlich nicht so viel bräuchte. Aber es tut mir offensichtlich gut. Bei Kilometer 10 nehme ich mein erstes Gel (ich hab 4 Stück dabei) und dann geht es auch schon den Berg runter zum Fischmarkt und Richtung Landungsbrücken.

Apropos Gels: unglaublich, wie viele Läufer ihre Gels verloren haben. Ich könnte mich locker für mehrere Marathons versorgen, wenn ich alle aufheben würde, die ich sehe. So extrem war das noch nie. Meine sind gut im Hüftgürtel verstaut, da kann nichts passieren.

Bei Kilometer 11 an den Landungsbrücken ist immer das absolute Stimmungsnest und auch Kerstin wartet hier auf mich (sie muss dafür nur 500 Meter von der Davidswache rüber laufen und sieht daher auch die ersten Superläufer).

Ich bin wenige Minuten vor meinem Zeitplan. Mir geht es gut und ich laufe weiterhin ein sehr konstantes Tempo von knapp über 6 Minuten. Das Wetter ist der Wahnsinn. Wind war bisher gar kein Problem. Es macht richtig Spaß.

Neben den Elbterrassen überhole ich drei Staffelläuferinnen. Zwei von ihnen begleiten eine leicht behinderte Läuferin. Sie müssen noch bis zum Jungfernstieg bei Kilometer 15,5. Dort ist die erste Wechselstelle. An der Elbphilarmonie kann ich ein sehr schönes Foto machen. Später ist auch Kerstin dort und sieht zwei Barfußläufer vorbeikommen.

Vorbei an der Speicherstadt kommen wir am Hauptbahnhof in den Wallringtunnel. Kurz vorher wird es sehr schattig und eiskalt, aber im Tunnel ist wieder eine angenehme Temperatur. Am Ausgang sind wir bereits an der Binnenalster und der nächsten Versorgungsstelle. Leider ist die Fontäne auf der Binnenalster noch außer Betrieb (in den nächsten Tagen hören wir, dass sie am Freitag 29.04. eingeschaltet wird).

Jetzt geht’s um die Binnenalster rum. Am Jungfernstieg ist die erste Staffelwechselstelle und entsprechend viel ist hier los. Über die Kennedybrücke geht es mit einem wunderbaren Blick auf die Außenalster wieder auf die andere Seite und an der Außenalster längs.

Die nächste Versorgungsstelle kommt bei Kilometer 20. Ich nehme wieder ein Gel und probier dann auch noch eins, das hier ausgegeben wird. Die sind von High5 und ich mag die eigentlich sehr, aber ich nehm immer die Flüssigen (davon hab ich auch zwei dabei) und hier werden die zähen Gels ausgegeben. Außerdem gehen sie irre schwer auf und schmecken auch nicht besonders. Damit ist es bei mir bei dem einmaligen Versuch geblieben. Wie gut, dass ich genug dabei hab!

Der Halbmarathonpunkt kommt für mich nach 2:10 Stunden.

Das ist unglaublich! Nie hätte ich gedacht, dass ich so ein Tempo laufen kann. Ich träume schon von einer Endzeit von 4:20 – aber wann konnte ich jemals die zweite Hälfte genauso schnell laufen wie die erste? Genau: nie!!

Ich prüfe in mich rein, wie ich mich fühle. Alles ist im absolut grünen Bereich. Also weiter mit Kilometerzeiten von manchmal etwas über und manchmal etwas unter 6 Minuten.

Der nächste Treffpunkt mit meinem Superfan Kerstin ist die S-Bahnhaltestelle „Alte Wöhr“ direkt neben dem Stadtpark kurz hinter Kilometer 24. Kerstin ruft, mein Runtastic würde völlig falsche Werte anzeigen, aber das ist mir im Moment ziemlich egal. Mir geht es blendend, Daumen hoch!

Noch 6 Kilometer bis Ohlsdorf und dann sind es schon 30! Ich kann es nicht glauben, dass ich immer noch so konstant laufen kann. Wir laufen Richtung City-Nord. Hier ist mal für ca. 2 km heftiger Gegenwind, aber das kann mich auch nicht weiter beeindrucken. Ansonsten kommt der Wind aber immer von der Seite oder sogar von hinten und oft ist auch gar kein Wind, also alles gut! Mittlerweile häufen sich die Teilnehmer, die bereits Gehpausen einlegen müssen.

Für Kerstin sind es 2 Stationen mit der S-Bahn. Kurz vor mir sieht Kerstin einen blinden Läufer mit Begleitung. Auch ich hab schon einen gesehen. Hier hatten wir vereinbart, dass ich eine Cola bekomme. Eigentlich brauch ich sie gar nicht, aber ein paar Schlucke tun schon gut. Und den dänischen Wasserträger hab ich bis hierher auch bereits überholt (aber der hat ja auch ein ganz schönes Handicap …). Kerstin meint „läuft gut, oder?“ und ich bestätige „ja, läuft sehr gut“.

Hamburg hat dazu gelernt: ab Kilometer 25 wird auch Cola ausgeschenkt, zum ersten Mal. Das ist prima und noch besser ist, dass es am Ende der Versorgungsstellen immer nochmal Wasser gibt, damit man den Gel-, Iso-, Cola- und Bananengeschmack wieder wegspülen kann. So ist das absolut perfekt!

Es gibt übrigens auch einen Red Bull Stand, aber die schenken das Zeug unverdünnt aus – igittigitt!

Die diversen Power-Up-Schilder lass ich diesmal aus, ich hab genug eigene Power! Ich nähere mich Eppendorf (Kilometer 37), wo ich ein letztes Mal vor dem Ziel Kerstin treffe. Es gibt wieder Cola und jetzt bin ich sehr dankbar dafür. Ich kann zwar mein Tempo immer noch halten (Wahnsinn!), aber man sieht mir an, dass ich schon ziemlich abgekämpft bin.

Alle Zuschauer feuern mich kräftig an, die meisten namentlich (der Name steht ja auf der Startnummer) und so setze ich mich wieder in Bewegung, um den Klosterstern wieder runter zur Außenalster und bei Rotherbaum zum Mittelweg hochzulaufen. Kilometer 40, die letzte Versorgungsstelle und ich bin immer noch in einem traumhaften Tempo unterwegs. Der Mann mit dem Hammer hat heute frei (oder Corona?). Selbst die gefürchtete Gorch-Fock-Allee kann ich vollständig in gleichmäßigem Tempo durchlaufen, obwohl es hier 800 Meter bergauf geht.

Jetzt kann ich sogar noch einen Schritt zulegen und Kerstin, Yvonne und René eine gute Vorstellung geben, die an Kilometer 42 auf mich warten.

Der rote Teppich naht, ich geb nochmal Gas und laufe überglücklich ins Ziel. Die Uhr stoppt für mich bei 4:18:36, was nicht nur bedeutet, dass ich 12 Minuten schneller war als die beste Zeit, die ich mir ausgerechnet hatte. Nein, ich hab das Kunststück fertig gebracht, die zweite Hälfte mit 2:08 genau 2 Minuten schneller zu laufen als die erste. Man nennt das einen „Negativsplit“. Das hab ich noch nie geschafft (außer bei Marathons, wo die erste Hälfte bergauf und die zweite bergab geht, aber das zählt nicht). Man sagt, wenn man das schafft, hat man die perfekte Tempoeinteilung gehabt. Ja, ich hatte heute meinen perfekten Tag!

Der Gang durch die Zielverpflegung und die Medaillenübergabe macht heute so richtig Spaß, auch wenn ich jetzt nicht mehr gut zu Fuß bin. Am Ausgang empfängt mich dann mein liebster Fan. Jetzt heißt es feiern!

Das war heute tatsächlich mein schnellster Marathon seit 2016 (da bin ich in Hamburg unter 4 Stunden geblieben). Es ist absolut sensationell. Noch dazu war es mein 90. Marathon insgesamt (die 11 Ultras mitgezählt). So langsam kommt die magische Zahl 100 in Reichweite …

Jetzt das Zahlenwerk: ich bin 144. meiner Altersklasse geworden (von 285) und auf Gesamtplatz 3703 (von 5096 Männern) gelaufen.

Auch bei den Siegerzeiten sind die Rekorde gepurzelt: der Kenianer Cybrian Kotut gewinnt in 2:04:47 und verbessert den Streckenrekord, der bisher von keinem geringeren als dem Weltrekordhalter Eliud Kipchoge gehalten wurde, um 1 Minute. Der Zweitplatzierte war nur eine Sekunde dahinter! Der Arme: das hat ihn 65.000 Euro Sieg- und Streckenrekordprämie gekostet.

Bei den Frauen ist es noch sensationeller: die Äthiopierin Yalemzerf Yehualaw schafft bei ihrem Marathondebut eine Fabelzeit von 2:17:23. Das ist die fünftbeste Zeit, die eine Frau jemals gelaufen ist (der Weltrekord liegt bei 2:14:04) und pulverisiert den Streckenrekord um mehr als 4 Minuten. Die Zweitplatzierte kommt erst 9 Minuten später ins Ziel. Insgesamt kommen 1525 Frauen ins Ziel.

Und Yvonne und René? Yvonne verfehlt zwar mit 2:43:45 die angegebene Zielschlusszeit vom Halbmarathon, aber natürlich wird sie trotzdem gewertet und bekommt auch ihre Medaille. Letzte ist sie auch lange nicht: Platz 164 von 170 in ihrer Altersklasse und Gesamtplatz 1184 von 1217 Frauen.

René hat keinerlei Probleme mit seinem Sprunggelenk und schafft es in hervorragenden 2:15:38. Das ist dann Platz 144 (witzig: genau wie ich) von 159 in seiner Altersklasse und Gesamtplatz 1305 von 1509 Männern.

Das war ein perfektes Wochenende! Wir bleiben noch bis Donnerstag in Hamburg bei fantastischem Frühlingswetter. Als wir uns zu Hause noch die Aufzeichnung der Marathonübertragung anschauen, sehen wir, dass ich bei einem TV-Interview im Hintergrund an der Versorgungsstelle vorbei gehe. Freunde hatten das Kerstin bereits während des Laufs mitgeteilt.