Swiss Alpine Davos K68 24.07.2021

Der Swiss Alpine findet dieses Jahr zum 36. und gleichzeitig zum letzten Mal statt. Der langjährige Organisationspräsident Andrea Tuffli geht in den Ruhestand und konnte sich wahrscheinlich mit seinem Nachfolger nicht auf die Markenrechte einigen. So wird die beliebte Laufserie ab dem nächsten Jahr „Davos X-Trails“ heißen, was von nahezu allen Läufern mit großem Bedauern und zum Teil auch großem Ärger zur Kenntnis genommen wurde. Die Laufstrecken für den 10-, 23-, 43- und 68-km-Lauf, die es seit dem letzten Jahr in dieser Form gibt, sollen allerdings auch im nächsten Jahr unverändert angeboten werden.

Ich war bisher zweimal bei den ehemaligen K78-Ultras, sowie jeweils einmal bei den Marathons K42 und C42 dabei. Der Start beim diesjährigen K68 ist also mein dritter Ultra hier.

Wir reisen schon einen Tag früher nach Davos, um am Freitag die Strecke auszukundschaften. Bei bestem Sommerwetter fahren wir nach Dürrboden, Sertig und Monstein und stellen fest, dass die Straßen sehr eng sind. Das traut sich Kerstin nicht alleine zu, sodass wir den Plan fallen lassen, dass sie mir mit dem Auto hinterherfährt. Stattdessen wird sie die hervorragenden Busverbindungen nutzen, um nach Dürrboden und nach Sertig zu kommen. Monstein muss sie dann allerdings auslassen, da das zeitlich zu knapp wird (hätten wir gewusst, wie lange ich für diesen Abschnitt benötigen werde, wäre das problemlos möglich gewesen). In Sertig komm ich ja zweimal durch, einmal bei Kilometer 30 und einmal 12 km vor dem Ziel. Die Zeit dazwischen kann sich Kerstin mit dem Besuch des Schweizer Schwingerfestes vertreiben, das am Samstag in Sertig-Sand stattfindet.

Die Strecke ist ziemlich anspruchsvoll. Mein Plan ist es, die knapp 14 km bis Dürrboden weitgehend zu laufen. Es sind zwar bereits 470 Höhenmeter zu überwinden, aber die Strecke geht weitgehend und kontinuierlich ohne steilere Abschnitte bergauf. Das sollte zu schaffen sein. Den anschließenden Anstieg auf den Scalettapass (weitere 580 Hm) werde ich sicherlich nur wandern können. Und was danach ist, wird man sehen. Ich rechne mir eine Zeit von etwa 12 Stunden aus. Die beiden K78 2004 und 2012 bin ich zwar jeweils deutlich unter 11 Stunden gelaufen (und das waren ja 10 km mehr!), aber zum Einen ist das lange her und zum Anderen war die Strecke längst nicht so anspruchsvoll. Diesmal sind 4 steile Anstiege und insgesamt über 2600 Hm zu überwinden (gemessen hab ich 2950, aber das ist wahrscheinlich dem schlechter werdenden Wetter am Schluss geschuldet).

Am Abend ist die Davoser Innenstadt für Autos gesperrt und es herrscht Volksfeststimmung. Wir setzen uns an den Verkaufsstand des Steakhauses Zum Ochsen, es gibt Straußensteak. Nicht unbedingt das optimale Läuferessen, aber ausgesprochen lecker!

Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um 5 Uhr früh. Ultraläufe sind was für Frühaufsteher. Ich lege meine Ausrüstung auf dem Bett zurecht und nach einem kleinen Frühstück geht’s ab zum Startgelände, das diesmal nur 10 Minuten Fußweg von unserem Hotel entfernt ist.

Pünktlich um 7 Uhr erfolgt der Startschuss und das Abenteuer kann beginnen. Ich starte als einer der Letzten, denn ich will auf keinen Fall zu schnell loslaufen. 374 Männer und 73 Frauen gehen die Herausforderung an (111 Männer und 32 Frauen weniger als angemeldet waren – erstaunlich!). Wir laufen durch Davos am Golfclub vorbei und ich wundere mich bereits über die Gestalten, die ich hier zu sehen bekomme: teils mit einer ziemlich stämmigen Statur und einer läuft total krumm – wie ich hinterher erfahre, ist das ein erfahrener Ultraläufer, der schon die verrücktesten Sachen gemacht hat wie 24-Stundenrennen und ähnliches.

Ziemlich bald verlassen wir die Straße und laufen auf einem Wanderweg weiter. Das 65er Schild taucht auf (beim Swiss Alpine wird immer die Reststrecke angezeigt): na also, nur noch 65 km!

Ich komme mit Vera ins Gespräch. Sie hat ihren Startplatz vom letzten Jahr auf dieses verschieben lassen und ist der Meinung, sie hat viel zu wenig trainiert. Wir laufen gemütlich dahin und unterhalten uns noch ein wenig, aber dann bin ich doch schneller und lass sie hinter mir. Sie hat es leider nicht geschafft. In Sertig-Wasserfall bei Kilometer 30 kommt sie zwar noch 12 Minuten vor dem Cutoff an, aber dort gibt sie offenbar auf. Wenn ich bedenke, was danach noch kam, war das sicher eine gute Entscheidung, aber es tut mir natürlich sehr leid um sie.

 

01.08.2021 - Update: mittlerweile hab ich erfahren, dass Vera es noch bis nach Monstein geschafft hat, dort aber wegen Überschreitung der Zielschlusszeit aus dem Rennen genommen wurde.

Bei mir läuft alles wie am Schnürchen. Es ist genauso, wie ich dachte: bis Dürrboden ist nahezu alles gut laufbar. Ich sehe den Bus, mit dem Kerstin hochkommt und kurze Zeit später laufe ich auf Urs auf. Ein anderer Läufer macht mich darauf aufmerksam, dass Urs der Einzige ist, der bislang alle Läufe gefinisht hat und diesmal also zum 36. Mal dabei ist – das ist sensationell! Ich sprech ihn kurz an, aber er ist ziemlich einsilbig, also lass ich ihn in Ruhe. Ich erfahre noch, dass er genauso alt ist wie ich.

Dürrboden erreiche ich wie geplant nach 1:49. Das hat schon mal super geklappt. Mir geht’s sehr gut, Kerstin holt mir die Stöcke aus dem Rucksack (bis hier hab ich sie nicht gebraucht) und ich mach mich auf dem Weg zum Scalettapass. 4,5 km und 580 Hm liegen vor mir.

Vorbei an den Alphornbläsern steigt der Weg nun immer steiler an. Wir befinden uns bereits auf über 2000 Metern Höhe und die dünne Luft macht mir bereits zu schaffen. Immer wieder sehe ich Mountainbiker (meist mit E-Bikes), die hier aber auch nur noch schieben können und häufig sogar das Bike tragen müssen. Auch die ersten Schneefelder sind zu queren. Es liegt aber deutlich weniger Schnee, als ich erwartet habe.

Nach einer guten Stunde erreiche ich die Passhöhe auf 2600 Metern Höhe. Schon über 1000 Höhenmeter geschafft.  Wieder bin ich genau im Plan. Wenn das so weitergeht, schaffe ich es in 11 Stunden (na ja, man wird ja noch träumen dürfen). Noch 50 km to go.

Jetzt kommt ein Abschnitt, auf den ich mich schon seit Wochen freue: der „Panoramatrail“, ein schmaler, ausgesetzter und schwieriger Pfad, der sich am Berghang entlang schlängelt und in dieser Richtung leicht bergab geht, also bestens zu laufen ist. Das Wetter ist auch noch prima. Für heute sind zwar Gewitter gemeldet, aber bislang ist davon nichts zu sehen. Es macht richtig Spaß, hier zu laufen. Trailrunning pur!

Dann aber kommt der Aufstieg zum Sertigpass, mit 2750 Metern der höchste Punkt der Strecke. Jetzt keuche ich schon ordentlich. Auf halber Strecke ist eine Versorgungsstelle (die sind recht weit auseinander, oft sind es 10 km und ich bin heilfroh über meinen Trinkrucksack) und von dort sieht man eine endlose Läuferschlange sich den Berg hinauf ziehen.

Aber dann hab ich auch das geschafft und „freue“ mich auf einen Abstieg von über 800 Höhenmetern nach Sertig-Wasserfall. Am Anfang ist die Strecke so steil und schwierig zu laufen, dass ich sicherheitshalber doch gehe. 2012 bin ich hier bereits gerannt, aber das ist mir heute zu gefährlich.

Kerstin ist von Dürrboden von einem netten Schweizer runter nach Davos mitgenommen worden, der seine Frau Daniela begleitet. In Sertig Wasserfall trifft sie die beiden wieder, Daniela ist etwas schneller unterwegs als ich. Ich komme nach 5:21 dort an und hab auf meinen 11-Stunden-Zeitplan bisher nur 10 Minuten verloren. Nach dem ersten halben Liter Cola, den Kerstin mir reicht (vom Veranstalter gibt es Cola leider erst an der letzten Versorgungsstelle), geht es mir schon wieder besser. Ich hab jetzt noch 37 km vor mir. Und es geht gleich mit einer heftigen Steigung los.

Es geht jetzt zum nächsten Pass Fanezfurgga, der in einer Höhe von 2580 Metern liegt. Diesen Abschnitt hab ich gewaltig unterschätzt. Die Strecke ist zwar wunderschön, aber es ist ein langer, stetig ansteigender Weg, den ich fast komplett wandern muss. Wegen der Höhe kann ich hier immer nur sehr kurz laufen.

Kerstin sieht noch den krummen Ultraläufer durchkommen. Er wird das Ziel tatsächlich auch erreichen, liegt aber bereits weit hinter mir. Am Horizont tauchen jetzt schon vermehrt Wolken auf und ich hoffe nur, dass das Wetter noch eine Weile hält. Ein starker Wind kommt auf und für etwa 10 Minuten gibt es Sprühregen bei Sonnenschein!

Derweil lässt es sich Kerstin beim Schwingerfest in Sertig-Sand gutgehen. Sie wird jetzt ganz schön lange auf mich warten müssen. Das „Schwingen“ ist eine Art Schweizer Ringkampf, der ein Bisschen an Sumoringer erinnert. Wir hatten bisher noch nie die Gelegenheit, so etwas Live zu sehen. Kerstin meint allerdings, dass es ziemlich langweilig war.

Irgendwann ist auch der Fanezfurgga geschafft und ich merke schon, dass das viel länger gedauert hat als geplant. Außerdem hab ich mich so stark verausgabt, dass es nun bergab auch nicht mehr so gut läuft.

Es sind nun 6 km und fast 1000 Höhenmeter bergab nach Monstein. Im oberen Bereich muss ich noch viel gehen, aber weiter unten läuft es dann ganz gut und ich kann wieder einige Mitstreiter überholen. Als ich auf Urs auflaufe (Ihr wisst schon: der zum 36. Mal dabei ist) und er mich vorbei lässt, pass ich kurz nicht auf, rutsche an einer glitschigen Stelle aus und setz mich auf den Hosenboden. Außer einer kleinen Abschürfung am rechten Mittelfinger und Ellbogen ist nichts passiert, aber ich bin nun ziemlich dreckig. Weiter unten auf einem langgezogenen Forstweg lauf ich an einer Abzweigung vorbei, aber dort stehen Zuschauer, die mich sofort zurückrufen.

In Monstein nutze ich gleich mal den ersten Brunnen, um die Griffe meiner Stöcke und meine Hände abzuwaschen. Ein klein wenig enttäuscht bin ich ja von der Versorgungsstelle vor der Monsteiner Bierbrauerei, denn es gibt noch nicht mal Bier.

Tatsächlich hab ich bis hierher eine ganze Stunde auf meinen Zeitplan verloren. Für etwas über 40 km hab ich fast 8 Stunden gebraucht! Mit 11 Stunden wird das also nichts mehr.

Und auch die weitere Strecke nach Äbirügg hab ich total unterschätzt. Es fängt schon damit an, dass wir ab Monstein kilometerweit einen steilen Forstweg hochstapfen müssen (Steigung ca. 18%). Das saugt einem die letzte Kraft aus den Knochen. Hier treffe ich auf Katharina aus Norwegen, die immer wieder mal stehen bleiben muss und die ich daher überhole. Für den Rest der Strecke werden wir mehr oder weniger zusammenbleiben.

Das Gewitter kommt näher, einmal donnert es ziemlich heftig und es fängt leicht zu regnen an. Da wir aber aus dem Landwassertal raus- und in das Sertigtal reinlaufen, verfehlt uns das Gewitter. Ich bin derweil am Verzweifeln: es geht ununterbrochen leicht bergauf und normalerweise könnte ich das problemlos laufen, aber es geht einfach nichts mehr und ich kann nur noch daran denken, wie lange das alles noch dauern wird, wenn ich das alles gehen muss. Urs überholt mich. Er geht zwar auch nur noch, aber das in einem Affentempo. Helfried, ein Mitstreiter aus Berlin und schon 70 Jahre alt, versucht mich aufzubauen und spricht mir Mut zu. Vielen Dank dafür. An der Bergstation der Rinerhornbahn ist wieder eine Versorgungsstelle und danach geht es immer noch bergauf! Es ist zum verrückt werden! Von Monstein bis Äbirügg sind es 9 km mit nur 490 Höhenmetern, aber für diese Strecke brauche ich gefühlte Ewigkeiten.

Als es dann endlich wieder bergab geht, kann ich doch wieder loslaufen, überhole erst Helfried, dann Urs und Katharina und noch ein paar andere.

Kerstin wartet derweil geduldig in Sertig-Sand auf mich. Nachdem der Akku von meinem Handy nach 51 km schlapp gemacht hat, kann sie auch nicht mehr sehen, wie weit ich bin. Ich hab zwar versucht, die Akkulaufzeit mit einer kleinen Powerbank zu verlängern, aber irgendwie hat das nicht geklappt.

Dafür sieht Kerstin viele andere Läufer runterkommen wie z.B. Thomas, mit dessen Partnerin sich Kerstin lange unterhält (Thomas erreicht das Ziel nach 11:05 Stunden), John (im Ziel nach 11:30) und Daniela (sie schafft das Kunststück, nach 11:59:00 ins Ziel zu kommen!).

Als ich dann endlich auch ankomme (2 Stunden später als geplant), reicht mir Kerstin nur schnell die kalte Cola zu, ich übergebe ihr meine Stöcke, die ich für die restlichen 12 km nicht mehr brauche und sie springt schnell in den Bus nach Davos, der gerade abfährt. Für mich geht’s weiter über Sertig-Dörfli und Clavadel nach Davos. Diesen letzten Abschnitt kenn ich schon vom letzten K78 und weiß, dass es nur dem Höhenprofil nach nur noch bergab geht. In Wirklichkeit geht es andauernd rauf und runter, sodass sich permanent Gehen mit Laufen abwechselt. Für diese letzten 11 km hab ich wohlweislich auch 2 Stunden eingeplant, dachte aber nicht, dass ich bis Sertig-Dörfli schon 11:05 benötigen würde. Na ja, wird es eben nichts mit 12 Stunden. Aber man hat ja 14 Stunden Zeit und das schaff ich auf jeden Fall. Tatsächlich hab ich in Sertig-Dörfli nur noch 40 Minuten Vorsprung auf den Cutoff.

Auf diesen letzten Kilometern fängt es nun doch etwas stärker zu regnen an, aber es hält sich alles noch in Grenzen. Gewitter ist jedenfalls keins dabei. Ich überhole wieder mal Katharina, deren Uhr mittlerweile nicht mehr geht (Akku leer) und die wissen will, wie weit es denn noch ist (noch 7 km). Meine Uhr zeigt noch eine Restkapazität von 18% an und ich hoffe, sie hält bis zum Ende durch (hat geklappt: am Ende waren noch 5% drauf).

5 km vor dem Ziel kommt noch mal eine außerplanmäßige Versorgungsstelle, über die ich mich sehr freue, weil sie auch Cola anbietet. Und dann kommt die letzte gemeine Steigung, auf die ich aber mental schon vorbereitet bin und deshalb ganz gut bewältigen kann. Hier überholt mich tatsächlich noch ein Läufer, der da hochsprintet. Was ist denn mit dem los?

Und dann ist endlich der Zieleinlauf ins Stadion. Noch eine halbe Stadionrunde und das Ziel ist erreicht, wenige Sekunden vor Katharina, die direkt hinter mir kommt und vom Stadionsprecher als 3. Der Altersklasse W60 angekündigt wird.

Ich bin mit meinen 12:41:36 auf Platz 26 meiner Altersklasse M60 gelaufen (51 sind gestartet, aber nur 38 ins Ziel gekommen). Urs kommt kurz darauf in 12:43:14 ins Ziel.

Bei den Männern bin ich auf Platz 281 von 324 Finishern gekommen. 51 Männer und 4 Frauen mussten aufgeben. Eine ganz gute Quote.

Völlig unglaublich sind für mich die Siegerzeiten. Bei den Männern läuft Benedikt Hoffmann einen neuen Streckenrekord von 5:46:22! Er war damit fast 7 Stunden schneller als ich. Bei den Frauen gelingt der Seriensiegerin Jasmin Nunige eine Zeit von 6:50:36! Nur 8 Männer waren schneller als sie. Das ist umso beeindruckender, wenn man weiß, dass Jasmin seit Jahrzehnten an Multipler Sklerose leidet.

Der letzte Mann war nach 13:41:34, die letzte Frau nach 13:44:12 im Ziel. Helfried, der mich auf dem vorletzten Abschnitt so gut aufgebaut hat, schafft es in 13:01:42 und wird damit 3. In der M70. Alle Achtung! Und der „krumme“ Läufer (Rainer Fritsch aus Markt Erlbach) schafft es in 13:34:30.

Und nun? Ich hole mir mein Finishershirt ab (hier bekommt das Shirt wirklich nur der, der auch ins Ziel kommt) und freue mich auf die Medaille. Zu meiner allergrößten Enttäuschung gibt es aber gar keine Medaille, sondern nur einen schnöden Pin. Was für eine Enttäuschung! Da muss der Veranstalter aber unbedingt nachbessern!