Gondo-Event 03.08. - 04.08.2013

Gondo hat es mir wirklich angetan. Ich bin das dritte Mal in Folge dabei und seit meiner ersten Teilnahme im Jahr 2011 ist das mein Favorit für die schönste Laufveranstaltung, die es gibt. Da ich letztes Jahr bereits sehr ausführlich über diesen Lauf berichtet habe (siehe Gondo-Event 2012), werde ich mich diesmal etwas kürzer fassen und die Läufe in einzelne Abschnitte einteilen.

Das Gondo-Event ist ein Doppel-Bergmarathon am Simplon-Pass in der Schweiz. Gondo selbst ist ein sehr kleiner Ort an der Schweiz-italienischen Grenze, der im Oktober 2000 durch einen verheerenden Erdrutsch fast von der Landkarte getilgt wurde. 13 Menschen verloren damals ihr Leben. Im Gedenken an dieses Ereignis und dem danach folgenden Wiederaufbau findet seit 2001 immer am ersten Augustwochenende ein Doppelmarathon statt. Am ersten Tag läuft man von Gondo nach Brig über den Simplon- und den Bistinenpass und am zweiten Tag von Brig zurück nach Gondo über den Simplon-Pass und das Furggu.

Die Veranstaltung ist klein und familiär. Man trifft jedes Jahr viele bekannte Gesichter. Trotz vieler Wiederholungstäter kämpft das Organisationsteam mit einem schleichenden Teilnehmerschwund, denn mittlerweile ist die Konkurrenz groß und man kann praktisch jedes Wochenende an einem tollen Traillauf in der Schweiz oder in Österreich teilnehmen. Sinkende Teilnehmerzahlen hat Gondo aber nicht verdient, denn das ist in meinen Augen immer noch die beste Laufveranstaltung dieser Art in der Schweiz. 81 Teilnehmer haben sich dieses Jahr zum Doppelmarathon angemeldet und sie lauschen zunächst mal den Ausführungen von OK-Chefin Brigitte, die die Strecke und die Markierungen kurz erklärt.

Gondo – Gabi:
Der erste Streckenabschnitt geht stetig bergauf durch die enge Gondoschlucht auf dem Stockalperweg, immer hart neben, unter oder über der Passstraße. Über eine Stahltreppe gelangt man in einen Militärstollen aus dem zweiten Weltkrieg und muss am Eingang aufpassen, sich nicht am dort aufgestellten Geschütz zu stoßen. Die Strecke ist wild und Trailrunning pur. Bis Gabi sind es nur 7 km, aber bereits 600 Höhenmeter. Mehrmals treffen wir unseren Super-Fan Kerstin.

Gabi – Simplon-Dorf:
Nach der Querung des Passstraße geht es die nächsten 2 km weiter bergauf, erst auf matschigen Wiesenwegen, dann über eine lange Treppe auf einen schmalen Asphaltweg und schließlich auf der Straße durch das kleine Dorf, wo auch eine Versorgungsstelle aufgebaut ist.

Simplon-Dorf – Simplonpass:
Jetzt sind es noch 10 km bis zum Simplonpass auf sehr abwechslungsreichen Wegen. Wir kommen an der Alten Kaserne vorbei, wo ein Zeltlager aufgebaut ist und wieder mal unser Super-Fan Kerstin auf uns wartet. Kurz vor der Versorgungsstelle kniet Streckenchefin Brigitte und macht persönlich Fotos von den ankommenden Läufern. Am Simplonpass ist nach 18 km und ca. 1200 Hm das erste Zeitlimit (4 Stunden). Mit 2:49 liege ich aber sehr gut in der Zeit.

Simplonpass – Bistinenpass:
Am Simplonpass muss man sich gut versorgen, denn bis zum Bistinenpass geht es noch gut bergauf und auf den nächsten 5 km gibt es höchstens Wasser aus den diversen Bachläufen am Weg. Die Umgebung wird immer karger, dafür ist der Blick ins Tal phantastisch. Wir haben heute ein Traumwetter; so gut habe ich es hier oben noch nie erlebt. Hatte ich bis zum Simplonpass mehr oder weniger mit der Fitness zu kämpfen, so geht es mir jetzt ziemlich gut und ich kann einen nach dem anderen Läufer vor mir überholen. Flachere Passagen laufe ich konsequent, bergab sowieso. Zum ersten Mal bei meinen 3 Teilnahmen kommen wir sogar an einem Schneefeld vorbei.

Bistinenpass – Brig:
Den Bistinenpass erreiche ich nach 4:05 (23 km und 1800 Hm bis hierher!). Was ich sehr gut finde: an jeder Versorgungsstelle wird jeder Läufer abgehakt. So weiß das OK immer auf 5 km genau, wo sich wer befindet. Hier oben ist sogar eine Ärztin, die jeden Läufer nach seinem Befinden fragt.

Danke, mir geht’s ganz gut. Allerdings weiß ich, was jetzt kommt: ein endlos langer Abstieg auf Forstwegen, zum Teil richtig steil. Am Anfang läuft das noch ganz gut, aber der Abstieg raubt mir zusehends meine Kräfte und schließlich bin ich gezwungen, einige Gehpausen einzulegen. Schade: einige, die ich beim Aufstieg überholt hatte, holen mich nun wieder ein. Na ja, so schlimm ist das auch nicht. Am Schratt rufe ich kurz Kerstin an und sage ihr, dass sie noch etwas auf mich warten muss. Hier ist das nächste Zeitlimit mit 7 Stunden. Ich schaffe es immerhin in 5:40.

Die Durchquerung der Saltina fällt dieses Jahr leider aus, da die Feuerwehr der Meinung ist, das sei heute zu gefährlich. Sehr schade, denn das ist wirklich ein Highlight des ersten Tages und die Erfrischung hätte mir sicher gut getan. So laufe ich über die Brücke anstatt durchs Wasser und treffe kurze Zeit später auf Brigitte, die ziemlich sauer ist und zwar zu Recht: irgendein Idiot hat das Abzweigungsschild abmontiert und zusätzlich die Markierungsbänder auf einen falschen Weg gesetzt. Erstaunlich, dass noch niemand falsch gelaufen ist, aber es sind eben viele Wiederholungstäter da und diese Abzweigung vergisst niemand, der einmal dort gelaufen ist: supersteil geht es über eine sandige Moräne hoch nach Brig. Das fällt jetzt bei Kilometer 41 richtig schwer, die Sonne knallt in den Hang und ich kämpfe mich in die Höhe, dem Kollaps nahe. Oben an der Straße angekommen geht es weiter leicht bergauf, an Laufen ist gar nicht mehr zu denken. Erst die letzten 500 Meter, die leicht bergab gehen, kann ich noch laufen. Immerhin: laufend ins Ziel gekommen, nach 6:52:20, schon wieder 8 Minuten langsamer als im Vorjahr und Platz 13 von 21 in meiner Altersklasse.

Fast alle Bekannte sind schon vor mir da. Nur Joachim und Sara kommen später an. Da bin ich schon geduscht und ruh mich aus.

Übernachtet wird wie jedes Jahr im Luftschutzbunker unterhalb der Schule. Bei einem Abendessen in der Turnhalle der Schule lassen wir den Tag ausklingen.

2. Tag, Brig – Ganter:
Die Nacht war ruhig und in der Früh sind alle so leise, dass ich doch glatt fast verschlafe. Etwas gestresst stehe ich 10 vor 6:00 auf und gehe nach einer Katzenwäsche zu einem schnellen Frühstück in die Turnhalle. Fast alle sind schon halb fertig. Das Wetter verspricht wieder sehr gut zu werden, auch wenn Brigitte am Vortag etwas von Gewittern am Vormittag erzählt hat.

Am zweiten Tag gibt es einen Jagdstart: zunächst starten um 7:00 Uhr die ersten vom 1. Tag und in der Folge starten die jeweils nächsten Läufer in dem Abstand, mit dem sie am 1. Tag ins Ziel gekommen sind. Um 7:30 schließlich darf dann der Rest loslaufen. Damit stellt man sicher, dass der erste Läufer, der am 2. Tag ins Ziel kommt, auch tatsächlich der erste im Gesamtklassement ist. Aber 5 Minuten vor den ersten dürfen die 3 Läufer starten, die am Vortag das Zeitlimit nicht geschafft haben (Sara, Rudi und Jutta). Damit haben sie 35 Minuten mehr Zeit, um am 2. Tag ins Ziel zu kommen. Und gewertet werden sie natürlich trotzdem.

Wir „Normalos“ folgen also um 7:30 und klettern auf abenteuerlichen Steigen in die Höhe und in das Gantertal. Einmal stolpern wir fast über ein großes Gerippe mitten auf dem Weg. Ein vergessener Läufer vom Vorjahr? Nein, eher doch ein abgestürztes Schaf. Gruselig! Es kommt so plötzlich, dass ich ganz vergesse ein Foto zu machen – schade!

Die neue Ganterbrücke spannt sich hoch über unseren Köpfen über das Tal. Die beeindruckende Betonkonstruktion ist die höchste Talbrücke der Schweiz. Nachdem wir die wesentlich malerischere alte Ganterbrücke passiert haben, müssen wir noch bis auf die Höhe der neuen Brücke hoch, um an unsere zweite Versorgungsstelle zu gelangen.

Ganter – Rothwald:
Bis Rothwald steigt der Weg weiter an. Nach 1:50 hole ich Sara ein, kurze Zeit später komme ich auch an Jutta vorbei, die ziemlich entkräftet auf einem Felsen sitzt. Mir geht es leidlich gut, aber vor mir laufen ein recht kräftig gebauter Walker, ein über 70-jähriger Läufer, der seit 2005 jedes Jahr dabei war und eine jüngere Schweizerin. Sie sind nicht schnell, aber ich schaffe es einfach nicht, sie zu überholen. Bin ich mal kurzzeitig vorne, werde ich in wenigen Minuten wieder von ihnen überholt. Unglaublich! Die können das doch unmöglich so bis zum Schluss durchziehen – oder?

Rothwald ist ein Gasthof an der Passstraße und dort ist unsere nächste Versorgungsstelle. 13 km und 800 Höhenmeter sind es bis hierher, ich brauche 2:14 dafür. Das scheint heute nicht mein bester Tag zu werden.

Rothwald – Simplonpass:
Ja, auch heute müssen wir über den Simplonpass. Aber erst mal geht es abwärts an die Taferna, dem Fluss, der das Passtal hinab stürzt. Unten angekommen (nur 2 km bergab), startet der lange Marsch hoch zum Pass. Es sind knappe 5 km, die immer steiler werden. Unten muss ich mich durch eine Gruppe Pferde regelrecht durchboxen, die den Weg komplett versperren. Das wär was für Kati gewesen…

Am Pass angekommen heißt es erst mal kurz verschnaufen. Das Zeitlimit von 4:30 gut unterboten, aber immerhin 3:18 für die knapp 1500 Höhenmeter gebraucht. Ich hab tatsächlich Dieter wieder eingeholt. Wir liegen nach dem ersten Tag direkt nacheinander in der Wertung (gleiche Altersklasse). Er war am Vortag 7 Minuten schneller. Bergab ist er wesentlich stärker als ich, aber bergauf hole ich ihn immer wieder ein. Heute sagt er: Deine Chance kommt am Furggu! Das ist der letzte steile Aufstieg heute.

Simplonpass – Gabi:
Und wie wenn ich eine Motivationsspritze gebraucht hätte, läuft es auf einmal phantastisch für mich und ich lass mich jetzt, wo es auf der gleichen Strecke vom Vortag schön sachte bergab geht, von Dieter nicht mehr abhängen. Das Wetter ist super, es läuft prima und in Simplon-Dorf hab ich mit Christian und Simone bereits weitere Läufer vor mir eingeholt. Aber Dieter ist mir weiter auf den Fersen. Das entwickelt sich hier zu einem richtigen Wettkampf. Bis Gabi ändert sich erst mal nichts.

Gabi – Furggu:
Aber jetzt kommt „meine Chance“: der Aufstieg auf das Furggu ist 3 km lang und 700 Hm hoch. In der Regel braucht man dafür mindestens eine Stunde. Bei meiner ersten Teilnahme habe ich es in sagenhaften 45 Minuten geschafft, letztes Jahr hat es schon 55 Minuten gedauert. Aber heute bin ich gut drauf und die Aussicht, noch einen Platz gut zu machen, beflügelt mich. In 50 Minuten heize ich dieses sausteile Stück hoch und fühle mich oben an der Versorgungsstelle trotzdem noch ganz gut. Von Dieter und Christian ist schon lange nichts mehr zu sehen.

Furggu – Ziel in Gondo:
Ich halte mich nur ganz kurz auf, denn ich will möglichst wenig von meinem Vorsprung verlieren. Etwas staksig laufe ich los, denn die Muskulatur ist vom Aufstieg etwas verhärtet. Aber nach 10 Minuten geht das schon wieder richtig gut. Ich laufe dennoch extrem kontrolliert und etwas langsamer als im Vorjahr, denn da bin ich gestolpert und ziemlich heftig gestürzt – darauf kann ich heute gut verzichten! Wie immer begeistert mich die Strecke restlos. Und noch mehr begeistert bin ich davon, weitere Läufer überholen zu können, darunter die Züricher Annabelle und Marcel: er hat sich eine Zerrung geholt und muss beim steilen Abwärtslaufen etwas vorsichtiger sein, um keine Krämpfe zu bekommen.

Nach dem Schild, das die letzten 1500 Meter ankündigt, kommt noch mal eine schwierige Stelle: hohe Felsstufen, die im Vorjahr noch total nass und glitschig waren und auf denen ich prompt ausgerutscht bin. Diesmal sind sie aber trocken und ich kann gut drüber hüpfen. Einen letzten Läufer überhole ich hier noch, der sich deutlich schwerer tut als ich. Der Zieleinlauf ist ein wahrer Triumphzug für mich. Keiner hat mich eingeholt – im Gegenteil: ich hab noch einige überholen können! Ein tolles Gefühl für jemanden, der bergab eigentlich ziemlich schlecht ist!

Karrie war 14 Minuten vor mir im Ziel. Und kurz nach mir trudeln sie ein: Annabelle und Marcel, Christian (Simone ist nur die 28 km gelaufen und längst im Ziel) und schließlich Dieter. Ich schau auf die Uhr: es müsste eigentlich gereicht haben. Ich hab heute 7:18:03 gebraucht (tatsächlich wieder 9 Minuten länger als im Vorjahr) und Dieter 7:28:36. Damit hab ich es geschafft, ihn im Gesamtklassement zu überholen und liege schließlich auf Platz 11 von 20 in meiner Altersklasse (einer ist am zweiten Tag nicht mehr angetreten). Damit kann ich leben und bin hochzufrieden!

Eine Stunde später kommt auch Joachim an, den ich schon frisch geduscht im aktuellen Finisher-Shirt (hat dieses Jahr eine sehr mutige Farbe!) empfangen kann. Zum ersten Mal in meinen 3 Teilnahmen regnet es nicht in Gondo, sondern die Sonne scheint (na ja, nicht mehr auf den Festplatz, denn da sind die hohen Bergwände im Weg) und es ist schön warm. Ich hole mir noch ein „typisches“ Läuferessen, während ich auf die Siegerehrung warte: eine Bratwurst mit Pommes und ein Bier.

Schließlich startet die Siegerehrung. Außer den ersten 3 jeder Altersklasse wird jeder Finisher namentlich aufgerufen und bekommt einen Bergkäse und ein Früchtebrot. Das ist die besondere Gondo-Medaille, die es nur hier gibt. Während die Siegerehrung läuft, kommen noch Sara und Rudi ins Ziel. Sie sind zwar nun außerhalb der Wertung, aber Brigitte schnappt sich Käse und Mutschli und beglückt auch diese Beiden. Die letzte Läuferin heute ist Jutta. Die Schlussläuferin (der „Besenwagen“), die auch alle Markierungen einsammelt, hat sich rührend um sie gekümmert und sie heil nach 10:06:00 ins Ziel gebracht.

Die Seriensieger Martin Schmid (3:51:08 und 4:25:34) und Anita Lehmann (4:28:12 und 5:09:14) haben auch heute wieder den Sieg geschafft. Anita hat sich am Simplonpass den Fuß verknackst und ist die restlichen 19 km humpelnd und mit Schmerzen durchgelaufen – unglaublich! Im Ziel hat sie einen bandagierten Fuß und läuft an zwei Krücken. Vermutlich ist das Band verletzt, gute Besserung an sie!

Den Abend verbringen Kerstin und ich noch bei einem schönen Essen mit Brigitte im Stockalperturm. Was für eine tolle Veranstaltung! Eine unglaublich schöne Strecke, eine optimale Organisation und ein familiäres Ambiente – nicht umsonst ist das Gondo-Event ein Pflichttermin auf meinem Laufkalender. Ich war bestimmt nicht das letzte Mal hier.