Gondo-Marathon 03./04.08.2024
Alle Jahre wieder Anfang August steht Gondo im Zentrum einer eingefleischten Trailrunner-Gemeinde. Seit 22 Jahren findet dieser Trail-Wettkampf an zwei Tagen am Simplonpass im Wallis statt. Die einzige Ausnahme war das Corona-Jahr 2020. Nachdem die deutschen Marathon-Verrückten die Cheforganisatorin Brigitte überzeugt hatten, dass die Veranstaltung sehr an Attraktivität gewinnen würde, wenn an beiden Tagen jeweils ein ganzer Marathon gelaufen würde, hat sie in mühevoller Kleinarbeit die ursprünglich etwas kürzere Strecke erweitert, sodass wir jetzt wirklich an beiden Tagen einen Marathon laufen (müssen? dürfen?), am ersten Tag mit 2000 Höhenmetern, am zweiten Tag mit 2200 Hm.
Der kleine Grenzort Gondo hat im Oktober 2000 traurige Bekanntheit erlangt, als nach tagelangen heftigen Regenfällen eine gewaltige Schlamm- und Gerölllawine den halben Ort mitgerissen hat. 13 Menschen haben das Unglück nicht überlebt. Zwei Jahre später wurde nach langer Aufbauarbeit das Laufevent gestartet, um wieder etwas Leben in das Dorf zu bringen. Seitdem zieht es jedes Jahr eine Reihe treuer Trailläufer an, zu denen seit 2011 auch ich gehöre.
Dieses Jahr wollte ich eigentlich gar nicht starten, weil ich es mir fitnessmäßig gar nicht zutraue. Mein bester Fan Kerstin hat mich aber schließlich überredet, es wenigstens zu versuchen. Und so sind wir wieder da.
Bei der Startnummernausgabe, die wieder gewohnt professionell von Brigitte durchgeführt wird, gibt es wie jedes Jahr ein T-Shirt und ein Birnenschnitzbrot, die Andreas verteilt. Ich kann bereits mehrere bekannte Gesichter begrüßen, u.a. Beno und später bei der Pastaparty im Stockalperturm (wo wir auch wohnen) Susi, Beat und Hellmi, sowie Karl-Walter. Mit Karin und Thomas hatten wir uns schon in Brig bei einem Kaffee getroffen. Das Wetter ist super, es ist sehr warm und wir schwitzen alle.
Tag 1
Auch am nächsten Morgen ist immer noch sehr gutes Wetter und es verspricht ein heißer Tag zu werden.
Obwohl fast alle das schon ein Dutzend Mal gehört haben, lauschen alle aufmerksam dem Briefing durch Brigitte zur Streckenmarkierung und den Zeitlimits. Es könnte ja mal was Neues dabei sein – und tatsächlich: die Versorgungsstelle am Simplonpass ist 500 Meter eher als sonst und von dort geht es einen leicht geänderten Weg weiter hinauf auf den Bistinenpass. Außerdem wurde sehr kurzfristig heute (!!) der Wanderweg zur Saltina freigegeben (der ist seit Jahren immer gesperrt), sodass wir wieder den etwas angenehmeren, weil schattigeren Originalweg nehmen können (freilich ohne durch die Saltina selbst zu dürfen). Das ist dann aber erst bei Kilometer 39. Brigitte sagt, dass sie gleich nach dem Start dorthin fahren wird, um die Strecke neu zu markieren. Es ist zwar kilometermäßig egal, ob man die Original- oder die Ersatzstrecke läuft, aber die Originalstrecke ist einfach schöner. Außerdem wird am zweiten Tag auf den letzten Kilometern ein Wanderweg gesperrt sein, weshalb wir dort die Zwischbergenstraße runter laufen müssen – oder dürfen, denn das geht natürlich viel schneller als auf dem Wanderweg und Brigitte sagt „wer eine neue Bestzeit laufen will: dies ist Eure Chance!“.
Kerstin hat diesmal Begleitung dabei. Lucia und Illaria aus Florenz, die letztes Jahr schon beim Doppelmarathon angemeldet waren, aber nach dem ersten Tag abreisen mussten, probieren es heuer wieder. Lucia hatte uns im Vorfeld kontaktiert und gefragt, ob Kerstin ihre 21-jährige Tochter Caterina im Auto mitnehmen könnte. Klar, kein Problem! Von Brigittes Ausführungen werden sie allerdings nicht viel verstanden haben, auch wenn Caterina etwas Deutsch spricht.
Pünktlich um 8 Uhr fällt der Startschuss und vom Startgelände müssen wir erst mal eine steile Straße hochstapfen. Die Passstraße ist für uns für ein paar Minuten gesperrt, damit wir unbehelligt bis zur Abzweigung auf den Stockalperweg neben der Straße laufen können.
Es geht gleich ordentlich zur Sache. Stetig ansteigend führt uns der Weg neben oder über der Straße zum Fort Gondo, einem Festungsstollen aus dem 2. Weltkrieg, an dessen Eingang uns ein großes Kanonengeschütz begrüßt. Direkt nach dem etwa einen Kilometer langen Stollen kommt auch schon die erste Versorgungsstelle, an der es wie gewohnt bereits alles gibt, was das Läuferherz begehrt. Witzig finde ich, dass das Wasser offensichtlich über einen langen Schlauch aus dem Fluss hochgepumpt wird. Warum nicht? Weiter geht es über und dann neben der Passstraße, an der wie jedes Jahr ordentlich gebaut und ausgebessert wird. Der Wanderweg kommt schließlich zu einer kleinen Fußgängerbrücke bei Kilometer 5, an der Kerstin und Caterina stehen und jeden Läufer einzeln begrüßen können.
Viele bekannte Gesichter sind wieder dabei: Dagmar und Brigitte, Volker und Andreas, Beno, Beat und Hellmi, Peter und Karl-Walter, mein Namensvetter Thomas, Josianne und Susi, der flotte Barfußläufer Martin, und, und. Zwar waren Joachim und Sara Kortyka auch angemeldet, aber sie sind leider nicht gekommen. Und Wendel hat sich diesmal nicht angemeldet, schade (aber ich wollte ja eigentlich auch nicht). Lucia hat noch Michele als Begleitung dabei. Illaria bleibt am ersten Tag noch mit den anderen beiden zusammen. Hier bei Kilometer 5 macht Karl-Walter das Schlusslicht, aber der gute Mann ist ja auch schon 75 Jahre alt!
Ich komme wie geplant nach 53 Minuten an, bin aber schon ganz schön angestrengt. Mal sehen, was das noch wird. Ich habe heute beschlossen, den ersten Teil bis auf den Simplonpass ohne Stecken zu laufen und das war eine ganz gute Entscheidung. Ich kann dadurch viel mehr Fotos machen, weil ich die Kamera in der Hand halten kann. Im weiteren Verlauf unterhalte ich mich mit einem anderen Martin (nicht der Barfußläufer), der zum 100-Marathonclub gehört und so einige interessante Stories auf Lager hat. Nach wenigen Kilometern, immer schön bergauf, erreichen wir Gabi. Dort warten bereits Kerstin und Caterina auf uns. Caterina hat ein schönes Schild für mich zur Anfeuerung gemalt! Danke schön!
Weiter geht’s auf Trails, über Wiesen, eine steile Steintreppe (die „stairway to heaven“) und schließlich auf der Straße nach Simplon-Dorf, wo die nächste Versorgung auf uns wartet.
Ich zweifle immer mehr daran, dass ich diesen Tag überstehe. Ich bin bereits ziemlich ausgepowert, obwohl ich so langsam bin wie noch nie. Aber erst mal geht es nach einer Erfrischung am Brunnen weiter bergauf in Richtung Simplonpass.
Bis kurz vor Engeloch werde ich schließlich noch von den wenigen Läufern hinter mir überholt und plötzlich ist die Besenläuferin hinter mir. Oje! Aber mittlerweile bin ich mir schon so gut wie sicher, das Rennen am Simplonpass zu beenden. Es hat heute einfach keinen Sinn. Bei Engeloch treffe ich Kerstin wieder und teile ihr meine Entscheidung mit.
Ich kämpfe mich noch bis zum Simplonpass hoch und bin dort erst mal total erledigt.
Immerhin kann ich noch lachen. Diesmal habe ich dreieinhalb Stunden bis hierher gebraucht – es sind ja „nur“ 17,5 km, aber 1200 Höhenmeter – so lang wie noch nie (selbst bei meinen schlechtesten Teilnahmen war ich nach 3 Stunden hier oben). Damit bin ich zwar noch im Zeitlimit (das bei 4 Stunden liegt), aber wenn ich jetzt noch die 400 Höhenmeter auf den Bistinenpass hoch rechne und dann die 18 km supersteilen Downhill, die ich ganz bestimmt nicht mehr laufen kann, wäre ich im Endeffekt erst nach über 9 Stunden im Ziel und das macht nun wirklich keinen Sinn (Zeitlimit sind 8,5 Stunden).
Kerstin hat schon organisiert, dass Caterina bei Karin mitfahren kann. Wir trinken noch gemeinsam was im Restaurant auf dem Pass, ich zieh mich um und dann fahren wir ins Ziel.
Die ersten haben wir verpasst, denn Martin Anthamatten hat diesen ersten Marathon in sagenhaften 3:55:26 absolviert und noch ein paar weitere waren ebenfalls rasend schnell. Aber wir kommen rechtzeitig, um Andreas zu begrüßen, der es in tollen 4:53:20 schafft und ganz überrascht ist, mich hier zu sehen. Jetzt erlebe ich auch mal, wie es ist, stundenlang im Zielbereich zu warten, während die Läufer nach und nach eintrudeln. Dagmar ist etwas genervt, weil sie tatsächlich am Ende doch die falsche Strecke gelaufen ist (die Ausweichstrecke). Als sie es gemerkt hat, wollte sie natürlich auch nicht mehr umkehren. Da sie dadurch auch die letzte Versorgungsstelle verpasst hat (und dadurch ihre Nummer nicht notiert wurde), hat sie noch Angst, aus der Wertung gefallen zu sein, aber Brigitte kann sie schnell beruhigen.
Nach 7:26:53 hat dann auch für Caterina das Warten ein Ende, denn Lucia, Illaria und Michele treffen ein.
Die allerletzten Läufer warten wir nicht mehr ab, sondern fahren in unser Hotel in Brig, wo ich endlich duschen kann. Nachdem ich nur 17,5 km gelaufen bin, fühle ich mich noch relativ gut, die Beine tun jedenfalls nicht weiter weh – auch mal eine neue Erfahrung in Gondo!
Etwas später geht’s zurück zum Schulhaus, wo das Abendessen stattfindet. Im gleichen Raum schlafen viele der angereisten Sportler und Lucia und Illaria suchen sich schon mal einen etwas geschützteren Schlafplatz.
Leider musste Hellmi an der ersten Versorgungsstelle vom Downhill im Nanztal aufgeben, da seine Beine das Abwärtslaufen nicht vertragen haben. Er hat dann auch gleich den Nachhauseweg angetreten und so sehen wir ihn nicht mehr. Beat kommt nach 7:57:46 ins Ziel. Letzter wird heute Karl-Walter in 8:40:11, eigentlich knapp nach Zielschluss, aber das wird in Gondo nicht so eng gesehen.
Wir brechen bald auf, denn ich will am zweiten Tag doch wieder starten und da müssen wir sehr früh aufstehen.
Tag 2
Der zweite Tag startet etwas wolkenverhangen, aber da bin ich nicht böse drum, denn die Wettervorhersage ist wieder ausgesprochen gut. Um 6 Uhr früh sind wir wieder im Schulhaus zum gemeinsamen Frühstück.
Alle sind gut drauf und voll des Lobes für mich, weil ich trotz meines Abbruchs den zweiten Tag starte. 4 Läufer, die gestern noch ins Ziel gekommen waren, starten heute nicht mehr. Die Gründe dafür sind mir unbekannt.
Um 7 Uhr beginnt der Jagdstart für die besten Männer und Frauen vom Vortag. Das heißt, sie starten in dem Abstand, mit dem sie am Vortag ins Ziel gekommen waren. So ist sichergestellt, dass der erste Läufer/die erste Läuferin im Ziel auch der/die erste in der Gesamtwertung ist.
Um 7:30 Uhr starten dann alle verbliebenen Läufer (ich auch). Es geht kurz durch den Ort Ried-Brig mit seinen schönen walisischen Holzhäusern, um dann gleich wieder steil bergauf auf dem Stockalperweg Höhe zu gewinnen. Diesmal starte ich gleich mit Stecken, denn die erste bergauf-Passage hat es in sich. Bis zum Schallberg sind es nur 3 km, für die ich fast 40 Minuten benötige.
Kerstin und Caterina sind nach dem Start flugs mit dem Auto hochgefahren und sehen wieder alle Läufer hochkommen (die ersten vom Jagdstart sind natürlich schon durch). Ich sehe schon extrem fertig aus, bin auch schon Drittletzter, aber Lucia war auch nicht viel schneller. Illaria läuft heute ihr eigenes Rennen und hat Lucia (die weiterhin von Michele begleitet wird) schon einige Minuten abgenommen.
Hier am Schallberg ist heute richtig viel los, denn die Strecke vom Gondo Running musste wegen eines Erdrutsches geändert werden und startet heute hier. Normalerweise laufen die auch hier hoch und kurze Zeit später trennen sich unsere Wege, um erst wieder an der Taferna zusammen zu kommen. Heute werden sie erst mal die gleiche Strecke laufen wie wir, nehmen eine kleine Abkürzung im Gantertal und bleiben dann die ganze Zeit auf unserer Strecke – bis Gabi, wo dann der Doppelmarathon und das Running endgültig getrennte Wege gehen. Sie starten aber etwas später, so dass sie uns nicht ins Gehege kommen werden. Die Runningstrecke ist dadurch ca. 3 km länger (also 31 km), dafür sind es etwas weniger Höhenmeter.
Wir laufen also weiter ins Gantertal auf sehr interessanten Wegen, die weitgehend flach und gut laufbar sind.
Ich fühle mich einigermaßen gut und kann hier das meiste auch schön laufen. Immer wieder gibt es tolle Ausblicke auf die riesige Ganterbrücke, eine der größten und längsten Brücken der Schweiz. Wo der Wanderweg auf die alte Ganterstraße trifft, steht ein Ordner, der Doppelmarathonis (nach links) und Running (nach rechts) trennt. Ich sehe kurz Heidi dort schon entlang wandern und wundere mich, weshalb sie schon hier ist, aber sie durfte heute früher starten, damit sie für die Strecke mehr Zeit hat.
Früher bin ich die alte Straße schon mal langsam hochgejoggt, aber heute gehe ich kein Risiko ein und wandere schnellen Schrittes hoch (andere marschieren allerdings noch viel schneller als ich; obwohl Martin vom 100MC am Wegrand Beeren pflückt, ist er deutlich schneller als ich und entschuldigt sich damit, dass er in Gondo noch den Bus erwischen muss). Der Himmel ist nach wie vor bedeckt, es ist etwas Wind und die Temperaturen sind sehr frisch – genau richtig für mich! Bei der alten Ganterbrücke kommt ein kleines Auto entgegen: es ist Brigitte, die mich kurz anfeuert und weiter zur Trennstelle zwischen Doppelmarathon und Running fährt, um nach dem Rechten zu sehen.
Direkt unter der Brücke ist die nächste Versorgungsstelle. Karin hat dort einen Strickclub gegründet.
Ich fühle mich ganz gut, als ich dort ankomme. Jetzt heißt es, sich beim steilen Anstieg zum Rothwald nicht zu sehr zu verausgaben. Kerstin sagt mir, dass Lucia und Michele wenige Minuten vor mir sind. Lucia hat sehr schlecht geschlafen, hat Probleme mit den Knien und ist heute nicht so gut drauf.
Mir geht’s ziemlich gut. Ich lauf erst mal bergab in den Wald, komme bald an die Stelle, wo die Running-Läufer wieder zu uns stoßen (die sind aber schon fast alle durch) und dann beginnt der nächste steile Anstieg, den ich schön langsam und stetig bergauf gehe. Kurz vor der Straße gibt es eine leichte Kursänderung zur bisherigen Strecke, weil die Straße hier eine einzige Baustelle ist. Auch der Brunnen auf dem Parkplatz, den ich sonst immer nutze, ist außer Betrieb und der ganze Parkplatz ist mit Baumaschinen vollgestellt. Wie gut, dass ich den Brunnen heute nicht benötige, denn ich hab meine Kräfte gut eingeteilt.
Nach einem kurzen und heftigen Aufstieg neben der Straße bin ich an der nächsten Versorgungsstelle und bin ganz überrascht, Lucia zu sehen. Ich habe sie tatsächlich eingeholt. Auch Heidi (die das Running macht) treffe ich hier.
Nach einer ausführlichen Versorgung – denn jetzt kommt erst ein Downhill und dann ein langer Anstieg zum Simplonpass – laufe ich gemeinsam mit Lucia und Michele runter zur Taferna. Von dort stapfe ich betont zurückhaltend in Richtung Simplonpass. Dort oben steht Karin im Nebel und begrüßt bereits ihren Thomas.
Der Aufstieg zum Simplon ist für mich immer eine einzige Qual. Er ist fast 5 km lang und nimmt kein Ende! Aber die Strecke ist eigentlich sehr schön und bietet immer wieder tolle Ausblicke auf die Passstraße und die Taferna, dem Fluss, der von dort oben runterstürzt. Mittlerweile ist die Sonne rausgekommen und es wird ziemlich warm. Wie gut, dass ich heute meinen Trinkrucksack dabeihabe.
Kleine und große Fans erwarten ihre Läufer oben am Pass. Lucia und Michele sind mir bergauf wieder davon marschiert, aber auf dem Pass treffe ich sie wieder und sie warten nach der Versorgung auf mich, um gemeinsam weiterzulaufen.
Anfangs fehlen mir noch die Körner, aber es läuft zusehends besser. Ich merke, dass es ohne Stöcke nun besser wäre (es geht auf der gleichen Strecke wie am Vortag wieder runter bis Gabi und der Weg ist nicht besonders steil und dadurch schön zu laufen) und lass sie am See von Kerstin in meinen Rucksack packen (das Reglement schreibt ja vor, dass man seine Stecken immer mit sich führen muss). Kurz danach kommt die Stelle, wo die Strecke am ersten Tag in Richtung Bistinenpass abbog. Da an der Straßensperre dort ein rotes Flatterband der Streckenmarkierung angebracht ist, glaubt ein Läufer, er müsse nun dort längs laufen. Lucia ruft mir zu und macht mich darauf aufmerksam und ich rufe den Läufer und schicke ihn auf den richtigen Weg – nicht dass er wieder zum Bistinenpass läuft!
Ab hier läuft es wirklich sehr gut für mich. Der Trail ist nicht ganz leicht zu laufen, aber für mich perfekt. Ich laufe Lucia davon und überhole sogar die drei Jungs vom Running, die mich zum Simplonpass abgehängt hatten.
Ich bin ein bisschen im Flow und wundere mich, dass es so gut läuft. Hatte ich eigentlich vor, ab Gabi auf der Runningstrecke durch die Gondoschlucht zu laufen, so überlege ich nun mehr und mehr, doch noch den brutalen Aufstieg zum Furggu zu wagen und die komplette Marathonstrecke zu bewältigen. Warum eigentlich nicht?
Und wie es so ist: auf einem flachen Stück bin ich unaufmerksam, stolpere über eine Wurzel und es haut mich längs hin. Ich schaffe es noch, die Kamera in meiner rechten Hand zu retten und über meine linke Schulter abzurollen. Dass ich mir dabei die Brustmuskulatur etwas prelle, merke ich in diesem Moment überhaupt nicht, aber das tut mir auch jetzt noch weh – 10 Tage nach dem Sturz! Aber es ist nichts Schlimmes passiert (mit Stecken hätte ich mich abfangen können), ich rapple mich auf, klopfe mir den Staub von Armen und Beinen und weiter geht’s.
An der Versorgungsstelle bei Engeloch merkt Kerstin natürlich sofort, dass ich gestürzt bin (ist nicht zu übersehen), aber ich kann sie beruhigen: es ist nichts weiter passiert. Und weiter geht’s Richtung Simplon-Dorf. Lucia habe ich schon etwa 10 Minuten abgenommen. Es überholt mich auch niemand mehr, aber Yang ist mir auf den Fersen.
Ich passiere eine Stelle, an der vor kurzem eine Gerölllawine abgegangen ist. Wegen der musste sogar die Passstraße einige Tage gesperrt werden.
In Simplon-Dorf angekommen, fragt Kerstin mich ob meines guten Zustands, ob ich über das Furggu gehen will und ich sage sofort „Ja!“. Nachdem mein Abstand zu Lucia nun schon ganz schön groß geworden ist, wartet Caterina in Simplon-Dorf auf sie und fährt dann mit Rennarzt Pablo nach Gabi, denn Kerstin muss sofort starten, will sie mich dort erwischen, nachdem es eine lange Baustelle mit Ampelregelung dorthin gibt.
Bis Gabi holt mich Yang ein und wir kommen zusammen hocherfreut bei der Versorgungsstelle an. Hier ist normalerweise Kilometer 30, heute steht aber 29 auf dem Schild, warum auch immer. Egal, das Zeitlimit liegt bei 6,5 Stunden, ich bin nach 5:39 da. Eine knappe Stunde Vorsprung klingt gut. Der letzte Abschnitt über das Furggu und der letzte Downhill bis ins Ziel dauert in der Regel 3 Stunden und selbst wenn ich heute etwas länger brauche, ist das Zeitlimit von 9,5 Stunden nicht in Gefahr.
Also Stecken wieder ausgepackt und los geht’s! Der Aufstieg zum Furggu ist heftig: 3 km mit knapp 700 Höhenmetern. Ich lass mir Zeit und erreiche die kleine Kapelle auf halber Strecke nach 40 Minuten.
Weitere 40 Minuten benötige ich bis ganz oben. Das waren noch Zeiten, als ich diesen Gesamtaufstieg in 50 Minuten geschafft habe! Oben wird meine Ankunft wie immer von den Einheimischen bejubelt, die bei dem schönen Wetter in Partystimmung sind. Einer begrüßt mich mit einem Ständchen auf dem Horn. Es ist immer wieder ein schönes Erlebnis, hier oben anzukommen in dem Bewusstsein, die letzten 9,5 km schafft man auch noch. Hier oben steht wieder das Schild mit der 33, wie immer (warum in Gabi 29 stand, ist mir schleierhaft, aber meine Laufuhr zeigt tatsächlich nur 31 an, was auf keinen Fall stimmen kann).
Ich bin jetzt aber doch schon ganz schön fertig. Aber ich kenne ja fast jeden Meter dieser Strecke und so gehe ich die ersten 500 Meter bis zum ersten Brunnen, um mich mit dem herrlichen Quellwasser abzukühlen, denn es ist richtig heiß geworden und die Sonne knallt erbarmungslos runter.
Ich liebe diesen Downhill, der technisch ziemlich anspruchsvoll ist und auch noch einige steile Anstiege zu verzeichnen hat. An einer Stelle musste die Strecke wegen eines Erdrutsches leicht geändert werden (passiert jetzt immer häufiger in der Schweiz) und wir müssen dafür über einen schmalen Holzsteg den Bach überqueren. Wenn man schon so fertig ist, ein schwieriger Balanceakt.
Die letzte Versorgungsstelle schmiegt sich an eine Tunnelwand neben der Zwischbergenstraße. Man kennt mich und begrüßt mich mit „alle Jahre wieder“. Ich bin überrascht zu hören, dass die Strecke ab hier auf der Straße längs geht. Brigitte hatte das ja am ersten Tag erwähnt, aber mir war da nicht klar, dass der gesamte Wanderweg durch den Wald gesperrt sein würde. Na gut, sparen wir uns den letzten Aufstieg im Wald.
Ich laufe los, merke aber ziemlich schnell, dass die Stöcke jetzt stören. Die hätte ich mal von den Helfern an der Versorgungsstelle wegpacken lassen sollen; so muss ich den Rucksack abnehmen, um die Stecken zu verstauen, aber dann geht’s los. Aber von wegen Bestzeit laufen und die Straße runter heizen: bei mir geht nur noch ein steter Wechsel von etwas Laufen und Gehpausen – obwohl es mehr oder weniger bergab geht! Nachdem es aber nur noch 4 km sind, bestätigt ein Blick auf die Uhr, dass mir eine Zeit unter 9 Stunden sicher ist. Das beflügelt.
Als das ersehnte Schild mit 1000 kommt, weiß ich, dass nun der letzte schwierige Abschnitt kommt: auf engen Trails mit steilen Felstreppen kürzen wir die Serpentinen der Straße ab. Es ist zwar völlig trocken, dennoch bin ich übertrieben vorsichtig, um hier nicht noch zu stürzen. Die Stecken sind ja weggepackt und jetzt hole ich sie auch nicht mehr raus.
Kerstin und Caterina sind da längst im Ziel und begrüßen die Läufer. Die Kinderläufe hab ich ja diesmal verpasst (noch nicht mal gehört wie sonst immer), aber ich bin überglücklich, nach 8:46:40 ins Ziel zu kommen.
Einer der ersten Gratulanten ist Karl-Walter, der leider in Gabi aufgeben musste und hier schon frisch geduscht auf uns wartet. Und als die Siegerehrung bereits läuft, kommen auch Lucia und Michele ins Ziel, nach 9:02:39.
Ich spiele zwar keine Rolle bei der Siegerehrung, da ich wegen meines Abbruchs am ersten Tag als DNF in der Ergebnisliste stehe, aber ich bin wirklich glücklich und sehr stolz, es heute doch noch geschafft zu haben. Das kam tatsächlich sehr unerwartet und wie gut, dass ich es doch noch versucht habe.
Karl-Walter fragt mich, was mit Yang wäre. Aber die ist doch vor mir auf das Furggu und ich habe sie nicht mehr gesehen! Sie hat sich verlaufen und kommt dadurch erst nach 9:34:04 völlig entnervt ins Ziel, bekommt aber natürlich trotzdem noch von Brigitte die besondere Gondo-Medaille: einen Bergkäse (den ich natürlich auch bekomme – oder eher Kerstin als unermüdlicher Fan und Fotograf).
Der Sieger heißt übrigens wie am ersten Tag Martin Anthamatten aus der Schweiz und schafft das Kunststück, den zweiten Tag mit 3:59:48 ebenfalls unter 4 Stunden und damit insgesamt mit 7:55:14 unter 8 Stunden zu bleiben – das ist bisher nur einem einzigen Läufer gelungen, aber diesmal ist das nicht vergleichbar, weil wir diesmal 3 km Straße statt schwierigem Waldweg laufen durften. Trotzdem eine irre Leistung!
Die beste Frau war Nina Kreisherr aus Deutschland mit 5:27:12 am ersten und 5:26:32 am zweiten Tag, insgesamt also 10:53:45.
Bei einem schönen Abendessen auf der Terrasse vor dem Stockalperturm lassen wir den Tag mit Brigitte, Pablo, Heidi und Karl-Walter ausklingen.
Es gibt wieder viele Geschichten zu erzählen, aber alle sind sich wieder einig, dass der Gondo-Marathon eine der schönsten Laufveranstaltungen ist, die es gibt. Hoffentlich kann ich da noch ein paar Mal dabei sein. Andererseits: Karl-Walter ist schon 75 und macht immer noch mit! Dass er heute aussteigen musste – geschenkt!
Unsere neuen italienischen Freunde aus Florenz treffen wir am nächsten Tag nochmal kurz vor unserer Abreise. Hat viel Spaß mit ihnen gemacht. Jetzt müssen wir wohl auch mal nach Florenz fahren. Es gibt schlimmere Destinationen …