Gondo Running 06.08.2017

Am ersten Wochenende im August gibt es eigentlich immer einen Pflichttermin für mich: den Gondo-Marathon. Allerdings habe ich dieses Jahr einen enormen Trainingsrückstand. Eine Woche nach dem Gondo-Marathon im letzten Jahr habe ich einen heftigen Bandscheibenvorfall erlitten, der trotz einer OP im September mit anschließender Physiotherapie offenbar bleibende Schäden an den Nerven hinterlassen hat. Seitdem behindern mich Taubheit und mangelhafte Kraft im linken Bein und das ist auch der Grund, warum es dieses Jahr noch nichts von mir zu lesen gab. Meine ersten Laufversuche im Januar/Februar haben erst mal zu erheblichen Knieproblemen geführt, die ich erst durch einen Neustart und gaaaanz langsamer Aufbauarbeit in den Griff bekommen habe. Zwei 10 km Wettkämpfe waren das Einzige, was dieses Jahr bisher möglich war.

Gondo-Marathon? Zwei Marathons mit 2000, bzw. 2200 Höhenmetern an zwei aufeinanderfolgenden Tagen? Völlig ausgeschlossen! Ich bin gerade mal so weit, dass ich im Training einmal 20 km und dreimal 17 km über den Moritzberg gelaufen bin (das sind jeweils 340 Höhenmeter) und jedes Mal am Schluss riesige Probleme wegen der mangelhaften Fitness bekommen hab. Allerdings gibt es am zweiten Tag in Gondo noch den „Gondo Running“ Wettbewerb: 28 km mit 1400 Hm, die zum großen Teil auf der gleichen Strecke wie der Marathon verlaufen. Die ersten 10 km fast nur bergauf und dann 18 km sanft bergab. In einem Anflug von Größenwahn melde ich mich an. Ich denke mir: die ersten 10 km wandere ich halt hoch, dann sollte genügend Kraft für die 18 km bergab übrig sein. Ob diese Rechnung aufgeht?

Frohen Mutes fahren wir also nach Brig (dem Marathonziel am Samstag), übernachten in Sichtweite des beeindruckenden Stockalperschlosses und kommen rechtzeitig am Samstag zum Marathonziel, um alte Bekannte wie Joachim und Sara Kortyka zu begrüßen. Joachim hat bei wunderschönem, aber auch sehr heißem Wetter bereits den ersten Marathontag geschafft. Sara musste leider am Simplonpass aufgeben, heute war einfach nicht ihr Tag. Auch auf andere Bekannte warten wir vergebens: Hellmut muss am Schratt mit Rückenproblemen aufgeben, Dieter tritt wegen einer Magenverstimmung gar nicht erst an und Wendel ist heute auch nicht dabei; er war auch verletzt und traut sich wie ich nur den Gondo Running am Sonntag zu.

Wegen des heißen Wetters haben alle Finisher länger gebraucht als sonst und so beschließt die Rennleiterin Brigitte, dass die Langsamsten am Sonntag eine Stunde früher starten dürfen (also schon um 6:30 Uhr), damit sie mehr Zeit haben, die anspruchsvollere zweite Etappe zu schaffen.

Wir stehen also schon um 5:30 Uhr auf und fahren zum Startbereich in Ried-Brig, wo es in der Turnhalle des Schulhauses Frühstück gibt. Um 6:30 starten dann die ersten Marathonläufer in einen langen Tag. Es ist stark bewölkt und bei weitem nicht so warm wie am Samstag – eigentlich wäre der frühe Start also nicht nötig gewesen, aber die Läuferschar ist froh, nun mehr Zeit zu haben.

Um 7:00 Uhr dann der bekannte Jagdstart der Erstplatzierten vom Vortag: der erste Mann (das ist der Seriensieger und Lokalmatador Werner Jordan) und die erste Frau gehen als erste ins Rennen, die weiteren Läufer folgen im Abstand wie sie am Vortag ins Ziel gekommen waren. Angelika ist Gesamt-Zweite und führt selbstverständlich ihre Altersklasse an.

Um 7:30 Uhr starten dann alle restlichen Marathonläufer. Dieter ist heute auch wieder mit dabei, natürlich außer Konkurrenz, da er am ersten Tag nicht gestartet ist.

So langsam füllt sich dann der Platz mit den Startern des Gondo Running, zu denen auch ich heute gehöre. Unser Start ist um 8:00 Uhr. Brigitte steigt auf das Schuppendach, um sich Gehör zu verschaffen und erläutert den Streckenverlauf und die Markierungen.

Das Höhenprofil ist relativ simpel: erst geht es hoch zum Schallberg, dann verlassen wir die Marathonstrecke und laufen runter zur Taferna (das ist der Fluss, der vom Simplonpass runterkommt) und folgen dieser die ganze Strecke rauf zum Simplon, wobei wir etwa bei Kilometer 8 wieder auf die Marathonstrecke stoßen. Die 4 km vom Schallberg bis zur Vereinigung beider Strecken ist der einzige Streckenabschnitt, den ich noch nicht kenne. Denn ab dem Simplon geht es auf den bekannten wunderbaren Wegen runter über Simplon-Dorf bis nach Gabi und von dort darf ich diesmal direkt durch die Gondoschlucht ins Ziel laufen, während die Marathonläufer noch mal 700 Hm zum Furggu hinaufmüssen, um dann durch das Zwischbergental runter zu laufen.

Eine Helferin weist uns in Ried-Brig den Weg nach oben. Wendel ist mir bereits davon gestürmt, bleibt aber in Sichtweite.

Leider ist der Himmel total bewölkt, aber dafür ist es schön kühl. Die Strecke zaubert wie immer ein Lächeln auf mein Gesicht, das ansonsten wahrscheinlich recht angestrengt aussieht, denn es geht sehr steil aufwärts und meine Kondition lässt doch sehr zu wünschen übrig. Ich lass mich aber nicht stressen, bin fast am Ende des Läuferfeldes und mache mal etwas mehr Fotos als sonst. Kaum zu glauben, dass dieser Stockalperweg ab dem 17. Jahrhundert die einzige Verbindung über den Simplonpass war.

Am Schallberg warten Kerstin und Sara auf uns. Sara ist heute nicht mehr gestartet und fährt das erste Stück mit Kerstin mit. Kaum oben angekommen, falle ich in den Laufschritt, um Wendel wieder einzuholen. Ein paar hundert Meter weiter ist die erste Versorgungsstelle. Dort hole ich Wendel ein und dort trennen sich auch Marathon- und Runningstrecke.

Es folgt ein toller Downhill auf einem Single Trail, der es in sich hat. Ich gehe es behutsam an, um meine Knie nicht zu überlasten (bin sowieso gespannt, wie die das heute überstehen) und Wendel läuft mir sofort wieder davon; ich bekomme ihn gerade noch knapp aufs Bild. Unten angekommen, queren wir die Taferna auf einer schönen Holzbrücke und dann beginnt der lange Aufstieg. Das Wanderschild sagt 2:50 Stunden bis zum Simplonpass. Na viel schneller werden wir wahrscheinlich auch nicht sein (Doch! Wir schaffen es sogar in eineinhalb Stunden!).

Was für eine wunderbare Strecke! Stetig bergauf, immer hart an der reißenden Taferna entlang. Bei Kilometer 6 die nächste Versorgungsstelle, danach wieder steil bergauf. Immer wieder müssen wir die Seite wechseln. Alte Holzbrücken weisen uns den Weg.

Kerstin steht schon längst mit Sara am Simplonpass im Nebel und sieht die schnellsten Marathonis und Gondo Runners dort ankommen, unter anderen Andreas, Beat, Angelika, Esther und schließlich Joachim, der heute einen phänomenalen Lauf hat (der aber auch früher gestartet ist).

Ich stapfe derweil unverdrossen mit Wendel bergan, als plötzlich von links ein schneller Läufer durchschießt: wir sind an der Stelle, wo wir wieder auf die Marathonstrecke stoßen. Die langsameren Läufer haben ja einen Vorsprung von eineinhalb Stunden und sind schon durch. Was jetzt kommt, sind die schnelleren Läufer vom „Normalstart“, die nur 30 Minuten vor uns losgelaufen sind, jetzt aber schon 8 km und einige Höhenmeter mehr in den Beinen haben als wir. Wir kommen jetzt auch in den Nebel und nachdem der Weg für kurze Zeit etwas flacher wird, beginne ich mit kleinen Schritten zu joggen. Wendel kann da nicht mithalten und verabschiedet sich. Ich sag ihm aber, dass er mich bestimmt wieder einholt.

Auf dem weiteren Weg nach oben bin ich relativ alleine. Einmal überholt mich eine schnelle Läuferin im Laufschritt (im steilen Gelände!) und dann noch mal zwei schnelle Geher. Und dann sehe ich schon Kerstin im Nebel auftauchen.

Geschafft! Nahezu sämtliche Höhenmeter des heutigen Tages hab ich hinter mich gebracht. Die 10 Kilometer bis hierher haben aber auch 2:20 gedauert. Ich bin trotzdem ziemlich zufrieden und fühle mich auch noch recht gut.

An der Versorgungsstelle mit Blick auf den charakteristischen Steinadler flöße ich mir alles ein, was geht, denn ab jetzt will ich ja Laufen. Wendel holt mich hier übrigens wieder ein. Dann geht es im Laufschritt los (aber sehr langsam).

Diese wundervolle Strecke ist mir ja bestens bekannt. Es geht weitgehend sanft bergab, sodass ich wunderbar laufen kann. Der Nebel verzieht sich zusehends und die Sonne kommt raus. Herz was willst Du mehr! Am prägnantem Gebäude des „Alten Spittel“ animiert Kerstin eine Gruppe Pfadfinder, mich mit der La Ola Welle anzutreiben. Es läuft erstaunlich gut bei mir. Lediglich die wenigen kurzen Anstiege muss ich gehen, ansonsten wird alles gelaufen.

Nach der Versorgungsstelle bei Kilometer 15 (3 Stunden bis hierher) eine schwierige Steilstufe, an der ich mir recht schwertue, da ich Angst um meine Knie hab. Aber auch da komm ich gut runter.

Bis zum nächsten Treffpunkt mit Kerstin kann ich wieder laufen. Plötzlich – Überraschung! – überholt mich Edgar. Seine Angelika ist natürlich schon über alle Berge. Als ich dann Kerstin und Sara treffe, wartet dort auch José mit Familie. Seine Frau Esther, die den Marathon läuft, kommt kurz vor mir durch. Wendel ist mir auf den Fersen und auch Stephie, mit der ich letztes Jahr gemeinsam ins Ziel gelaufen bin, ist hier nur noch eine Minute hinter mir. Kurze Zeit später bleib ich stehen, um ein gutes Bild von ihr zu machen.

Auf dem weiteren Verlauf bis Simplon-Dorf schaffe ich es tatsächlich, an Stephie dranzubleiben. Die Erfrischung im Dorfbrunnen hat schon Tradition, denn mittlerweile ist es doch gut warm geworden. Ein herrliches Wetter!

An der Versorgungsstelle noch ein letztes gemeinsames Bild von Stephie und mir und dann ziehen wir weiter nach Gabi.

Ich komme gerade rechtzeitig in Gabi an, um Stephie noch ein „viel Spaß“ hinterher zu rufen. Sie muss jetzt nämlich rauf auf das Furggu und hat insgesamt noch 12 km vor sich, während ich die letzten 6 km „gemütlich“ durch die Gondoschlucht runter laufen darf (dass es tatsächlich noch über 7 km sind, weiß ich hier noch nicht).

Die weitere Strecke kenne ich nur in umgekehrter Richtung (erster Tag des Gondo-Marathons). Sie andersrum zu laufen ist auch mal ganz reizvoll. Wegen des engen Tals, durch das sich ja auch noch die Straße und die Diveria winden, wechselt der Stockalperweg immer zwischen dem Berghang, diversen Stahlrampen und Stahltreppen und dem Dach der Galerien hin und her. Selten war ich über ein Kilometerschild so enttäuscht wie über das 25er Schild, erkenne ich doch hier, dass die Strecke einen Kilometer länger ist, denn meine Uhr zeigt 26 km an. Bei Gabi hat es noch genau gestimmt und auf einer Strecke von 4 km kann das GPS der Uhr nicht um einen ganzen Kilometer falsch gehen, auch wenn wir hier in einem sehr engen Tal sind (glaube ich jedenfalls nicht). Da heißt es: Zähne zusammenbeißen, denn es ist jetzt doch schon verdammt anstrengend und ich möchte nur noch ankommen.

Es überrascht mich, dass das Gondo Fort, ein Tunnel aus dem zweiten Weltkrieg, so rum leicht bergab geht und ich fotografiere das Geschütz am Eingang mal von der anderen Seite aus. Danach ein sehr unwegsamer Streckenabschnitt, auf dem zu allem Übel noch Steinschlaggefahr herrscht und durch den ich mehr stolpere als dass ich gehe. Ich bin einfach fix und fertig. Als ich dann in der Ferne Gondo erblicke, bin ich richtig froh. Davor sind aber noch mal ein steiler Anstieg und ein noch steilerer Abstieg zu bewältigen.

Überglücklich komme ich nach 5:05 Stunden ins Ziel. Eigentlich wollte ich ja unter 5 Stunden bleiben, aber nachdem die Strecke einen Kilometer länger war …

Wendel ist 4 Minuten nach mir im Ziel und ziemlich unzufrieden, aber er hat nun mal große Probleme mit dem Fußgelenk. Und kurz drauf läuft auch Angelika als zweite Frau im Doppelmarathon ein. Was für eine Leistung!

Ich bin völlig fertig und muss mich erst mal setzen. Kerstin und ich ergattern zwei Stühle in der ersten Reihe und so können wir bequem weiteren Finishern applaudieren.

Während die Siegerehrung für den Gondo Running läuft, bei der wieder viel Käse verteilt wird, gehe ich Duschen. Die Duschen im Schulhaus sind diesmal herrlich warm (hier hab ich schon mal eiskalt geduscht) und ich habe prominente Begleitung im Duschraum: der Gesamtsieger des Doppelmarathons, Werner Jordan ist auch da.

Wieder im Zielbereich, empfangen wir Beat, Joachim (der das Kunststück fertiggebracht hat, den zweiten Tag schneller zu laufen als den ersten und Dritter seiner Altersklasse wird), Edgar und schließlich auch Stephie: sie hat eineinhalb Stunden länger gebraucht als ich, aber klar – allein der Aufstieg auf das Furggu kostet eine Stunde! Und der anschließende Downhill ist viel schwieriger als mein gemütliches Joggen durch die Gondoschlucht. Stephie ist jedenfalls auch wieder restlos begeistert und völlig zufrieden.

Ich bin so k.o., dass ich diesmal nicht mehr die Siegerehrung abwarten möchte. Schließlich müssen wir noch über den Simplonpass zurück nach Brig in unser Hotel fahren. Schweren Herzens verabschieden wir uns von allen und fahren zurück. Ich bin sehr zufrieden, denn meine Trainingsleistungen sahen gar nicht danach aus, dass ich sowas schaffen würde. Die Knie haben es auch gut überstanden, also alles bestens. Ich bin übrigens mit großem Abstand Letzter meiner Altersklasse geworden und insgesamt kamen nur noch 5 Läufer nach mir. Der Sieger ist die 29 km mit 1400 Hm in 2:39:25 gelaufen. Unglaublich!