Athen-Marathon 10.11.2024

Als wir im letzten Jahr eine Griechenland-Rundreise gemacht haben, war unsere griechische Reiseleiterin Dimitra völlig entsetzt, dass ich noch nicht den Athen-Marathon gelaufen war. Als ernsthafter Marathonläufer muss man zumindest einmal auf der Originalstrecke unterwegs gewesen sein – also gut, dann werde ich das eben mal machen.

Der Legende nach ist der griechische Läufer Pheidippides nach der Schlacht von Marathon, bei der das griechische Heer den Angriff der Perser 490 vor Christus abwehren konnte, von Marathon ca. 35 km nach Athen gelaufen, um die frohe Botschaft zu überbringen und ist anschließend erschöpft zusammengebrochen und gestorben. Der heutige Marathon über 42,195 km verläuft natürlich nicht ganz auf der Originalstrecke, die damals querfeldein verlief, sondern auf der Verbindungsstraße zwischen Marathon und Athen. Auch die bemerkenswerten 400 Höhenmeter der Strecke sind wesentlich weniger als bei den damaligen Pfaden. Trotzdem macht mir das Höhenprofil schon etwas Sorge, denn der eigentliche Anstieg beginnt bei km 17 und geht bis km 31, also 14 km in einem Bereich, in dem man sich sowieso nicht mehr ganz frisch fühlt. Ich habe allerdings nicht vor, im Panathinaikon-Stadion in Athen tot zusammenzubrechen.

 

Wir fliegen am Donnerstag nach Athen und übernachten in einem Hotel mit einer Dachterrasse, von der man einen tollen Blick auf die Akropolis hat. Nachdem die direkte Anmeldung zum Marathon schon seit langem ausgebucht war, haben wir die Reise wieder über Grosse-Coosmann gebucht. Am Freitag machen wir eine organisierte Busfahrt nach Marathon und fahren dabei nahezu die komplette Strecke mit dem Bus ab, besuchen das Marathon-Museum mit den Statuen der beiden ersten Marathonsieger bei Olympia und schauen uns das Startgelände an. In unserer Gruppe sind etwa 60 Personen, die aber nicht alle den Marathon laufen, denn es gibt auch Wettbewerbe über 5 und 10 km.

Anschließend geht’s auf die riesige Marathonmesse im Athener Hafengebiet, um die Unterlagen mit einem recht enttäuschenden Finisher-Shirt zu holen: hinten steht nur 41. Athen-Marathon – The Authentic drauf und es ist Schweinchen-Rosa, na toll! Das wird zumindest von den männlichen Teilnehmern bestimmt nur ein einziges Mal getragen.

 

Am Ausgang gibt es eine große Tafel, auf der alle knapp 20.000 Teilnehmer vermerkt sind mit der Aufforderung „FIND your name“. Kerstin findet mich tatsächlich!

Am Samstag ist jeder für sich unterwegs und Kerstin und ich machen etwas Sightseeing in Athen zu Fuß (keine wirklich gute Idee, weil wir so praktisch den ganzen Tag auf den Beinen sind – keine gute Vorbereitung auf einen Marathon) und schauen uns auch das riesige Panathinaikon-Stadion an, in das wir am Sonntag einlaufen werden.

Am Abend sehen wir uns hier noch den Zieleinlauf der ersten 5km-Läufer an, bevor es zurück zum Hotel geht.

 

Wir müssen sehr früh schlafen gehen, denn am Sonntag müssen wir extrem früh aufstehen: Frühstück gibt’s im Hotel ab 5 Uhr und um 6 Uhr holt uns schon der Bus ab, um uns nach Marathon zu fahren. Es gibt ja nur die eine Hauptstraße und die wird ab 8 Uhr gesperrt, da müssen die Busse bereits wieder zurück nach Athen gefahren sein – und es sind viele Busse!

Um diese Jahreszeit ist es mit 10° ziemlich kühl um diese Uhrzeit, dazu bläst noch ein eisiger Wind. Trotzdem habe ich keine Wechselkleidung dabei, denn es soll ja einigermaßen warm werden (bis zu 18° und Sonnenschein sind angesagt) und die Zeit bis zum Start um 9 Uhr halte ich schon aus. Außerdem muss die Wechselkleidung lange vor dem Betreten des Startgeländes abgegeben werden und dann nützt sie einem ja auch nicht mehr. Viele Teilnehmer haben deshalb den Plastik-Poncho an, den es mit der Startnummer gab.

 

Einer meiner Mitstreiter ist Bernd, der heute seinen 100. Marathon läuft. Bei mir wird es der 102.

Bernd startet jedoch in Block 8 und damit etwas später als ich (Block 7). Es gibt insgesamt 12 Startblöcke und der Plan ist, dass alle 3 Minuten ein Block auf die Strecke geschickt wird. Es wird dann allerdings doch etwas länger dauern. Ich wandere um das gesamte Startgelände herum zu meinen Block 7, der Wind ist hier sehr kalt und unangenehm und ich bin froh, dass in meinem Startblock nicht so viel Wind weht und dafür die Sonne bereits einen Teil des Geländes bescheint.

Als ich dort ankomme, ist mein Startblock bis auf eine einsame Teilnehmerin komplett leer. Das hab ich ja auch noch nie erlebt! Das Gute ist, dass ich so ganz entspannt ohne Warteschlange aufs Dixie-Klo gehen kann, auch später noch. Die Organisation ist wirklich gut: in jedem Startblockgibt es eigene Dixies und es werden großzügig Wasserflaschen verteilt, die in großer Menge vorhanden sind.

 

Ich hab viel Zeit, sitze erst mal eine Weile in der Sonne, schau mich dann ein wenig in den vorderen Startblöcken um (wäre kein Problem, von dort zu starten, aber ich hab ja nicht vor, besonders schnell zu laufen) und amüsiere mich über die Teilnehmer, die im Starthäuschen Schutz vor dem Wind gesucht haben. So langsam füllt sich dann auch mein Startblock und ab 9 Uhr, als die ersten starten, sind wir schon in einer langen Schlange aufgereiht.

Nach und nach werden wir an die Startlinie herangeführt und um 9:30 geht’s auch für uns los. Erst mal herrscht dichtes Gedränge und es dauert etwa 2 km, bis ich frei laufen kann. Jeder Kilometer ist mit einer dauerhaften Tafel gekennzeichnet und ich nehme mir vor, jede einzelne zu fotografieren, was mir bis auf km 20 auch gelingt (dort ist eine Versorgungsstelle und dabei übersehe ich die Tafel). Viel mehr wird es auch nicht zu fotografieren geben.

Bei km 4 laufen wir etwa 2 km um die Marathon-Grabstätte herum, in der die Gebeine der siegreichen Kämpfer von der Schlacht von Marathon aufbewahrt werden. Die ist recht unspektakulär, von außen ist nur ein Grabhügel zu sehen (den man von der Laufstrecke aus gar nicht sieht), aber es ist die einzige Stelle, wo sich Läufer begegnen und diese Runde ist notwendig, damit die ursprünglich nur 40 km lange Strecke die offizielle Marathonlänge bekommt.

Mir geht es leider nicht besonders gut. Man merkt immer gleich zu Beginn eines Wettkampfs, ob es ein guter oder ein schlechter Tag wird und bei mir ist es wohl letzterer. Eigentlich war mein Plan, die erste Hälfte in 2:20 zu laufen, um genügend Luft auf der zweiten, ansteigenden Hälfte zu haben und eine Chance zu bekommen, alles in knapp unter 5 Stunden zu schaffen. Aber es fällt mir bereits auf den ersten 5 flachen Kilometern sehr schwer, das erforderliche Tempo von 6:40 pro km zu halten. Ich überhole noch einen Läufer in Kampfmontur, dessen Aufschrift auf einen gewaltigen Ultra von 215 km hinweist. Und überraschenderweise gehen hier bereits die ersten Teilnehmer.

Aber bereits ab km 11 steigt die Strecke spürbar an und auch wenn ich die erste Steigung noch im Laufschritt bewältigen kann, muss ich kurze Zeit später schon die erste Gehpause einlegen. Das Wetter ist ganz gut, wenn die Sonne scheint sogar richtig warm, aber Gott sei Dank sind immer wieder Wolken da und es bleibt angenehm kühl. Und was auch sehr gut ist: wir haben permanent Rückenwind, die gesamte Strecke lang! Trotzdem fühle ich mich jetzt schon, als wäre ich bereits 30 km gelaufen.

Die Versorgung unterwegs ist relativ gut: alle 2,5 km gibt es Wasser und alle 5 km Iso und Schwämme, ab und zu Bananen und ab km 30 auch Cola. Leider wird das Wasser in 0,5 l Plastikflaschen verteilt mit dem Ergebnis, dass fast volle Plastikflaschen in ungeheuren Mengen auf der Straße landen. Was für eine Verschwendung! Es ist natürlich hygienischer und einfacher zu handeln als Becher, aber besonders nachhaltig ist das nicht, insbesondere nachdem sich dieser Marathon als besonders Grün bezeichnet.

 

Es gibt auch sehr lecker schmeckende Gels, aber leider nur bei km 10 und 20. Wie gut, dass ich drei eigene Gels dabei hab! Ich werde sie alle verbrauchen.

 

Die Strecke an sich ist eigentlich langweilig. Es geht auf der Straße fast durchgehend durch urbanes Gebiet, nur kurz ist man mal außerhalb von Bebauung und hat einen schönen Blick auf das Ägäische Meer. Dafür ist die Stimmung relativ gut, viele Zuschauer stehen an der Straße und feuern uns lautstark an. Das häufigste Wort, das ich höre, ist „Bravo!“. Bei der Streckenbesichtigung mit dem Bus wurde uns die Stelle bei km 31 gezeigt, wo der lange Anstieg endet: es ist eine große Straßenunterführung, hinter der die Strecke praktisch nur noch bergab mit längeren flachen Abschnitten geht. Es gibt dann nur noch eine Unterführung, hinter der ein kleiner Anstieg wartet, aber die ist nicht so schlimm.

Aber schlimm sind die 17 km davor! Es geht mir richtig schlecht, an lockeres Laufen ist nicht zu denken und ich muss mich ziemlich quälen, um ab und zu auch mal etwas zu laufen und nicht nur noch zu gehen. Die 5 Stunden sind außer Reichweite (es haben mich auch schon alle Pacer für diese Zeit überholt) und ich peile eher eine Zeit von über 5:30 an. Aber ab km 31 auf dem bergab Abschnitt gelingt es mir fast durchgehend langsam zu laufen, ich erkämpfe mir Kilometer um Kilometer und überhole ganz viele Läufer, die das nicht mehr schaffen. Tatsächlich mache ich auf diesen letzten 11 km über 200 Plätze gut. Ich bin nicht der Einzige, der kämpfen muss.

 

Bei km 39 steht ein weiß gekleideter Mönch (kein echter) mit einem Schild „Das Ende ist nah“ (allerdings auf Griechisch).

 

Aufgrund der Punkt-zu-Punkt-Strecke kann mein bester Fan nichts weiter tun, als stundenlang im und am Stadion auf mich zu warten. Den Einlauf des Siegers verpasst sie zwar, aber sie sieht viele der Top-10-Läufer und -Läuferinnen und erlebt auch die Siegerehrung im gut gefüllten Stadion, von dem aus man ebenfalls einen fantastischen Blick auf die Akropolis hat.

Als ich endlich das 41 km-Schild erreiche (es ist die letzte der dauerhaften Tafeln), rufe ich kurz bei Kerstin an, um ihr zu sagen, dass ich bald im Ziel bin. Es ist hier ohrenbetäubend laut und so brülle ich einfach ins Telefon, ohne zu wissen, ob mein Liebling das überhaupt hört (hat dann aber doch geklappt). Ich weiß ja vom Samstag, dass der letzte km schön bergab am Präsidentenpalast vorbei geht und schaffe es auch, jetzt keine Gehpause mehr zu machen. Der Einlauf ins Stadion ist wirklich schön, ich kann Kerstin schon von weitem sehen (und sie mich) und so kann ich den Zieleinlauf doch noch ein wenig genießen.

Das war ein hartes Stück Arbeit! Mit 5:28:20 schaffe ich es doch noch unter 5:30, von den 13.310 männlichen Finishern komme ich auf Platz 11.391, in meiner Altersklasse auf Platz 195 (von immerhin 298). Es gibt nur 3719 weibliche Finisher, von den fast 20.000 Teilnehmern kommen also 17.029 ins Ziel und ich bin da auf Platz 14.150.

Die Medaille ist wunderschön. Seit 4 Jahren gibt es in Athen jedes Jahr eine andere, von namhaften Künstlern gestaltete Medaille, eine für jeden Buchstaben des Wortes „Marathon“. Dieses Jahr ist der Buchstabe „T“ dran, der das Medaillenband ziert (welch ein Zufall, dass mein Vorname mit einem „T“ beginnt). Noch drei Jahre, dann ist das Wort komplett. Die bisherigen Medaillen gibt es natürlich zu kaufen – aber eigentlich müsste man alle erlaufen, aber 8 Jahre lang jedes Mal diesen schweren Marathon? Ich weiß nicht … Und die Chance ist jetzt ja sowieso vorbei, das hätte man früher wissen müssen.

Die Zielverpflegung ist mau: Bananen und eine Tüte mit Getränken – na ja! Als ich kurze Zeit später meinen Lieblingsfan sehe, treffen wir doch tatsächlich Bernd wieder (der seinen 100. Marathon gelaufen ist). Ich hatte die ganze Zeit erwartet, dass er mich überholt, aber auch er hat 5:20:23 gebraucht und durch die Verzögerung beim Start ist er ganz knapp hinter mir ins Ziel gekommen.

Auf der Rückseite seines Shirts hat er alle seine Läufe aufgelistet. Auch eine nette Idee.

Der Rückweg ins Hotel dauert eigentlich ca. eine halbe Stunde, für mich heute aber deutlich länger. Clemens von Grosse-Coosmann hat für alle ein Abendessen in einer typischen griechischen Taverne organisiert und so können wir alle noch ein wenig über den Lauf fachsimpeln.

Die Schnellsten in unserer Gruppe waren Michaela und Thorsten mit 3:42:31. Für die beiden war das auch eher langsam. Michaela ist übrigens für den Spartathlon nächstes Jahr qualifiziert, einem wirklich schweren Lauf über 245 km mit über 3000 Hm von Athen nach Sparta. Auch Andreas musste der schweren Strecke Tribut zollen und benötigt 5:02:52. Unsere älteste Teilnehmerin mit 72 Jahren ist Ruth, die mit einer künstlichen Hüfte das Ganze in 6:10:11 schafft – sehr beeindruckend! Das Zeitlimit liegt hier übrigens bei 8 Stunden.

 

Die Sieger schaffen es in 2:18:56 bei den Männern und 2:40:19 bei den Frauen, beides Griechen. In den Top 10 sind jeweils 8 Griechen. Für die afrikanischen Läufer ist dieser Marathon zu schwer, also nicht für Bestzeiten geeignet und die Preisgelder sind auch zu niedrig. Aber es ist ja auch mal ganz angenehm, wenn nicht nur Afrikaner vorne dabei sind.

 

Die Legende von Pheidippides, der nach dem Lauf tot zusammenbricht, ist höchstwahrscheinlich ein Märchen. Historisch überliefert ist eine andere Geschichte: im Angesicht der anrückenden persischen Armee soll er die 250 km von Athen nach Sparta in zwei Tagen gelaufen sein, um die Spartaner um Beistand zu bitten. Anschließend ist er zurück nach Athen und schließlich nach Marathon gelaufen, um dort bekanntzugeben, dass die Spartaner kommen werden. Als die eintreffen, ist die Schlacht aber bereits vorbei. Pheidippides steht also eigentlich für den Spartathlon (den er quasi doppelt gelaufen ist), aber den werde ich ganz bestimmt nicht laufen …