Two Oceans Marathon 31.03.2018

Als wir 2016 nach dem Comrades (Ihr erinnert Euch: back-to-back-Medaille!) mit unseren neuen Freunden Katrin und Torsten im Kruger Nationalpark unterwegs waren, hatten wir beschlossen, in 2 Jahren gemeinsam den Two Oceans Marathon zu laufen. Damals war noch nicht abzusehen, dass mich ein Bandscheibenvorfall etwas zurückwerfen würde und ich doch erhebliche Schwierigkeiten bekommen würde, wieder rechtzeitig fit zu werden. Die erste Herausforderung war, vorher einen Qualifikationsmarathon zu bestehen, denn auch für den Two Oceans muss man einen Marathon unter 5 Stunden vorweisen. Mit dem Swiss City Marathon Lucerne hab ich das schließlich geschafft (4:24:55) und mich am 01. November gleich zum Two Oceans angemeldet (am 03.11. waren alle Startplätze vergeben!).

Mein Training hat Anfang 2018 dann aber stark unter der Erkältungswelle gelitten. Zweimal war ich für 3 Wochen krank, leider auch in den letzten Wochen vor der Abreise nach Südafrika, so dass ich nur ganz wenige lange Läufe machen konnte. Auch Torsten konnte nicht wirklich gut trainieren, denn der Winter hat vor allem in Rostock, wo er wohnt, seine Zähne gezeigt.

So fliegen wir mit gemischten Gefühlen nach Kapstadt und genießen erst mal die wunderschöne erste Osterwoche mit Ausflügen zu den klassischen Sehenswürdigkeiten in der Kapregion. Ein kleiner Vorbereitungslauf noch am Mittwoch, am Donnerstag holen wir unsere Startunterlagen ab und am Freitag machen wir unsere ganz persönliche Pastaparty in unserer Lodge.

Der Two Oceans Marathon ist fast genauso bekannt wie der Comrades und gehört in Südafrika zu einem Muss für jeden ernsthaften Läufer. Start ist in Kapstadt neben einer großen Brauerei (warum ist dort nicht das Ziel?), dann verläuft die Strecke schnurgerade nach Süden bis an die Küste in Muizenberg (ein Surferparadies), geht ein paar Kilometer an der Küste längs und quert dann von Fishhoek nach Nordhoek auf die andere Seite vom Kap (um das Kap rum wäre es viel zu weit und es gibt auch nicht genügend Straßen dafür) und dann mit einem irre Küstenpanorama über den Chapmans Peak Drive und Hout Bay zurück nach Kapstadt, wo wir um Fuß des Tafelbergs in das Football-Stadion des Universitätsgeländes einlaufen.

Das Ganze nennt sich zwar „Marathon“, aber wie beim Comrades ist das hier ein richtiger Ultra mit 56 km, d.h. nach der Marathonstrecke hat man noch satte 14 km zu laufen. Zu allem Übel kommen die beiden deftigen Anstiege erst bei Kilometer 32 und 44, wo man dann sowieso nicht mehr so frisch ist. Und wie beim Comrades gibt es ein hartes Zeitlimit, das gnadenlos sekundengenau eingehalten wird. Hier sind es 7 Stunden ab dem Startschuss. Damit ist der Two Oceans sogar etwas anspruchsvoller als der Comrades, lässt man die Streckenlänge mal außer Acht, denn beim Comrades darf man sich einen maximalen Kilometerschnitt von 8 Minuten erlauben, hier aber nur 7:30. Ehrlich gesagt, überkommen mich mehr als einmal Zweifel, ob ich das angesichts des miserablen Trainings schaffen kann.

Egal, am Marathonsamstag fahren Torsten und ich zusammen mit unserem deutschen Vermieter, der den Halbmarathon läuft, frühmorgens zum Start.

Der Halbmarathon startet um 6 Uhr, der Ultra dann um 6:30 Uhr. Am Start ist es noch dunkel, aber relativ warm. Hat es die letzten 2 Tage geregnet (was die Kapstädter angesichts der katastrophalen Trockenheit in der Region sehr erfreut hat), so ist heute bestes Wetter vorhergesagt. Selbst der allgegenwärtige Wind soll sich zurückhalten.

Wie üblich wird kurz vor dem Start die südafrikanische Nationalhymne und anschließend das Arbeiterlied Shozoloza gesungen. Um mich herum singen nur wenige mit, so ist das nicht ganz so ein Gänsehautmoment wie damals beim Comrades. Nachdem dann noch ein Fischerhorn mit einem sehr seltsamen Ton angespielt wird, erfolgt der Startschuss und das Abenteuer kann beginnen.

Es dauert etwa 4 Minuten, bis ich über die Startlinie laufe. Die fehlen mir schon mal, denn die 7 Stunden werden ja ab Startschuss gerechnet. Nachdem die Strecke anfangs bis auf einen kleinen Anstieg bei Kilometer 3 flach bis leicht abfallend ist, bemühe ich mich gleich hier, etwas Zeit aufzuholen und den Kilometerschnitt möglichst unter 6:30 zu bekommen. Das funktioniert ganz gut. Wie lange ich das durchhalte, ist die andere Frage.

Es wird ziemlich schnell hell, trotzdem stürzen um mich herum immer wieder Läufer auf den Asphalt. Das liegt an den gemeinen Katzenaugen, diese kleinen Reflektoren auf der Straße, vor denen immer wieder gewarnt wird und über die man ganz leicht stolpern kann. Ich kenn das schon vom Comrades und passe auf wie ein Schießhund.

Da jeder Läufer sowohl vorn, als auch hinten eine Startnummer trägt und die Farben noch dazu darauf hinweisen, wer Ausländer ist, werde ich öfters angesprochen. Die blauen Nummern tragen diejenigen, die den Two Oceans 10-mal und öfter gefinisht haben; die Anzahl steht auf der Nummer drauf. Ab und zu sehe ich Läufer, bei denen über 20 Teilnahmen draufstehen – Wahnsinn! Es ist sogar ein älterer Läufer dabei (über 60), der schon 32-mal gefinisht hat: er läuft barfuß! Und das keinesfalls langsamer als ich!

Wasser gibt es wieder in verschweißten Plastikschläuchen. Diesmal sind sie grün und etwas kleiner als beim Comrades, was ich ganz gut finde. Kapstadt hat ja mit einer großen Trockenheit zu kämpfen, weswegen sogar die Anzahl der Versorgungsstellen eingeschränkt wurde (sind aber immer noch genug). Und auf das Duschen im Ziel muss man auch verzichten. Was es an jeder Versorgungsstelle von Anfang an im Überfluss gibt, ist Cola. Die nehme ich aber erst später.

Nach 16 km kommen wir in Muizenberg an die Küste. Dies ist vermeintlich der indische Ozean, da östlich vom Kap. Nachdem aber das Kap der Guten Hoffnung gar nicht die südlichste Spitze von Afrika ist, ist das hier bereits der Atlantik. Von wegen Two Oceans …

Die Landschaft ist trotzdem grandios. Das tolle Wetter tut ein Übriges. Mir geht’s noch leidlich gut, sodass ich mein Tempo beibehalte und nur ab und zu für ein Foto stehen bleibe.

Auf der gesamten Strecke stehen immer wieder Schilder mit ermutigenden Sprüchen nach dem Muster „Today’s the day …“. Das finde ich sehr schön und ich lass mich tatsächlich davon motivieren. Das ist langsam auch dringend notwendig. Den Halbmarathonpunkt passiere ich nach 2:15 und so langsam geht es mir schlecht. Auf den nächsten 7 km baue ich rapide ab, die kleine Steigung, die jetzt kommt, muss ich schon teilweise gehen und ich denke mir, wenn Kerstin jetzt am Halfway-point (Kilometer 28) mit dem Auto stehen würde, würde ich einsteigen und aufhören.

Wie gut, dass sie es nicht hierher geschafft hat. So muss ich mich überwinden, weiter zu machen. Bei Kilometer 28 ist der erste Cutoff mit 3:30. Bis hier wollte ich noch unter 3 Stunden bleiben, tatsächlich bin ich nach 3:06 dort. Klingt nicht unbedingt schlecht, aber mir geht’s jetzt so dreckig, dass ich überzeugt bin, das heute nicht zu schaffen. Selbst die Cheerleader können mich nicht aufmuntern, obwohl die wirklich alles geben. Und selbst das Nashorn überholt mich.

Bei Kilometer 30 haben wir die Westseite des Kaps erreicht, die Strecke steigt langsam an und die Landschaft wird gleichzeitig spektakulär. Wir sind nun auf dem Chapmans Peak Drive, einer der schönsten Küstenstraßen der Welt. Bis Kilometer 34 geht’s jetzt bergauf. Wenigstens mit Rückenwind (fast den ganzen Tag haben wir Rückenwind – immerhin etwas).

Erst überholt mich ein 6:30er Bus (die Pacemaker mit ihren Schützlingen werden „Bus“ genannt), dann kommt eine junge Frau langsam trabend an mir vorbei und begrüßt mich auf Deutsch. Sie sieht so gar nicht nach Ultraläuferin aus, aber ihre Startnummer dokumentiert bereits 2 erfolgreiche Teilnahmen und ich zolle ihr meinen Respekt. Sie meint ganz gelöst, „… und heute schaffen wir das auch …“. Da denke ich mir, „wenn die das schafft, dann kannst Du das auch!“ und verfalle wieder in einen leichten Schlurfschritt, den ich bis zum höchsten Punkt (der am Anfang in ganz weiter Ferne schien) durchhalten kann.

Ab hier geht es ganz lange bergab nach Hout Bay. Das Panorama ist nach wie vor überwältigend. Leider ist aber an den Versorgungsstellen das Wasser ausgegangen und es gibt nur noch Cola! Die ist zwar schön kalt, aber das süße Zeug pappt den Mund total zu. Gels brauch ich jedenfalls ab jetzt keine mehr.

Kurz hinter Kilometer 40 kommt der Tafelberg ins Blickfeld. Am Marathonpunkt ist der nächste Cutoff mit 5:20. Ich bin mit 5:06 gar nicht mehr so weit davon entfernt. Ich hab tatsächlich für die letzten 14 km genau 2 Stunden gebraucht – und die kräftigste Steigung kommt jetzt noch! Wenn ich für die letzten 14 km noch mal 2 Stunden brauch, dann hab ich verspielt. Das stresst enorm und in diesem Wissen zwinge ich mich jetzt, an der heftigen Steigung rauf zum Constantia Neck immer wieder mal zu traben und nicht ausschließlich zu gehen.

Am Constantia Neck, dem höchsten Punkt der Strecke (256 Meter hoch und wir kommen ja vom Meeresniveau), warten mein größter Fan Kerstin, sowie Katrin und unser Vermieter Hans-Jürgen auf uns. Bei der Zuschauerin mit dem Schild „Touch here for power“ war ich auch und hab „getoucht“. Torsten kommt hier weit vor mir durch. Selbst der barfüßige Peter, den hier jeder kennt, läuft noch vor mir durch. Ich komme hier bei Kilometer 47 nach 5:47 an.

Kerstin ist zwar erleichtert, mich endlich zu sehen, aber sie weiß auch, dass das eine ganz knappe Nummer wird. Noch 1:13 für 9 km. Nachdem es nun überwiegend bergab geht, ist das zu schaffen, normalerweise. Torsten hat mich aber schon davor gewarnt, dass noch mehrere kleine Anstiege kommen, die viel Zeit kosten und so konzentriere ich mich darauf, bergab nur so schnell zu laufen, dass ich auch bergauf noch langsam traben kann. Zu allem Übel ist die Straße stark nach rechts geneigt und an meinen Fußsohlen macht sich langsam eine große Blase bemerkbar. Na toll! Einziger Vorteil ist nun, dass die Strecke weitgehend im Schatten verläuft. An den Versorgungsstellen gibt es nun wieder Wasser in geringen Mengen (in Cola könnte man baden, so viel gibt es!), was auch ganz hilfreich ist.

Meine größte Sorge ist es, dass mein Körper irgendwann ganz schlapp macht. Aber nachdem ich es tunlichst vermeide, schneller zu laufen, geht es trotzdem gut. Immer wieder schau ich auf die Uhr und die Zuschauer rufen mir zu: „you can make it!“ Seit dem Constantia Neck hab ich Zeit für einen 8-Minutenschnitt und da bleibe ich knapp drunter, trotz der Steigungen. Die ganze Zeit denke ich mir: „ich will nicht nächstes Jahr wiederkommen müssen, ich will es heute schaffen!“. Das letzte Kilometerschild (55) ist eine Erlösung: ich hab noch 10 Minuten Zeit und weiß nun ganz sicher, dass ich das schaffen werde. Eine letzte kleine Steigung und dann kommt der Zieleinlauf ins Stadion.

Von der Seite jubelt mir Katrin begeistert zu, die sich schon damit abgefunden hatte, dass ich das heute nicht schaffen werde. Und nach der Fußgängerbrücke wartet wie vereinbart mein liebster Fan Kerstin, die noch nervöser und gestresster war als ich und jubelt mir überglücklich zu.

Kurz vor dem Zieldurchlauf muss ich stehen bleiben und ein Bild machen. Die Uhr steht auf 6:56:08 und nach 6:56:21 lauf ich durch. Was für eine knappe Nummer! Und was für eine Erleichterung!

Als ich mir meine Medaille abgeholt habe und bei den Getränken bin, höre ich auch schon den Countdown für die 7 Stunden. Und dann ist es vorbei.

Ganz viele Teilnehmer scheitern kurz vorm Ziel. Wie gut, dass mir dieses Los erspart blieb.

Torsten schafft es übrigens in 5:47 und das, obwohl er die letzten 8 Kilometer wegen Knieproblemen gehen musste.

Ich bin erschöpft wie selten zuvor und muss mich erst mal für eine halbe Stunde hinsetzen. Ich kann’s fast nicht glauben. Diesmal hat tatsächlich der Kopf über den Körper gesiegt. Fast eine Stunde lang kommen noch Läufer ins Ziel, die offenbar den letzten Cutoff beim Marathonpunkt noch geschafft haben. Sie sehen nicht sehr glücklich aus.

Im Gegensatz zu mir. Ich bin überglücklich! Nach der Rückfahrt zu unserer Lodge und der verdienten Dusche entspannen Torsten und ich noch im eiskalten Pool.

Was für ein Erlebnis. Der Two Oceans Marathon wirbt damit, „der schönste Marathon der Welt“ zu sein, das steht sogar auf der Medaille. Na ja, das behaupten ja ganz viele Marathons, aber der Two Oceans gehört auf jeden Fall zu den schönsten – vor allem, wenn man das Glück eines so genialen Wetters hat. Das ist nämlich nicht immer so. Sowohl Torsten, als auch Angela hatten bei ihren bisherigen Teilnahmen starken Wind und heftigen Regen.

Ich kann ihn jedenfalls empfehlen. Aber man sollte doch etwas besser trainiert sein, wenn man diesen Lauf angeht.