Gondo-Marathon 07.08.2021

Zum ersten Mal seit fast 20 Jahren fiel der Gondo-Marathon im letzten Jahr aus. Somit muss die Jubiläumsveranstaltung auf nächstes Jahr verschoben werden. Dieses Jahr findet der Wettkampf zwar statt, aber anstelle von zwei Marathons an zwei Tagen wird diesmal nur der zweite Marathon am Samstag durchgeführt. Die Pandemie erlaubt einfach kein Massenlager und gemeinsames Essen am Abend, bzw. Frühstück am Morgen.

Ich bin natürlich trotzdem dabei. Da ich 2019 den San Francisco Marathon gelaufen bin, ist mein letzter Gondo-Wettkampf drei Jahre her. 2018 war ich schlecht trainiert und wurde Gesamtletzter. Das soll mir dieses Jahr nicht passieren. Ich habe sehr intensiv an meiner Fitness gearbeitet und der Swiss Alpine K68 vor zwei Wochen hat ja auch ganz gut geklappt.

Beim Swiss Alpine hat Kerstin Karen und Thomas kennengelernt und Thomas „überredet“, auch in Gondo mitzulaufen. Wir schauen uns am Tag vorher schon mal die Strecke und das Ziel in Gondo an. Thomas hatte bisher immer zu großen Respekt vor den beiden Marathons an aufeinanderfolgenden Tagen. Diesmal ist es eine wahrscheinlich einmalige Gelegenheit, die Strecke mit nur einem Marathon zu erleben.

Wir wohnen in Brig, denn dort ist ja auch der Start (bzw. in Ried-Brig, wenige Kilometer von Brig entfernt). Frühstücken müssen wir ziemlich früh im Hotel und auch die Startnummer gibt es in der Früh vor dem Start. Wie immer gibt es ein T-Shirt (gleiche Farbe wie 2018) und ein Früchtebrot. Ich treffe Josianne, die extrem fit aussieht (wie fit sie wirklich ist, stelle ich dann am Ende fest). Außerdem sind Bernd und Sietske, die lustigen Schweizer Hellmut und Beat, sowie Andrea (kenne ich vom Salomon 4Trails) von der Partie. Auch Wendel, Matthias und Andreas sind wieder dabei. Ich vermisse aber die Kortykas Joachim und Sara, sowie Dieter, der eigentlich immer dabei war. Wie ich hinterher von Brigitte erfahre, war ihm der Aufwand für „nur einen“ Marathon zu groß.

Brigitte erläutert wie immer beim Briefing die Streckenmarkierung und die Streckenführung. Wir hören nur halb zu, weil wir das alles ja schon zig Mal gehört haben und so verpassen wir, wo genau die Strecke umgeleitet werden musste, weil der Weg weggespült wurde. Ich bekomm nur noch mit, dass es auf dem letzten Downhill sein soll.

Um 7:30 Uhr ist der Start. Da es keinen ersten Marathon gab, entfällt heute auch der „Jagdstart“. Das Wetter ist ganz brauchbar, leicht bewölkt und kühl, aber für die zweite Tageshälfte sind Regen und Gewitter angesagt. Es lohnt sich also, heute so bald wie möglich ins Ziel zu kommen. Während Josianne gleich aus der ersten Reihe startet, halte ich mich mit dem anderen Thomas eher am Ende des Feldes auf. Besser langsam starten.

Beim ersten Anstieg fangen wir auch sogleich das Überholen an. Thomas ist natürlich schneller als ich und entschwindet bis zum Schallberg aus meinem Blickfeld. Letztes Jahr bin ich mit Kerstin die Strecke bis zum Simplon-Pass gewandert und der Abschnitt mit den Brücken war wegen eines Steinsturzes gesperrt. Wie gut, dass er heute wieder frei ist. Die verbeulten Stangen des Geländers zeugen noch von den Ereignissen des letzten Jahres.

Ich dachte, bis zum Schallberg sind es 5 km und hatte Kerstin daher gesagt, dass es wohl eine Stunde dauern würde, bis ich dort ankomme. Tatsächlich sind es nur 3 km und ich bin auch gut unterwegs, sodass ich schon nach einer halben Stunde oben bin. Kerstin und Karen sind gerade noch rechtzeitig da, um ihre beiden Thomasse zu sehen.

Nach der ersten Versorgungsstelle, die wie immer alles anbietet, was das Läuferherz begehrt (sogar Cola gibt es hier schon) folgt die schöne Schleife des „Talwegs Ganter“. Im Hintergrund ist bereits die riesige Ganterbrücke zu erkennen, eine der größten und höchsten Brücken der Schweiz. Der Singletrail ist wunderschön und relativ eben, sodass ich gut laufen kann und auch als es unter der großen Ganterbrücke durchgeht und die kleine Straße in Richtung alter Ganterbrücke ansteigt und mich später auf das Niveau der neuen Brücke raufführt, kann ich fast alles durchlaufen. Heute geht es mir richtig gut!

Die nächste Versorgungsstelle direkt unter der neuen Brücke erreichen Andreas und Josianne lange vor mir, aber ich bin auch nicht so schlecht dabei. 45 Minuten vom Schallberg bis hierher, 9 km und etwa 600 Höhenmeter in 1:15, ich bin offenbar gut drauf. Kirsten, die auch gerade an der Versorgungsstelle ist, meint, sie würde hier nur wegen mir mitlaufen (sie hatte die Berichte auf meiner Homepage gelesen).

Im weiteren Verlauf geht es zunächst auf wunderschönen Waldwegen entlang, auf denen man perfekt laufen kann. Doch ich weiß, was gleich kommt: ein supersteiler Aufstieg durch den Wald zu Rothwald an der Simplon-Passstraße. Kirsten ist deutlich flotter unterwegs als ich und so verliere ich sie ziemlich bald aus den Augen (tatsächlich wird sie am Ende einen Vorsprung von 11 Minuten haben).

Irgendwann erreiche auch ich endlich die Straße. Nun geht es kurz neben der Straße her, an einem Brunnen vorbei, bei dem Kerstin mir ein Gel reicht und dann nochmal über einen kurzen und steilen Aufstieg zu Versorgungsstelle bei Rothwald. Hier wollte ich meine erste Cola haben, aber nachdem es davon genügend an der Versorgungsstelle gibt (neben Gels, Bouillon, Wasser, Iso, Orangen, Magnesium, Salzgebäck, und, und, und), nehme ich sie dort dankend an. Durch die kühle Witterung ist sie auch noch schön kalt. Richtung Simplonpass ziehen schon bedrohliche Wolken auf. Mal sehen, wie lange das noch gut geht.

Aber jetzt geht es erst mal 1,5 km bergab, erst auf einer kleinen Straße, dann auf einem Forstweg und schließlich auf einem Trail. In diesem Tal rauscht die Taferna als Gebirgsbach vom Simplon runter und hier trifft die Strecke vom Gondo Running (28 km) auf die Marathonstrecke. Ab hier werde ich permanent von Running-Teilnehmern überholt. Klar – die haben ja auch erst 7 km in den Beinen. Bei uns sind es schon 14,5 km.

Laufen ist nun kaum noch möglich. Die nächsten 4 km bis zum Simplonpass haben fast 500 Höhenmeter und wie jedes Mal ist es ein Kampf, hier hochzukommen. Für diesen Abschnitt hatte ich eigentlich extra eine kleine Trinkflasche mitgenommen, denn es gibt unterwegs kaum Möglichkeiten, um Wasser zu fassen (die Taferna ist dafür ein zu großer und reißender Fluss). Aber heute ist es so kühl und es geht mir so gut, dass ich darauf verzichten kann.

Kerstin und Karen sind natürlich schon ganz lange auf der Passhöhe, als alle Läufer nach und nach hochkommen: Elena, die später dritte Frau wird, Matthias, Josianne, die heute ein sensationelles Rennen macht, mein Namensvetter Thomas, der die angebotene Jacke noch ausschlägt, Kirsten und unter dem lauten Glockengeläut der Freunde und Familie des Lokalmatadors und mehrmaligen Siegers Werner Jordan komme auch ich ziemlich k.o. oben an. Da kommt die Versorgungsstelle gerade recht. Mittlerweile sind Kerstin und ich bei allen bekannt und jeder freut sich, uns zu sehen. Und ich freue mich über die gewohnt tolle Versorgung, die ihresgleichen sucht. Was für ein Unterschied zum Swiss Alpine vor 2 Wochen! Da gab es außer Wasser und Iso höchstens mal ab und zu eine Bouillon und Cola gab es erst bei der letzten Versorgungsstelle (ganz zu schweigen von Magnesium oder Salzgebäck).

Außerdem bin ich begeistert darüber, dass ich es bis hierher in 3 Stunden geschafft habe. Es ist 10:33 Uhr, das Zeitlimit liegt bei 12:00 Uhr, ich bin also super unterwegs und deutlich schneller als erhofft. Neben dem besseren Trainingszustand merke ich eben doch, dass der erste Marathon fehlt. Etwa 1400 Höhenmeter sind geschafft. Noch regnet es nicht, aber es sind schon sehr viele dunkle Wolken am Himmel.

Der nächste Abschnitt ist einer der schönsten hier: es geht meist sanft bergab auf wunderschönen Trails, immer in Sichtweite zur Passstraße, sodass Kerstin viele Möglichkeiten hat, mich abzupassen. Sogar zum „Alten Spittel“ kommt sie runter gefahren, das ist ein ehemaliges Hospiz, von Kaspar Stockalper um 1650 gebaut, als der Weg über den Simplonpass noch mit Maultieren auf Saumpfaden verlief. Mittlerweile wird das Gebäude vom Militär genutzt.

Vorbei an den Kühen, die gemütlich neben dem Weg wiederkäuen und durch eine schöne Parklandschaft erreichen wir bald die nächste Versorgungsstelle bei Engeloch. 23 km sind geschafft, also schon mehr als die Hälfte. Ich bin immer noch gut drauf und noch hält das Wetter.

Bei Engeloch gibt es einen kurzen steilen Abstieg, bei dem man fast klettern muss. Aber danach ist wieder alles wunderbar laufbar. Ab und zu tröpfelt es jetzt schon und ich frage mich, ob Kerstin noch lange das Cabrioverdeck offen lassen kann. Als ich schließlich nach 4:20 Stunden in Simplon Dorf ankomme, fängt es so langsam das Regnen an.

Auf den 3 km von Simplon Dorf bis Gabi kann ich bereits einen sorgenvollen Blick in Richtung Furggu werfen (dort muss ich dann gleich hoch): dunkle, schwere Wolken türmen sich dort und verheißen nichts Gutes.

Aber erst mal geht es noch 10 Minuten relativ steil bergab bis Gabi, wo es bereits so stark regnet (und kalt ist), dass ich die Regenjacke anziehe. 30 km geschafft. Es ist kurz nach 12 Uhr (jetzt ist Cutoff auf dem Simplonpass!!). Karen hat hier ihren Thomas verpasst und so kann sie mir in die Jacke helfen. Auch hier wollte ich eigentlich die kleine Trinkflasche auffüllen, aber angesichts der Witterung verzichte ich darauf.

Jetzt geht es nämlich los zum letzten und gleichzeitig schwierigsten Anstieg der Strecke: der Weg zum Furggu ist nur 3 km lang, aber es sind 700 Höhenmeter zu überwinden. In der Regel benötige ich dafür mindestens eine Stunde. Ich stapfe also los und kämpfe mich hoch.

Auf halber Strecke steht eine kleine Kapelle, bei der heute liebe Menschen eine private Versorgung organisiert haben. Es gibt zwar „nur“ Wasser und Tee, das ist hier aber hochwillkommen und ich nutze die Gelegenheit, mich fotografieren zu lassen.

Und weiter geht’s. Bis oben benötige ich insgesamt 55 Minuten, bin also noch immer gut in der Zeit. Oben regnet es in Strömen (deshalb leider kein Bild). An der Versorgungsstelle ist eine kleine Party. Die Betreiber haben einen Schirm aufgestellt, unter dem wir Läufer uns versorgen können. Wenn ich wollte, könnte ich sogar Bier bekommen.

Ich will aber nicht. Bouillon, Cola und Wasser sind jetzt besser. Und dann starte ich in den strömenden Regen auf den letzten Downhill, der in meinen Augen zu den schönsten und interessantesten Strecken gehört, die man in den Alpen laufen kann. Durch den vielen Regen ist nun alles glitschig und aufgeweicht und ich muss verdammt aufpassen. Wie gut, dass ich Stecken dabei habe!

Die ganze Zeit warte ich darauf, dass die angesprochene Umleitung kommt, aber bislang verläuft die Strecke auf den mir bekannten Wegen. Nach einer Abzweigung, die man leicht verpassen kann (tatsächlich ist Bernd hier falsch gelaufen), kommt Nebel auf und mit den schmalen Säumerpfaden, auf denen ich jetzt laufe, sieht alles noch mystischer aus als sonst. Eine Flussüberquerung wurde entschärft: musste man früher einen beherzten Sprung auf einen großen Felsen in der Flussmitte machen, um drüberzukommen (besonders spannend, wenn der Felsen wie heute durch den vielen Regen überspült ist), hat man jetzt einen Holzsteg darüber gebaut. Ich sehe immer wieder einen Läufer (oder eine Läuferin?) in einigem Abstand vor mir. Tatsächlich ist es Dagmar, die ich etwas später überhole.

An einer kniffligen Abzweigung kommt plötzlich eine andere Läuferin von rechts (der Weg geht nach links). Sie ist stinksauer, weil sie eine längere Strecke in die falsche Richtung gelaufen ist und umkehren musste, wodurch sie wahrscheinlich eine sehr gute Platzierung in ihrer Altersklasse verloren hat.

Nach der letzten Versorgungsstelle (4 km to go) und einer sehr fotogenen Brücke über den Fluss kommt endlich die Umleitung: statt durch den Wald an der rechten Hangseite geht es durch einen privaten Garten, über eine weitere Brücke und kurz steil bergauf zur Straße nach Zwischbergen, auf der wir anschließend zwei Kilometer laufen müssen.

Und dann kommen nochmal ein paar knifflige Stellen: wir kürzen die Serpentinen der Straße ab, indem wir auf großen Steintreppen runter laufen. Die sind aber nass und glitschig und obwohl ich weiß, dass ich hier aufpassen muss und ja sogar Stecken dabei habe, rutsche ich einmal aus und setze mich hin. Es ist nichts weiter passiert, aber danach bin ich so verunsichert, dass ich nur noch gehen kann. Und tatsächlich werde ich hier nochmal von zwei Läufern überholt. Seit dem Simplonpass bin ich nicht mehr überholt worden und nun das!

In Gondo warten Kerstin und Karen schon ganz lange auf uns. Matthias schafft es in knapp unter 6 Stunden, verletzt sich bei einem Sturz aber so sehr an der Stirn, dass er später ins Krankenhaus muss, um die Wunde nähen zu lassen. Josianne ist heute unglaublich gut und erreicht das Ziel nach 6:02 Stunden. Damit wird sie 6. Frau insgesamt und 3. ihrer Altersklasse. Eine phantastische Leistung! Mein Namensvetter kommt nach sehr guten 6:30 ins Ziel. Auch er musste einen Sturz wegstecken.

Und schließlich komme ich nach 7:12 in Gondo an. Das ist immerhin die drittbeste Zeit, die ich hier jemals gelaufen bin (und ich bin schon zum achten Mal dabei)! Das ist gut für Gesamtplatz 50 (von 65 Männern) und Rang 5 in meiner Altersklasse (von 11). Es wäre sogar noch der 4. Platz geworden, wäre ich nicht am Schluss noch überholt worden (der Hubert, wie er heißt, war dann 40 Sekunden vor mir im Ziel).

Bernd kommt nach 7:27 an, hat aber wegen seines Verlaufens 3 km mehr auf der Uhr. Wahrscheinlich hätte er mich sonst auch noch überholt. Sietske wird diesmal nicht Letzte, sondern kommt in 8:25 auf Platz 20 bei den Frauen. 2 Frauen sind langsamer als sie, eine davon ist Andrea, die in 8:33 zusammen mit Hellmut und Beat ins Ziel kommt.

Alle sind pitschenass! Es regnet wie aus Eimern. Die letzte Frau und der letzte Mann kommen erst nach 9:35 beim Festzelt an. Damit waren sie sogar noch langsamer als ich 2018, wo ich 9:22 gebraucht habe. Heute war ich über 2 Stunden schneller und entsprechend glücklich und zufrieden bin ich. Damit hab ich genug Zeit, eine schöne warme Dusche zu genießen (im Umkleideraum treffe ich nochmal Kirsten, die das Ziel nach 7:01 erreicht hat) und danach im Festzelt eine Bratwurst mit Pommes zu essen (und ein – nein, zwei Bier zu trinken).

Ab 16:15 Uhr erfolgt die Siegerehrung, bei der sich jeder Finisher auch die besondere Gondo-Medaille abholen kann: einen runden Bergkäse. Andreas Guyer hat mit sagenhaften 4:45 das Kunststück fertiggebracht, zweiter seiner Altersklasse und 6. Insgesamt zu werden. Dafür muss er sich auch im strömenden Regen auf das Siegertreppchen stellen.

Sieger wurden übrigens der Österreicher Niklas Kroehn in 4:12:44 und die Schweizerin Manuela Burgener in 5:15:00. Für 42 km und 2200 Höhenmeter sind das unfassbare Zeiten.

Nach der Siegerehrung fahren wir im Regen über den Pass zurück nach Brig, wo wir mit der Streckenchefin Brigitte und Karen und Thomas den Abend bei einem guten Essen ausklingen lassen. Es war wieder ein denkwürdiger Tag und ungeachtet des Regens am Ende wieder ein toller Berglauf, von dem ich immer wieder sagen muss: besser geht’s nicht! Bis zum nächsten Jahr!