Gondo-Marathon 04.08. – 05.08.2018

Wie immer am ersten Wochenende im August fahren wir in die schöne Schweiz an den Simplon-Pass, denn es ist wieder Gondo-Marathon. Seit Wochen schon haben wir ein unglaublich gutes und sehr warmes Wetter und dieses Wochenende macht keine Ausnahme. Diesmal haben wir Verstärkung dabei: meine 16-jährige Großnichte Denisse ist aus Mexiko zu Besuch bei uns und darf mich diesmal auch anfeuern. Verstärkung werde ich auch dringend benötigen, denn meine diversen Problemchen mit den Knien und dem Ischiasnerv, sowie das extrem heiße Wetter haben mein Training fast auf Null schrumpfen lassen. Ich bin mir daher ziemlich sicher, diesmal nicht die kompletten Marathons laufen zu können, aber ich will wenigstens versuchen, so weit wie möglich zu kommen. Ebenso mit von der Partie ist Inge, die ich beim Thermenmarathon im Februar für diesen Lauf begeistern konnte. Leider ist die Generalprobe im Juni beim Frankenweglauf für mich in die Hose gegangen (ich musste völlig erschöpft nach 18 km aufgeben), für Inge war das allerdings ein gelungener Test für einen Trailmarathon unter sehr warmen Bedingungen.

Da ich vor kurzem einen runden Geburtstag feiern durfte, hat Kerstin mir bei Brigitte (der Cheforganisatorin) eine besondere Startnummer organisiert – natürlich die 60. Wir wohnen wieder im Stockalperturm, wo am Freitagabend im obersten Stock bei ziemlicher Hitze die Pastaparty stattfindet.

1. Tag

In der Nacht geht noch ein heftiges Gewitter über Gondo nieder, aber am Morgen ist wieder tolles Wetter und es verspricht sehr warm zu werden. So langsam füllt sich der Startbereich und auch das Team Frankenblitz ist bereit.

Wir lauschen noch dem Briefing durch Brigitte, denn diesmal gibt es neue Markierungsbänder (neuer Sponsor) und die Strecke musste am Schluss leicht verändert werden, da ein Bergsturz die Originalroute runter zur Saltina unpassierbar gemacht hat. Heute also keine Passage durch den Fluss – wie schade! Brigitte mahnt uns heute viel zu trinken. Das werde ich schon deshalb machen müssen, damit ich den Tag überlebe.

Pünktlich um 8 Uhr geht es los. Wir traben gemütlich die Straße hoch, biegen auf die Galerie über der Passstraße ab und folgen dem Stockalperweg durch die Gondoschlucht und durch den Wehrtunnel aus dem zweiten Weltkrieg.

Es bieten sich immer wieder tolle Ausblicke auf das Bergpanorama. Nach 3 Kilometern kommt die erste Versorgungsstelle und dort ist bereits für alles gesorgt: Wasser, Iso, Cola, Gels, etc. Markus, der jedes Jahr mitmacht, läuft vor mir und ich erwische ihn bei einem beherzten Sprung über eine breite Rinne, die der Regen ausgewaschen hat. Weiter geht es über Stahltreppen und Rampen immer hart an der Passstraße entlang.

Bei Kilometer 5 warten meine Supporter Kerstin und Denisse auf mich. Eine prima Stelle, um auch die anderen Mitstreiter abzulichten. Es sind die üblichen Verdächtigen: die Wilma, Joachim, Esther – dann komm ich – und schließlich noch die beiden verrückten Schweizer Beat und Hellmut. Wendel ist zwar heute auch dabei, aber ebenso wie Sara zu langsam, um noch aufs Foto zu kommen.

Auf dem weiteren Weg schließe ich auf Axel Eisenmann auf (nomen est omen). Wir quatschen ein Bisschen, aber als ich an der Brücke bei Gabi ein Powerade von Denisse bekomme, läuft er mir auf und davon.

Ich komme überraschend gut voran, noch ist es auch nicht zu warm. Über die „Stairway to heaven” geht es weiter nach Simplon-Dorf. Dort wartet die nächste Versorgungsstelle und dort hole ich Esther ein, die ähnlich wenig Training wie ich hat und der es heute gar nicht gut geht. Eine kurze Erfrischung im herrlich kalten Brunnenwasser und weiter geht’s.

Kurze Zeit später stehen Kerstin, Denisse und Heike (die mittlerweile bei Kerstin und Denisse mitfährt) an der Steilstufe bei Engloch und bekommen schöne Bilder von Inge, Dieter, mir und Karl-Walter.

So langsam wird es ziemlich heiß, aber die Strecke bietet neben den Versorgungsstellen (ca. alle 5 km) auch zahlreiche Brunnen, aus denen man trinken und sich erfrischen kann. Das macht das Ganze recht erträglich. Ich komme am alten Spittel vorbei, wo ich Kerstin vermisse und laufe weiter zum Simplon-Pass, wo sie doch noch auf mich wartet.

Zahlreiche Läufer waren schon vor mir da, aber es sind auch ein paar hinter mir. 18 km sind geschafft (in 3:09 – das Zeitlimit sind hier 4 Stunden) und hier wollte ich entscheiden, ob ich weiter mache. Es geht mir erstaunlich gut, sodass ich gar keinen Gedanken aufs Aufhören verschwende. Ich begrüße kurz Brigitte und den Rennarzt Pablo und dann geht’s weiter auf den Bistinenpass.

Esther muss ihren Lauf leider am Simplon-Pass beenden, nachdem sie hier bereits von der Besenläuferin eingeholt wurde und es ihr richtig schlecht geht. Sie wird mit Kerstin ins Ziel fahren.

Ich kämpfe mich derweil die 500 Höhenmeter zum Bistinenpass hoch und werde dabei von Karl-Walter begleitet. Ich laufe heute das erste Mal mit Stecken und muss sagen, dass mir das sehr hilft. Bergauf kann man sich etwas abdrücken (der befürchtete Muskelkater in den Schultern bleibt aus) und bergab sind die Stöcke eine riesige Unterstützung für die Knie. Als dann hier oben auch noch ein Schneefeld auftaucht, bin ich richtig glücklich über die Stöcke, denn der vereiste Altschnee ist total glatt (na ja, man hätte auch unten rum laufen können, aber das wäre nicht so lustig).

Am Bistinenpass auf 2.400 Metern Höhe treffe ich tatsächlich Dieter, der im weiteren Verlauf mit Krämpfen Probleme bekommt. Gott sei Dank bekommt er die wieder in den Griff und nachdem er ein Foto von meiner Dusche gemacht hat, läuft er mir auf und davon.

Den steilen Downhill bekomme ich zwar ganz gut hin (den Stöcken sei Dank), aber meine mangelhafte Fitness zwingt mich zu ganz vielen Gehpausen – auch bergab. Zudem wird es wärmer und wärmer. Nach der vorletzten Versorgungsstelle am Schratt dauert es eine halbe Ewigkeit, bis ich endlich die Stelle erreiche, an der die Ersatzstrecke ausmarkiert ist.

Ich laufe langsam so vor mich hin und wundere mich schon, dass ich direkt in einen Bauernhof reinkomme, da bedeuten mir die Leute dort, dass ich falsch bin. Mist! Ich hab mich verlaufen! Und das bei Kilometer 40. Fluchend stapfe ich wieder 400 Meter bergauf zurück bis zur Abzweigung, die ich übersehen habe. Sie ist super markiert und ich konnte sie nur deshalb übersehen, weil sie scharf nach links abzweigt und ich an der Stelle nur auf den Weg nach rechts geschaut hatte.

Es geht noch mal steil runter, erst an die Straße nach Brig-Glis und dann weiter runter bis an die Saltina, die hier ein stattlicher Strom ist. Dort traue ich meinen Augen kaum, denn ich sehe Hellmut und Beat, wie er gerade von einem Vollbad aus dem Wasser kommt. Beide waren bisher hinter mir und müssen mich überholt haben, als ich falsch gelaufen war. Auch sie sind erstaunt, mich zu sehen und denken schon, ich wäre längst im Ziel gewesen und hole sie hier ab.

Mitnichten. Bis zum Ziel sind es noch über 2 Kilometer. Bei brutalster Hitze stolpern wir den sonnigen Weg bis zur letzten Versorgungsstelle, wo gerade eine Läuferin behandelt wird, die wegen der Hitze leicht kollabiert ist (sie wird es aber trotzdem noch ins Ziel schaffen). Und dann geht es die supersteile Moräne hoch, die einem jedes Mal sämtliche Körner aus dem Körper holt. Hier kommt gerade Brigitte runter und schüttet mir etwas Wasser über den Rücken.

Es ist ein schwerer Kampf, bis ich zusammen mit Beat und Hellmut oben ankomme. Wir stapfen den restlichen Kilometer zusammen durch Ried-Brig und laufen gemeinsam ins Ziel ein.

Unglaublich, dass ich das doch noch geschafft habe. Mit 8:19 ist das meine schlechteste Zeit ever, aber ich bin immerhin heil durchgekommen. Die Uhr sagt, es waren 44 km (ein Kilometer geht auf das Konto des Verlaufens) und 2.400 Hm, was ich nicht ganz glauben kann. Etwas mehr als sonst war es aber schon, denn der Abstecher über die Saltina hat einige zusätzliche Höhenmeter gebracht.

Damit habe ich nun endlich meinen 70. Marathon geschafft (bzw. 80., wenn man die Ultras mitzählt).

Nach 9:01 kommt Wendel völlig entkräftet ins Ziel und nach 9:08 ist auch Sara da. Inge hat es in 7:25 geschafft, Respekt!  Mit einem fröhlichen Abendessen in der Turnhalle der Schule von Ried-Brig geht ein heißer Tag zu Ende.

2. Tag

Alle, die am ersten Tag über 7 Stunden gebraucht haben, dürfen heute eine Stunde früher starten. Damit haben wir mehr Zeit, das Ziel zu erreichen. Ich bin aber sehr skeptisch, denn es ist weiterhin so warm und am zweiten Tag wartet ja am Ende der heftige Aufstieg über das Furggu auf uns. Aber ich konnte mir auch nicht vorstellen, den ersten Tag zu schaffen.

Und so findet sich eine kleine Läuferschar nach einem frühen Frühstück an der Startlinie ein, um die Strecke in Angriff zu nehmen. Der erste Tag hat mir arg zugesetzt und so finde ich mich ziemlich schnell ganz am Ende des Feldes wieder. Aber egal, ich lasse mich nicht beirren und stapfe schön langsam bergan. Kann ich wenigstens die tolle Streckenführung genießen.

Am Schallberg warten wieder meine beiden Mädels auf mich und ich bekomme mein obligatorisches Powerade. Dann geht’s weiter auf die Schleife durch das Gantertal. Die riesige Ganterbrücke kommt bald ins Bild und schon werde ich vom ersten Läufer überholt, der eine halbe Stunde nach mir gestartet ist. Ich bin gerade mal 6,5 km weit gekommen. Noch vor der alten Ganterbrücke überholt mich der Zweitplatzierte. Bis zur Versorgungsstelle kommt erst mal keiner mehr.

Im Rothwald kommen dann die erste Frau und mit dem Lokalmatador Werner Jordan der drittplatzierte Mann. Wir kennen uns und er feuert mich kräftig an (ich ihn natürlich auch). Im weiteren Verlauf überholen immer mehr Läuferinnen und Läufer, die teilweise eine Stunde später gestartet sind als ich. Ich bin heute aber nicht mehr so gut drauf wie am ersten Tag. Der hat doch viel Kraft gekostet und der heutige Streckenverlauf ist ja deutlich schwieriger!

An der Passstraße angekommen, gibt es wie jedes Jahr eine Erfrischung am Brunnen und kurze Zeit später an der Versorgungsstelle. Hier läuft überraschend Andres auf mich auf, der wieder ein überragendes Rennen läuft und am Ende Zweiter seiner Altersklasse wird. Nach knapp 12 Kilometer hat er meinen Vorsprung von einer Stunde aufgeholt. Wahnsinn!

Jetzt geht es erst mal bergab zur Doveria, der wir dann mehr oder weniger steil aufwärts auf den Simplon-Pass folgen müssen. Ich unterbreche kurz den Bergablauf, um eine Panoramaaufnahme zu machen, denn es sieht einfach zu schön aus.

Unten angekommen vereinen sich die Strecken vom Doppelmarathon und dem Running. Ich schaue nach rechts und genau in diesem Moment kommt Josianne an, die heute nur das Running macht. Das ist ja ein unglaubliches Timing!

Wir können uns nur kurz unterhalten, denn sie ist deutlich schneller als ich. Der Aufstieg zum Simplon-Pass bereitet mir heute noch mehr Mühe als sonst und es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis ich endlich oben ankomme. Ich werde lautstark von Esthers Familie angefeuert und kann mir tatsächlich noch ein Lächeln abringen.

Ich bin total fertig. Bis Gabi will ich aber auf jeden Fall weiter laufen. Also versorge ich mich in aller Ruhe und dann geht es weiter unter den strengen Blicken des Steinadlers auf der gleichen Strecke wie am Vortag zurück. Es fällt mir immer schwerer zu Laufen, aber bis Simplon-Dorf schaffe ich doch immer wieder ein paar Laufabschnitte.

In Simplon-Dorf kühlt nicht nur mein Powerade im Brunnen, sondern auch ich stecke gleich den ganzen Kopf rein. Dabei läuft mir Wasser in beide Ohren und ich bekomme es nicht mehr raus. Glücklicherweise läuft es beim Weiterlaufen sofort raus. Wie am Vortag treffe ich hier Esther, die heute „nur“ noch das Running mitmacht (28 km auf der direkten Strecke nach Gondo).

Es ist nicht mehr weit bis Gabi und nachdem ich immer noch in der Zeit bin (allerdings mit einer Zeitgutschrift von einer Stunde), beschließe ich, die gesamte Strecke über das Furggu zu gehen. Und wenn das so lange dauert, dass die Besenläuferin auf mich aufläuft, ist es mir auch egal. Jedenfalls würde ich mich ziemlich ärgern, es nicht versucht zu haben.

Das Furggu ist wie immer heftig! 700 Hm auf 3 km. Langsam und stetig gehe ich bergan, schaue immer wieder auf meine Uhr, wie viele Höhenmeter schon geschafft sind. An der kleinen Kapelle, die die Hälfte der Strecke markiert, mache ich kurz Pause und lasse mich von zwei italienischen Wanderern fotografieren, die ungläubig von mir erfahren, was wir Verrückten hier treiben.

Nach 1:20 ist der Aufstieg dann endlich geschafft. So lange hab ich für die 3 km noch nie gebraucht, allerdings dachte ich, es dauert noch länger. Oben werde ich von einigen jubelnden Zuschauern empfangen, die erstaunlicherweise ihren Weg hierher gefunden haben.

Mir ist etwas schlecht und ich muss mich erst mal ein paar Minuten hinsetzen. Von den Supportern erfahre ich, dass nur noch 3 Läufer hinter mir sind. Eine Läuferin kommt an, als ich loslaufe und überholt mich kurz darauf auch. Ebenso ein weiterer Läufer. Also bin ich jetzt wohl Vorletzter.

Den tollen Downhill kann ich heute nicht wirklich genießen, denn ich bin stehend k.o. Es sind immerhin noch 9 km zu absolvieren und die werden wirklich hart. Aber trotzdem: die Strecke ist wie immer ein Traum!

An der letzten Versorgungsstelle 4 km vor dem Ziel wird mir noch mal bestätigt, dass ich „Zweitletzter“ bin. Mittlerweile ist mir klar, dass ich heute weit über 9 Stunden benötigen werde, aber jetzt bin ich wild entschlossen, das zu Ende zu bringen und lehne das Angebot, mit dem Auto runter zu fahren, dankend ab. Als ich loslaufe, kommt auch schon der letzte Läufer hinter mir an. Kurz später überholt er mich denn auch.

Ich brauche tatsächlich noch eine geschlagene Stunde für die letzten 4 km. Es geht zwar weitgehend bergab, aber die Strecke ist technisch sehr anspruchsvoll und ich bin so kaputt, dass ich jetzt keinen Sturz mehr riskieren will, weshalb ich nahezu die gesamte Reststrecke wandere.

In der Zwischenzeit haben Kerstin und Denisse bereits die Kinderläufe gesehen und ganz viele Doppelmarathon- und Runningläufer im Ziel begrüßen können.

Am Sportplatz kurz vor dem Ziel wartet Beat auf mich und bietet mir an, zusammen ins Ziel zu laufen. Nach 9:22 komme ich als Tages- und Gesamtletzter an. Beat hat „nur“ 8:30 gebraucht. 10 Minuten nach mir kommt die Besenläuferin an. Das ist ja gerade noch mal gut gegangen.

Unglaublich: auch den zweiten Tag habe ich ohne Blessuren überstanden. Allerdings musste ich heute weit über meine Grenzen gehen. Bis zur Siegerehrung bleiben mir etwa 45 Minuten Zeit, die ich komplett zum Erholen brauche. Inge ist den zweiten Tag zusammen mit dem Eisenmann gelaufen und nach 8:17 ins Ziel gekommen. Tolle Leistung! Joachim war am zweiten Tag 10 Minuten schneller, liegt in der Gesamtwertung aber direkt hinter ihr. Seine Sara musste leider am Simplon-Pass das Rennen beenden, da sie zu langsam war.

Aber wen interessiert das hier? Wir alle bekommen unsere besondere Gondo-Medaille: einen runden Bergkäse, der diesmal aus dem Zwischbergental kommt und tatsächlich total lecker ist. Nur Wendel ist am zweiten Tag gar nicht mehr angetreten und bereits abgereist.

Danach kann ich endlich duschen gehen und fühle mich wieder wie ein Mensch. Später am Abend gibt es wieder unser traditionelles Abendessen mit Brigitte und Pablo im Stockalperturm. Diesmal sind auch Denisse, Inge und Karl-Walter dabei und so beenden wir wieder ein wundervolles Gondo-Wochenende bei lustigen und anregenden Gesprächen.

Der Gondo-Marathon ist einfach ein Traum. Hier muss man gelaufen sein! Allerdings will ich das nächste Mal wieder besser trainiert sein. Meinen diversen Wehwehchen geht es nach dieser Wahnsinnsbelastung übrigens besser. Verrückte Welt!