Gondo-Marathon, Tag 2

Die Nacht in Brig ist extrem unruhig, da bei dem schönen Wetter am Marktplatz bis spät in die Nacht die Hölle los ist. Das nächste Mal dürfen wir nicht mehr hier übernachten! Ich bin aber so erschöpft, dass ich trotzdem ganz gut schlafen kann.

 

Am nächsten Morgen fühle ich mich so weit erholt, dass ich beschließe, doch zu starten. Ich rechne aber damit, die Strecke nicht ganz zu schaffen und spätestens in Gabi vor dem Aufstieg zum Furggu aufgeben zu müssen.

 

Nach dem Frühstück, bei dem ich viele gute Wünsche von meinen Mitstreitern bekomme, ist die Startaufstellung zum Jagdstart: ab 7 Uhr starten die Sieger vom ersten Tag und im Anschluss die jeweils Nächstplatzierten im gleichen zeitlichen Abstand, wie sie am Vortag ins Ziel gekommen sind. Das macht man deswegen so, damit der erste Läufer / die erste Läuferin im Ziel auch wirklich der/die Sieger/in ist. Ab 7:30 darf dann der gesamte Rest der Läuferschar starten. Am ersten Tag sind inklusive derjenigen, die nur einen Marathon bestritten haben, 105 Läufer und Läuferinnen unterwegs gewesen. Jetzt am zweiten Tag sind es nur noch 66 Doppelmarathonläufer. Ein Mann und eine Frau sind nicht mehr angetreten.

Kurz vor dem allgemeinen Start regt sich noch meine Verdauung und wegen der Baustelle ist die Toilette ein paar Minuten entfernt. Natürlich gibt es zu allem Übel auch kein Toilettenpapier mehr, aber neben mir ist die Toilette auch belegt und dort gibt es noch Papier. Ich schaffe es gerade so noch zum Startschuss zurück an die Startlinie.

 

Heute starte ich betont vorsichtig und bin auch gleich das Schlusslicht. Auf dem historischen Stockalperweg geht es wieder gleich heftig steil bergauf durch eine famose Gebirgslandschaft.

Bis zum Schallberg rauf, wo Kerstin auf uns wartet, sind es nur 3 km, aber bereits 350 Höhenmeter. Diesmal hab ich Kerstin realistischere Zeiten gegeben, die ich auch gut einhalten kann. Einer der ersten vom Gesamtfeld, der hier hochkommt, ist Andreas, der schon fast jedes Mal dabei war und immer einen der vordersten Plätze belegt.

Karl-Walter und Christian hab ich zwar schon überholt, aber sie sind auf Schlagdistanz. Es geht mir erstaunlich gut und oben angekommen, kann ich problemlos loslaufen und Inge einholen, die sich an der ersten Versorgungsstelle ausführlich verpflegt.

 

Im weiteren Streckenverlauf bleibe ich bei Inge und erläutere ihr die Strecke und die Sehenswürdigkeiten, so zum Beispiel das schöne Gantertal, in das wir nun laufen, mit der riesigen neuen Ganterbrücke, die im Gegenlicht sehr geheimnisvoll aussieht. Dieser Abschnitt ist sehr gut zu laufen und selbst beim Aufstieg zur neuen Brücke unter der alten Ganterbrücke hindurch können wir immer wieder etwas traben. Die nächste Versorgungsstelle ist unter der neuen Brücke und natürlich wartet dort unser Superfan Kerstin und die netten Freiwilligen der Versorgung auf uns!

Heute habe ich genau das richtige Tempo. Es ist anstrengend (natürlich!), aber gut auszuhalten. Bergauf gehe ich ganz konsequent und genauso konsequent laufe ich bergab. Es geht nun erst mal wunderschön durch einen Wald, dem Rothwald, der aber bald sehr steil ansteigt und den ersten schwierigen Anstieg an diesem Tag markiert (von Dreien).

Der Wald spuckt uns oben an der Straße aus. Jetzt müssen wir ein kurzes Stück neben der Straße laufen, können uns an einem Brunnen erfrischen (dort vertreibt sich Karin die Zeit mit Stricken) und erreichen die nächste Versorgungsstelle. Im Moment sind Inge und ich im Gleichschritt unterwegs.

Jetzt geht es 3 km runter ins Tafernatal. Inge schlägt sich wieder in die Büsche, sodass ich das alleine runter laufe. Es geht mir erstaunlich gut. Aber nicht übermütig werden, denn nun kommt der zweite schwierige Aufstieg des Tages: neben der Taferna, die hier ein großer, reißender Fluss ist, rauf zum Simplonpass. Etwa 500 Höhenmeter auf 3 km. Mir fällt das fast jedes Mal unheimlich schwer. Diesmal habe ich etwas Ablenkung, weil Inge mich wieder eingeholt hat und wir gemeinsam hochstapfen können.

 

Cutoff auf dem Simplonpass ist nach 4,5 Stunden. Wir kommen nach gut 3,5 Stunden oben an, also alles im grünen Bereich.

Ich fühle mich trotz der Anstrengung wirklich gut und auch Rennarzt Pablo sieht mich heute viel gelöster an. Von der Versorgungsstelle (die wie alle anderen wieder mal alles bietet, was das Läuferherz begehrt und noch dazu super nette Freiwillige hat, die einem jeden Wunsch von den Lippen ablesen) starte ich etwas früher als Inge. Und was soll ich sagen? Es läuft fantastisch! Am kleinen See bin ich so schnell, dass Kerstin mich dort gar nicht erwischt. Erst am alten Spittel sehen wir uns wieder. Kerstin hat heute Begleitung dabei: Beno ist mit seinen Kräften am Ende und musste am Simplonpass aufgeben. Dafür darf er jetzt in dem schönen Rennwagen mitfahren.

Die Strecke vom Simplonpass bis Simplon-Dorf ist wunderschön: es geht kontinuierlich fast ununterbrochen bergab, zum Teil ist es ein technisch anspruchsvoller Single Trail, der ab und an von Kühen zugestellt ist, die Landschaft ist super und das Wetter sagenhaft. Von dem angekündigten Gewitter keine Spur und es ist nicht allzu warm. Perfekte Bedingungen und ich frage mich schon, ob ich es hier nicht übertreibe. Aber es macht einfach zu viel Spaß. Inge sehe ich übrigens nicht mehr.

In Simplon-Dorf kommt wieder die obligatorische Erfrischung im Dorfbrunnen, dann noch viel Cola und Wasser an der Versorgungsstelle und weiter geht’s runter nach Gabi, wo ich nach 5,5 Stunden ankomme (Kilometer 30). Immer noch eine Stunde vor dem Cutoff! Kurz vor Gabi überhole ich Heidi, die mich beim Zermatt-Marathon kräftig angefeuert hat und heute den Gondo-Plausch macht (die 28 km der Gondo-Running-Strecke, aber ohne Zeitmessung als Wanderung).

Jetzt heißt es gut versorgen, denn es steht der dritte und letzte schwere Aufstieg des Tages bevor und der hat es in sich: von Gabi geht es auf das Furggu 3 km und sage und schreibe 700 Höhenmeter rauf. Eine Stunde wird das mindestens dauern und nachdem es auf der Strecke keinerlei Möglichkeit gibt, Wasser zu fassen, nehme ich eine kleine Flasche Wasser mit – eine sehr gute Entscheidung, wie sich herausstellen soll.

Ich verabschiede mich von Kerstin, sage ihr, dass das jetzt etwa noch 3 Stunden dauern wird und stapfe los. Der steile Aufstieg ist wie immer höllisch. Die Sonne brennt nun schon ordentlich, aber wenigstens gibt es immer wieder schattige Abschnitte. Weiter unten erblicke ich Inge und erwarte eigentlich den ganzen Aufstieg, dass sie mich einholt. Passiert aber nicht.

 

An der kleinen Kapelle, die ziemlich genau die Hälfte des Aufstiegs markiert, nehme ich einen großen Schluck meines mitgeführten Wassers zu mir. Das war wirklich eine sehr gute Idee!

Nach etwas über einer Stunde ist der Gipfel in Sicht. Oben spielen Alphörner und Jagdhörner zur Begrüßung. Wieder versperren viele Kühe den Weg. Dann muss man eben durch die Botanik hoch, schließlich sind wir Trailläufer!

Ich bin richtig glücklich, oben angekommen zu sein. Nach einer ordentlichen Versorgung mache ich mich auf den Weg, die letzten 8 km zu bewältigen. Man hört schon das Donnern von entfernten Gewittern und die Wolken türmen sich bedrohlich auf. Na ja, werde ich wohl doch nicht trocken bleiben. Aber auf der gesamten restlichen Strecke erwischen mich nur ein paar wenige Tropfen. Glück gehabt!

Ich liebe diesen Downhill. Er ist steil und sehr anspruchsvoll, aber entführt einen in eine richtige Traumwelt, die sich J.R.R. Tolkien nicht besser hätte ausdenken können. Allein die Treppe könnte aus dem Film Herr der Ringe stammen.

 

Es geht nicht nur bergab, sondern immer wieder auch heftig bergauf. In der Nähe der Kapelle bleibe ich an einem Eisenstift hängen, mit dem die Holzbalken befestigt sind. Ohne Stöcke wäre ich da gestürzt; so kann ich mich gerade noch abfangen. Puh, das ist noch mal gut gegangen!

Und dann endlich, nach 4 sehr anstrengenden Kilometern die letzte Versorgungsstelle, die ziemlich abenteuerlich hinter einer Tunnelwand aufgebaut ist. Gerade als ich ankomme, sehe ich Christian weglaufen. Ich weiß gar nicht, wo der mich überholt hat. Ich werde ihn nicht mehr einholen. Mich holt allerdings auch niemand mehr ein.

Kerstin kann sich in der Zwischenzeit die Kinderläufe anschauen und viele Doppelmarathonis im Ziel begrüßen.

Andreas ist schon lange im Ziel. Mit 5:16:22 für den zweiten Tag ist er insgesamt 7. und 3. seiner Altersklasse geworden. Mein Namensvetter Thomas kommt nach 7:01:14 ins Ziel, wird insgesamt 20. und 8. seiner Altersklasse.

 

Ganz toll läuft es für Dagmar, auch eine, die fast jedes Jahr dabei ist: sie kommt nach 7:03:29 ins Ziel und gewinnt ihre Altersklasse, nachdem sie am Vortag noch Zweite war. Sensationell!

 

Die „Goms-Zwillinge“ Josianne und Patricia mit ihrem Bodyguard Daniel schaffen es in 7:52:59.

 

Und ich? Der letzte Abschnitt durch den Wald ist immer ein richtiger Kampf. Es sind zwar nur noch 4 km (davon knappe 3 durch den Wald), aber entweder geht der Weg steil bergauf, oder er ist bergab so steil und mit Steinen und Wurzeln gespickt, dass ich da auch nicht mehr laufen kann. Ich bin nämlich jetzt doch schon ganz schön erledigt und sehne mir den Straßenabschnitt herbei, denn dann weiß ich, dass nur noch 1,5 km zu laufen sind.

 

Aber das dauert und ich hadere mit der Streckenführung. Durchhalten ist angesagt und irgendwann ist es doch geschafft. Die großen Steintreppen am Schluss sind diesmal trocken und gut zu bewältigen (schöne Grüße von den Knien!). Überglücklich laufe ich nach 8:29:55 als Gesamt-33. ins Ziel und werde von meiner Liebsten anmoderiert und begrüßt. Heidi erwartet mich auch schon. Ich hab tatsächlich genau 3 Stunden von Gabi bis ins Ziel gebraucht.

Ich bin richtig glücklich, es doch noch angegangen zu sein. Christian, der 3 Minuten schneller war als ich und in der Zielliste direkt vor mir platziert ist, lädt mich nochmal auf ein Bier ein. Vielen Dank!

Inge läuft nach 8:44:55 ein und wird damit 21. Frau. In ihrer Altersklasse ist es der 4. Platz.

Aber das Beste kommt zum Schluss: bei der Siegerehrung kommt irgendwann meine Altersklasse dran (ursprünglich waren wir 7 in der AK, am zweiten Tag noch 6), der Speaker sagt, es gibt bisher 4 klassierte (also die das Ziel erreicht haben) und ich denke mir: na ja, bin ich eben 4. geworden. Aber der 4. Platz ist ein anderer und ich hab tatsächlich Platz 3 ergattert!!

Das ist ja unglaublich! Das hab ich hier noch nie geschafft. Und das mit dieser schlechten Gesamtzeit! Und ich bin auch noch im letzten Jahr meiner Altersklasse, nächstes Jahr komme ich in die nächste AK. Ich bin begeistert und sprachlos! Was für ein schöner Abschluss.

Karl-Walter kommt nach 9:50:16 als Drittletzter ins Ziel und wird noch von Keerthi begrüßt. Auch er ist 3. seiner AK (es gibt nur Drei). Der letzte Läufer benötigt 10:38:17 und kommt damit wie Karl-Walter eigentlich nach dem Zielschluss an (nach 9:30 ist Zielschluss), wird aber trotzdem noch gewertet. So ist das eben hier. Man nimmt das alles nicht so genau und würdigt jede Leistung.

 

Gesamtsieger wurden Rolf Hauswirth mit 3:51:42 für den ersten und 4:22:48 für den zweiten Tag, sowie Arianna Regis mit 4:27:44 und 5:30:47. Das waren die beiden, die beim Jagdstart als erste losgelaufen sind. Aber auch diese Spitzenläufer brauchen für den zweiten Tag deutlich länger als für den ersten.

 

Ich kann mir den Spaß nicht verkneifen, Andreas zu seinem dritten AK-Rang zu beglückwünschen und uns als jeweils Drittplatzierte fotografieren zu lassen.

Andreas ist voll des Lobes für meine Leistung. Ich war hier zwar schon wesentlich besser, aber angesichts des ersten Tages war das doch noch ganz passabel. Großen Verdienst daran hat auch meine Kerstin, die mich immer unterstützt und auf der gesamten Strecke begleitet. Dabei beweist sie viel Geduld, denn oft muss sie stundenlang auf mich warten. Vielen lieben Dank dafür!

Noch eine kleine Bemerkung für alle, die hier dabei waren und das hier gelesen haben: Kerstin hat fast jeden Läufer fotografiert. Falls Ihr Fotos haben wollt, meldet Euch bitte bei uns.